Die Szenen, die sich am Sonntag vor einer Woche in Grosny abspielten, erinnerten an Schreckensszenarien russischer Sicherheitsexperten: In der Hauptstadt der Republik Tschetschenien schossen Einsatzkräfte unterschiedlicher Einheiten aufeinander. Erst eine dritte Einheit aus Spezialkräften des Geheimdienstes FSB konnte die Gegner trennen, so berichten es russische Zeitungen. Was war passiert?
Die Vorgeschichte spielt im September vergangenen Jahres im 500 Kilometer entfernten Stawropol. Im Streit über gemeinsame Geschäfte gibt der Tschetschene Dschambulat Dadajew zwei Schüsse auf eine örtliche Unterweltgröße ab. Der Getroffene überlebt. Am 19. April versuchen Sicherheitskräfte aus Stawropol, den Schützen in Grosny festzunehmen. Als dieser sich wehrt, springt ihm eine Einheit der Sonderpolizei Omon zur Seite, die dem tschetschenischen Innenministerium unterstellt ist, und das Gefecht beginnt.
"Sie sollen mit uns rechnen", droht Kadyrow
Am nächsten Tag gibt Ramsan Kadyrow, Oberhaupt der Republik Tschetschenien, vor Angehörigen seiner Sicherheitsbehörden eine Erklärung ab: Sollten ohne vorherige Unterrichtung auf dem Gebiet der Republik Sicherheitskräfte aus anderen Regionen auftauchen - "egal ob Moskauer oder Leute aus Stawropol -, eröffnen Sie das Feuer. Sie sollen mit uns rechnen." Den Polizisten aus Stawropol wirft er vor, sie seien von dem verletzten Unterweltboss geschickt worden, um Rache zu nehmen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Kadyrow über das russische Gesetz stellt. Im Dezember vergangenen Jahres hatte er angeordnet, Häuser von Terrorverdächtigen dem Erdboden gleichzumachen. Als Putin von Journalisten darauf angesprochen wurde, dass Sippenhaft auch in Russland nicht zulässig ist, sagte er nur lapidar, alle hätten sich an die Gesetze zu halten.
Doch die jüngste Aussage Kadyrows hat eine neue Qualität; sie richtet sich direkt gegen die Staatsgewalt. Damit stellt sich die Frage, wer in Tschetschenien letztlich das Sagen hat. Kadyrow stützt seine Herrschaft in der in zwei blutigen Kriegen umkämpften Republik auf ein Heer mehrerer Tausend schwer bewaffneter Kämpfer. Diese sind zwar formal dem Innenministerium unterstellt, hören aber auf Kadyrows Kommando.
Die Republik ist zu einem Rückzugsgebiet für kriminelle Banden geworden. In der Zeit der Herrschaft Kadyrows ist laut der kritischen Zeitung Nowaja Gaseta nur ein Fall bekannt, in dem ein zur Fahndung ausgeschriebener Verbrecher von Grosny nach Moskau ausgeliefert wurde. Es handelte sich um den Mörder der Nowaja-Mitarbeiterin Anna Politkowskaja, der allerdings erst nach langen Verhandlungen zwischen der Zentralmacht in Moskau und den lokalen Sicherheitskräften festgenommen werden konnte.
Umgekehrt ist es in Moskau immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen örtlichen Sicherheitskräften und Angehörigen von Kadyrows Einheiten gekommen, die in einem Hotel in der Innenstadt eine ganze Etage bewohnen. Russische Medien berichteten, nach dem Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow hätten die Ermittler innerhalb von zwei Tagen die Täter gekannt, aber keine Sicherheit gehabt, ob sie zugreifen dürfen.
Russlands Präsident ist der Einzige, der den Machtkampf entscheiden könnte
Seit Kadyrows skandalöser Erklärung gibt es ein heftiges Hin und her zwischen ihm und den Chefs der Sicherheitsorgane in Moskau, die diese offene Herausforderung nicht einfach hinnehmen wollen. Erst erklärte das Innenministerium, die Worte seien nicht hinnehmbar und die tschetschenischen Behörden seien sehr wohl von der Operation unterrichtet worden. Dem widersprachen die tschetschenischen Innenbehörden, und Kadyrow forderte öffentlich von Innenminister Wladimir Kolokolzew, die Verantwortlichen für diese "Desinformation" zu bestrafen.
Die tschetschenische Innenbehörde eröffnete derweil ein Verfahren gegen die Polizisten aus Stawropol, woraufhin sich der Chef des russischen Ermittlungskomitees einschaltete, einer Art russischem FBI, und die Ermittlungen stoppte. Kadyrow aber hielt dagegen: "Die Bewohner der Republik Tschetschenien fragen, warum die Überprüfung gestoppt wurde", schrieb er im sozialen Netzwerk Instagram.
Der Einzige, der den Machtkampf entscheiden könnte, ist der Präsident. Doch Wladimir Putin hält sich bislang bedeckt. Er wisse nichts davon, ob Putin mit Kadyrow telefoniert habe, sagte Montag sein Sprecher Dmitrij Peskow. Der Präsident sei ständig im Austausch mit den Chefs der Regionen, er sei nicht über jedes Gespräch unterrichtet.