Tschechien:Der Klang der Versöhnung

Tschechien: Lauschrohr in die Vergangenheit: der Poesiomat vor der Wallfahrtskirche Maria Stock in Skoky.

Lauschrohr in die Vergangenheit: der Poesiomat vor der Wallfahrtskirche Maria Stock in Skoky.

(Foto: Karel Cudlin)

In verlassenen Dörfern nahe der deutsch-tschechischen Grenze hat der Künstler Ondřej Kobza sogenannte Poesiomaten aufgestellt. Die Lauschrohre beleben mit privaten Anekdoten und Gedichten die historischen Orte.

Von Viktoria Großmann

Im tschechischen Skoky haben die Kirchenglocken schon lange nicht mehr geläutet. Vor dem Zweiten Weltkrieg lockte die Wallfahrtskirche Maria Stock in Nordböhmen noch Zehntausende Gläubige an, nach dem Krieg verfielen die Kirche und das Dorf. Die deutschsprachige Bevölkerung wurde vertrieben und ließ sich größtenteils im sächsischen Chemnitz nieder. Vielen Dörfern nahe der sächsischen und bayerischen Grenze erging es wie Skoky: nachdem die Sudetendeutschen ihre Heimat unter Zwang verlassen hatten, blieben auch ihre Häuser und Höfe leer. Zumal die Orte in Westböhmen nun auch an der Grenze zum sogenannten Klassenfeind und in der militärischen Sperrzone lagen.

Während andere Gotteshäuser in sich zusammenfielen und die Ruinen abgerissen wurden, steht die barocke Kirche Maria Stock noch. Und vor dem Gebäude fällt seit Kurzem ein schwarzes Rohr ins Auge, das aus der Erde ragt. Es sieht aus wie ein U-Boot-Periskop. Besucher, die sich in den Wald östlich von Karlsbad verirren, können das Rohr zum Klingen bringen. In der Stille und Verlassenheit des Dorfes wird dann das frühere Leben hörbar - die letzte Messe vor der Vertreibung, Kirchenlieder und der Dialekt der Menschen, die hier einmal gelebt haben.

In sieben ganz oder fast verlassenen Dörfern hat Ondřej Kobza solche Hörrohre installiert. Fast alle Ortschaften liegen nahe der Grenze zu Sachsen oder Bayern, in allen wurde früher Deutsch gesprochen. Strom braucht der Aktionskünstler für den Betrieb der Rohre nicht, das würde auch nicht in die stille Landschaft passen. Es genügt, an einer Kurbel zu drehen. Kobza hat diese Erfindung über viele Jahre verfeinert, ähnliche Installationen hat er in Prag, Brüssel und New York schon aufgebaut - immer vorübergehend.

Doch bei der aktuellen Installation ist vieles anders. Kobza hat nicht nur mit anderen Künstlerfreunden zusammengearbeitet und möchte auch nicht nur die Raumwahrnehmung verändern und Passanten aus ihrem Alltagstrott reißen. Diesmal war der deutsch-tschechische Zukunftsfonds mit dabei und vor allem jene Menschen, die sich teilweise seit Jahrzehnten für die Erhaltung der verlassenen Kirchen einsetzen, die sich in die Geschichte der stillen Dörfer und ihrer früheren Bewohner eingearbeitet haben - manchmal unter Argwohn und Skepsis der Nachbarn.

"Ich betrachte es als eine Art Anerkennung für die Arbeit dieser Menschen", sagt Kobza. Seine Hörrohre oder Poesiomaten, wie er sie nennt, erinnern nicht nur an eine verschwundene Welt, sie konservieren nicht nur die Vergangenheit. Kobza hört hinein ins Jetzt - und da gibt es Tschechen und Deutsche, die sich über Landes- und Sprachgrenzen hinweg gefunden haben, um gemeinsam Steine zu schleppen, Kirchendächer abzustützen, die leeren Dörfer zu beleben und deren Geschichte aufzuschreiben.

"Es gibt Paare, die sich bei dieser Gelegenheit gefunden haben", erzählt Kobza. Auch ihnen kann man am Poesiomaten lauschen. Jeder Apparat erzählt eine andere Geschichte, einige sind exklusiv für diesen Anlass aufgeschrieben, auch Gedichte sind dabei. Versöhnung, davon erzählen sie, braucht Willen und Arbeit und sehr viel Zeit - und manchmal hilft ein wenig Poesie.

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