Süddeutsche Zeitung

Prozess:Mordauftrag aus Tschetschenien?

Ein Russe soll die Tötung eines Regimekritikers in Deutschland vorbereitet haben. Zum Mord kam es nicht - doch der Mann steht nun in München vor Gericht.

Die Anklage lautet auf "Sichbereiterklären zu einem Mord", und das in staatlichem Auftrag. Das Setting ähnelt ein wenig dem "Tiergartenmord" - nur ohne Mord. Und wieder steht ein Russe vor Gericht. Diesmal vor dem Oberlandesgericht München. Am Mittwoch sagte ein tschetschenischer Regimekritiker aus, wie er von den mutmaßlichen Attentatsplänen erfahren hatte. Der angeklagte Russe soll laut Bundesanwaltschaft im Auftrag eines Cousins, des Putin-treuen tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, den Mord vorbereitet haben. Er wurde jedoch vor der Tat festgenommen.

Kadyrow ist seit 2007 Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien und wird mit den Morden an mehreren Kritikern in Verbindung gebracht. Diesmal sollte es einen in Schwabmünchen bei Augsburg wohnenden Oppositionellen treffen, er ist der Bruder eines im schwedischen Exil lebenden bekannten Regimekritikers.

Der Angeklagte soll für Logistik und die Organisation der Tat verantwortlich gewesen sein, ein zweiter Täter sollte vermutlich den ursprünglich für Ende 2020 terminierten Mord ausführen. Die beiden angeworbenen Männer sollen letztlich erfolgreich versucht haben, die Tat aufzuschieben. Durch Hinweise an die Polizei konnte verhindert werden, dass der Mordplan umgesetzt wurde.

Der Russe hatte laut Anklage zur Ermordung des Regimekritikers eine halbautomatische Kurzwaffe mit Schalldämpfer und Munition organisiert. Zudem soll er versucht haben, seinen mutmaßlichen Komplizen nach Deutschland zu schleusen, was über Umwege gelang. Zur Vorbereitung sollen beide zusammen eine Schießübung absolviert haben. Dem in Schwerin ansässigen Angeklagten, auch der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Verstößen gegen das Waffengesetz beschuldigt, drohen drei bis 15 Jahre Haft. Für die Verhandlung sitzt der gelernte Jurist in der Justizvollzugsanstalt München. Zum Prozessauftakt Mitte Juni schwieg er.

Sie überzeugten den Russen, besser zur Polizei zu gehen

Am Mittwoch schilderte das potenzielle Opfer, wie ein ihm unbekannter Mann ihn über einen Messenger-Dienst angerufen habe. "Er sagte, er hat eine wichtige Information für mich: Dass sich in Deutschland eine Person befindet, die mich töten soll, es aber nicht machen möchte." Über diesen Mann habe er dann Kontakt zu dem mutmaßlich beauftragten Attentäter aufgenommen, der in einer Flüchtlingsunterkunft in Norddeutschland untergebracht gewesen sei. Dieser habe von dem Plan berichtet und, dass der Wohnort des 27-Jährigen und dessen Joggingstrecke ausgespäht worden seien. "Wir haben das sehr ernst genommen." Mit seinem Bruder habe er den beauftragten Attentäter dann überzeugt, zur Polizei zu gehen.

Der Fall erinnert an den "Tiergartenmord" in Berlin. Wegen der Erschießung eines Georgiers im August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten wurde ein russischer Staatsbürger Mitte Dezember 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sprach von russischem "Staatsterrorismus". Nach Überzeugung der Richter handelte der 56-Jährige im Auftrag staatlicher russischer Stellen. Russland wies die Vorwürfe zurück. Das Urteil verursachte diplomatische Verwerfungen zwischen Deutschland und Russland. Beide Staaten wiesen mehrere Diplomaten des anderen Landes aus.

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