Süddeutsche Zeitung

Rede zur Lage der Nation:Putins Welt - Russland stark, Westen schwach

  • In seiner Rede zur Lage der Nation rechtfertigt Putin seinen Griff nach der Krim und die russische Ukraine-Politik.
  • Nur wenige Stunden zuvor lieferten sich Rebellen und Polizisten in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny schwere Gefechte.
  • Im Vorfeld von Putins Rede kam bereits harsche Kritik von Obama, der die russische Politik als nationalistisch und von den Ereignissen überrumpelt beschrieb.

Putin vergleicht Krim mit Tempelberg

Schwere Gefechte in Tschetschenien, Krieg in der Ostukraine: Die Grundsatzrede von Russlands Präsident Wladimir Putin war angesichts dieser Ereignisse mit Spannung erwartet worden - wie würde er sich dazu äußern?

Putin steigt ein mit: der russischen Annexion der Krim. Er spricht von einer "historischen Wiedervereinigung". Für Russland habe die Krim "große zivilisatorische und sakrale Bedeutung", sagt Putin. Und weiter: "So wie der Tempelberg in Jerusalem für die, die sich zum Islam oder zum Judentum bekennen."

Auch in Bezug auf die Ukraine liefert Putin seine Interpretation der Ereignisse: Er bezeichnet die Maidan-Revolution als "bewaffnete Übernahme". Es sei unmöglich, dies zu tolerieren.

Die Ereignisse in Tschetschenien erwähnt er nur am Rande, wie SZ-Korrespondent Julian Hans auf Twitter kommentiert:

Den USA wirft Putin mit Nachdruck vor, in Russlands unmittelbarer Nachbarschaft zu zündeln und die Region zu destabilisieren. "Manchmal weißt du nicht, mit wem du sprechen sollst - mit den Regierungen mancher Staaten oder direkt mit ihren amerikanischen Sponsoren."

Harsch und selbstbewusst reagiert Putin auf die westliche Sanktionspolitik: Dies sei eine "nervöse Reaktion" auf den Aufstieg seines Landes. "Jedes Mal, wenn jemand glaubt, dass Russland zu stark, zu unabhängig geworden ist, werden sofort diese Instrumente angewendet." Ohne die Ukraine-Krise "hätten sie sich einen anderen Vorwand ausgedacht, um die wachsenden Möglichkeiten Russlands einzudämmen". Russland wolle die Beziehungen zu Europa und den USA aber nicht "abbrechen".

Ölpreis-Verfall, Rubel-Talfahrt und eine drohende Rezession: Die russische Wirtschaft ist angeschlagen - auch wegen der Sanktionen von USA und EU. Doch Putin gibt sich kämpferisch: Für Moskau seien die Sanktionen ein Ansporn und "der beste Anreiz für die Erreichung unserer Ziele". Er dankt "allen Russen für die Unterstützung in einem schicksalsvollen Moment, in dem sich die Zukunft entscheidet".

Putin kündigt Kapital-Amnestie an

Im Kampf gegen die Kapitalflucht aus Russland kündigt Putin einen Straferlass für Reiche an, wenn diese ihr Kapital aus Steueroasen zurückbringen. "Es geht um eine vollständige Amnestie", sagt der russische Präsident. "Wenn ein Mensch sein Kapital in Russland legalisiert, erhält er harte rechtliche Garantien, dass man ihn nicht durch die Instanzen zerren wird." Diese Chance gebe es aber nur einmal, warnt Putin. Zahlreiche Russen haben "Offshore-Kapital" in Ländern mit günstigen Steuerbedingungen angelegt, wie zum Beispiel auf Zypern.

Zum Schluss seiner Rede setzt Putin noch einmal auf Patriotismus: "Wir sind bereit und gewillt, jede Herausforderung anzunehmen. Wir werden gewinnen." Dafür gab es Applaus von den Abgeordneten beider Parlamentskammern.

Obama nennt Putins Politik "nationalistisch und rückwärtsgewandt"

Harsche Worte der Kritik hat es im Vorfeld der Putin-Rede von US-Präsident Barack Obama gegeben: Der bezeichnete die Politik des Kremlchefs als "nationalistisch und rückwärtsgewandt". Die Eskalation der Ukraine-Krise habe Putin seinem Eindruck nach überrascht, sagte Obama vor Wirtschaftsvertretern in Washington. Seitdem improvisiere der russische Präsident mit einer Politik, die Russlands Nachbarn verängstige und der Wirtschaft enorm schade. Von seinem Kurs werde Putin erst abrücken, wenn der Wirtschaftsabschwung dies erzwinge, sagte Obama. Gleichwohl bleibe das Angebot einer "diplomatischen Lösung" bestehen.

Ähnlich äußerte sich US-Außenminister John Kerry auf der Jahreskonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Basel. "Russland liefert weiterhin neue Waffen und verstärkt seine Unterstützung für bewaffnete Separatisten", so Kerry. Damit verletzte das Land internationales Recht. Den Preis dafür zahlten die Bürger "einschließlich Hunderten von russischen Soldaten, die in einem Land kämpfen und sterben, in dem zu sein sie kein Recht haben".

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte: "Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärische Auseinandersetzung in der Ostukraine gefährden die europäische Friedensordnung unmittelbar." Alle Seiten müssten sich für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen einsetzen, "um der Spirale der Eskalation Einhalt zu gebieten".

Rebellen und Polizisten liefern sich schwere Gefechte in Grosny

Wenige Stunden vor Putins Rede waren in der russischen Teilrepublik Tschetschenien bei Kämpfen zwischen der Polizei und Bewaffneten mindestens 19 Menschen getötet und 28 verletzt worden. Die Angreifer hätten in der Nacht drei Verkehrspolizisten in der Hauptstadt Grosny erschossen und sich dann in einem Verlagshaus verschanzt, berichten russische Agenturen. Es handelt sich um die schwerste Attacke seit Jahren.

Zu dem Überfall in Grosny bekannte sich die islamistische Gruppierung Kaukasus-Emirat. Kadyrow erklärte, die Bewaffneten hätten einen Terroranschlag geplant.

Im russischen Nordkaukasus kämpfen islamistische Extremisten für einen von Moskau unabhängigen Gottesstaat. Immer wieder kommt es auch zu Gefechten mit kremltreuen Einheiten. In den 1990er Jahren verhinderte Russland in einem Krieg, dass sich die islamisch geprägte ölreiche Republik Tschetschenien abspaltete. Am 11. Dezember vor 20 Jahren hatte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention in Tschetschenien erteilt.

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