Tschetschenien:Neue Dimension der Verfolgung

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Das Regime in Grosny geht brutal gegen Schwule und Lesben vor.

Von Silke Bigalke, Moskau

Mindestens zwei Menschen sind in einem tschetschenischen Gefängnis offenbar zu Tode gefoltert worden, weil sie homosexuell waren. Weitere 40 Männer und Frauen säßen seit Dezember wegen desselben Vorwurfs in Haft, berichtet das russische LGBT-Netzwerk. Die Behörden in Tschetschenien gehen seit Jahren äußert brutal gegen Schwule und Lesben vor. Bereits im Frühjahr 2017 waren dort mehr als hundert Männern festgenommen und ein Teil von ihnen gefoltert worden. Damals berichtete die russische Zeitung Nowaja Gaseta von mindestens drei Toten. Die Enthüllungen führten zwar dazu, dass die USA Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow mit Sanktionen belegten und Facebook sein Profil blockierte. Den Verfolgten hat das aber offenbar nicht geholfen.

Die neue Verhaftungswelle in der russischen Republik begann Ende Dezember. Die Polizei nahm den Gründer einer Internet-Gruppe für Homosexuelle bei VKontakte fest, dem russischen Pendant zu Facebook. Sein Adressbuch nutzen sie dann für weitere Verhaftungen. Das russische Nachrichtenportal Meduza geht davon aus, dass sogar bis zu 20 Menschen dabei ums Leben gekommen sein könnten. Es beruft sich auf Berichte aus Online-Gruppen und auf einen anonymen Zeugen, der nach Frankreich geflohen sei, aber weiterhin in Kontakt zu seinen Freunden in Tschetschenien stehe. "Ich bitte jeden, der noch frei ist, diese Nachricht ernst zu nehmen und so schnell wie möglich aus der Republik zu verschwinden", schrieb Ende vergangener Woche jemand in einer Gruppe bei VKontakte, in der sich Homosexuelle anonym austauschen.

Die genaue Zahl der Opfer sei unmöglich festzustellen, sagt Igor Kotschetkow. Er leitet das LGBT-Netzwerk in Sankt Petersburg, das sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen einsetzt. Die Verfolgung habe niemals aufgehört, sagt er, aber das Ausmaß habe sich verändert. 2017 habe die Gruppe noch mehr als 150 Betroffenen bei der Flucht aus Tschetschenien helfen können. Jetzt nehme man den Verhafteten ihre Pässe ab, so dass sie später nicht ausreisen könnten. Die Polizei drohe ihnen mit Strafverfahren gegen ihre Familien und zwinge sie, völlig leere Formulare zu unterschreiben.

Bevor die Verhaftungen im Dezember losgingen, hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einen Bericht über die Situation in Tschetschenien vorgelegt. Darin fordert sie die russischen Behörden auf, das Vorgehen der Regierung in Grosny zu untersuchen. Der Bericht spricht von "sehr ernsten Menschenrechtsverletzungen" und listet Belästigung, Verfolgung, willkürliche Verhaftungen, Folter, Exekutionen ohne Gerichtsverfahren auf. Die Situation habe sich seit 2017 sogar noch verschlechtert, heißt es. Das "Klima der Einschüchterung" habe sich verschärft, so dass kaum jemand vage, über die Verfolgung zu sprechen. Ohnehin sind die meisten Organisationen, an die sich verfolgte Menschen wenden konnten, aus dem Land verschwunden. Das Risiko war ihnen zu hoch. Der Leiter der letzten verbliebenen Gruppe Memorial sitzt seit einem Jahr im Gefängnis, weil man angeblich Marihuana in seinem Auto gefunden hatte.

Die Vorwürfe der LGBT-Gruppe nennt die tschetschenische Regierung "komplette Lügen". Doch als ein Journalist Kadyrow 2017 im TV-Interview zu den Vorwürfen befragte, dass Schwule in seinem Land gefoltert werden, war die Antwort entlarvend. "Das ist Quatsch", sagte Kadyrow. "Wir haben keine Schwulen. Wenn doch, nehmt sie mit nach Kanada, damit wir sie hier nicht haben. Um unser Blut zu reinigen, nehmt sie weg."

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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