Süddeutsche Zeitung

Tschernobyl und Fukushima:Bilanz des Schreckens

Wie sehr ähnelt die japanische Reaktorkatastrophe jener in der früheren Sowjetunion? Sehr, sagen die einen. Das japanische Unglück wird den weltweit größten Atomunfall von Tschernobyl nicht annähernd übertreffen, sagen die anderen.

Jeanne Rubner

Seit Dienstag kennt die Welt zwei Atomunfälle der gefährlichsten Stufe: Fukushima und Tschernobyl. Wie sehr ähnelt die japanische Reaktorkatastrophe jener in der früheren Sowjetunion im Jahr 1986? Sehr, sagt die atomkritische Organisation IPPNW, denn selbst der Betreiber Tepco warne davor, dass in Fukushima so viel Strahlung freigesetzt werden könne wie in Tschernobyl. Bisher schätzen Fachleute, dass in Japan ein Zehntel der radioaktiven Menge von Tschernobyl ausgetreten ist. Dagegen sind viele Experten überzeugt, dass - so schlimm das japanische Unglück auch ist - es in seinen Auswirkungen den bisher weltweit größten Atomunfall nicht annähernd übertreffen wird.

Das hat mehrere Gründe: Der Reaktor von Tschernobyl ist regelrecht explodiert. Er besaß keine richtige Sicherheitshülle wie Meiler westlicher Bauart. Zudem brannte der Graphit, der die Kettenreaktion unter Kontrolle halten sollte - es handelte sich also um ein riesiges radioaktives Feuer, bei dem eine große Menge strahlenden Materials mehrere Kilometer hoch in die Luft geschleudert wurde und sich über ganz Europa verteilte. In Japan dagegen waren zwar gleich drei Blöcke und ein Brennelementebecken durch die Flutwelle lädiert, allerdings muss man sich deren Inhalt eher als ein schwelendes Feuer vorstellen, das allmählich strahlende Asche freisetzt. Zudem ist ein erheblicher Teil der radioaktiven Partikel über den Pazifik geweht worden. "Dank Japans Insellage sind die Folgen für Nachbarländer abgeschwächt", sagt Christian Küppers vom Darmstädter Ökoinstitut.

Wie viele Menschen von den radioaktiven Wolken in Japan betroffen sind und welche gesundheitlichen Schäden sie davontragen, lässt sich heute noch nicht sagen. Einerseits dürften die Anwohner im Umkreis des japanischen Kraftwerks weniger Strahlung abbekommen haben als die Menschen in der Region um Tschernobyl. Andererseits ist die Präfektur Fukushima weitaus dichter besiedelt als die bäuerliche Region der heutigen Ukraine.

Fest steht jedoch, dass die freiwilligen Arbeiter, die immer nur für kurze Zeit in Fukushima ihren Dienst taten, ein weitaus geringeres Risiko haben werden, an akuten Strahlenschäden oder an Krebs zu erkranken als die Liquidatoren von Tschernobyl, die teilweise mit unzureichender Schutzkleidung in die Reaktorruine geschickt wurden.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2011/afis
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