Andre Babiš triumphiert, er sei auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Der Unternehmer und Milliardär ist der klare Sieger der Wahl zum tschechischen Abgeordnetenhaus, er kann nach vier Jahren Opposition erneut Ministerpräsident werden. „Wir hoffen, dass eine Regierung entsteht, die ranklotzen wird“, sagt er am Samstagabend auf der Wahlparty seiner populistischen Partei ANO, die wohl vor allem wegen ihrer sozialen Versprechen gewann. „Ranklotzen“ ist ein Lieblingswort von Babiš. „Wir werden euch nie verraten“, ruft der 71-Jährige in den Saal.
Kurz darauf gratuliert Noch-Premier Petr Fiala ihm zum Wahlsieg. Fialas Regierung hat in der Wahl, die am Freitag und Samstag stattfand, ihre Mehrheit verloren. Nach Schließung der Wahllokale um 14 Uhr wurde Lokal für Lokal ausgezählt. Schon gegen 16 Uhr zeigte sich: Babiš und ANO sind uneinholbar.
ANO wird schließlich mit knapp 35 Prozent zur neuen stärksten Kraft in der Sněmovna, dem Unterhaus des tschechischen Parlaments. Mit weitem Abstand zum Wahlbündnis Spolu (Zusammen) von Fiala, das auf gut 23 Prozent kommt. ANO erzielt damit ein deutlich besseres Ergebnis, als zuvor die meisten Umfragen vermuten ließen. Sein Ziel, allein regieren zu können, verfehlt Babiš allerdings. Er wird wohl zwei Koalitionspartner brauchen. In die Regierung könnten auch Rechtsextreme einziehen.
ANO gehört im Europäischen Parlament der Patrioten-Fraktion an - gemeinsam mit rechtsextremen Parteien. Dennoch gilt die Babiš-Partei in Tschechien weder als rechtsextrem noch national gesinnt, sondern eher als linkspopulistisch. Wie schon früher versprach Babiš den Wählern vor allem soziale Hilfen: niedrigere Energiepreise, mehr Möglichkeiten zur Frührente, insgesamt ein „besseres Leben“, so sein Wahlkampfspruch. In der letzten TV-Debatte vor der Wahl erklärte er, Tschechien gehöre zu EU und Nato, Russland sei eine große Bedrohung. Allerdings auch die illegale Zuwanderung. Negativ äußerte er sich über die tschechische Munitionsinitiative zur Unterstützung der Ukraine.
Zwischen 2017 und 2021 regierte Babiš mit den Sozialdemokraten in einer von der kommunistischen Partei tolerierten Minderheitsregierung. Er beteuerte damals stets, er habe auf seine Firmen keinen Einfluss mehr, weil er seine Firmenanteile in einen Treuhandsfonds ausgelagert habe. Die EU-Kommission sah ihn jedoch in einem Interessenkonflikt. Seine Firma Agrofert, die auch in Deutschland tätig ist, erhält EU-Subventionen in erheblichem Umfang. Dieser Streit wird voraussichtlich erneut beginnen.
Wie Babiš seine Versprechen finanzieren will? Unklar
Die derzeitige konservativ-liberale Regierungskoalition von Petr Fiala erlebt eine deutliche Niederlage, auch mit einem weiteren Partner würde sie keine Mehrheit finden. Starke Teuerung, Inflation, hohe Energiepreise, zu niedrige Löhne, Wohnungsnot - das waren wesentliche Themen im Wahlkampf. Die Opposition tat sich deutlich leichter, mit großen Versprechen die Wähler zu überzeugen. Wie Babiš seine angekündigten Wohltaten finanzieren will, ist allerdings unklar.
Fialas Regierung, die als entschiedener Unterstützer der Ukraine und stark proeuropäisch auftrat, hat bei den sozialen Themen einiges versäumt. Fiala sprach am Wahlabend von den besonders schwierigen Umständen, unter denen seine Koalition regieren musste: sie trat am Ende der Pandemie an, auf die der russische Überfall auf die Ukraine folgte.

Wie Deutschland war auch Tschechien stark von russischem Öl und Gas abhängig gewesen. Zwar herrscht weiterhin nahezu Vollbeschäftigung, doch viele kommen trotz Arbeit nur schwer über die Runden. In kaum einem Land sanken die Reallöhne so stark wie in Tschechien, das Lohnniveau liegt durchschnittlich auf dem von 2019. Soziale Hilfen verteilte die wirtschaftsliberale Regierung kaum. Auch an Verständnis und Empathie für die finanziell schwierige Lage vieler Landsleute mangelte es.
Vor der Wahl hatte Staatspräsident Petr Pavel eindringlich dazu aufgerufen, wählen zu gehen. Tschechien brauche eine Regierung, „die uns nicht dem Einfluss Russlands ausliefert“. Die Wahlbeteiligung stieg tatsächlich auf fast 69 Prozent, für Tschechien ein sehr guter Wert.
Allerdings wird Pavels Befürchtung wahr, dass Rechtsextremisten zum Mehrheitsbeschaffer werden könnten. Zwar landete die rechtsextreme Partei „Freiheit und direkte Demokratie“, kurz SPD, mit weniger als acht Prozent auf dem fünften Platz. Sie verlor im Vergleich zur letzten Wahl und schnitt deutlich schlechter ab als zuvor in Umfragen. Doch Babiš wird auf sie angewiesen sein. Noch am Wahlabend wollte er sich mit der Partei treffen. Die vom japanischstämmigen Tomio Okamura angeführten Rechtsextremen hatten ein Referendum über einen EU-Austritt versprochen.
Die Autofahrer-Partei wäre für Babiš der einfachste Partner
Ebenfalls mit knapp sieben Prozent ins Abgeordnetenhaus schafften es die politisch unerfahrenen „Motoristé sobě“, zu deutsch Autofahrer-Partei. Sie wurde im vergangenen Jahr bereits ins Europaparlament gewählt, wo sie der Fraktion „Patrioten“ angehört - genauso wie ANO. Babiš bezeichnete sie bereits im Wahlkampf als bevorzugten Partner. Sie wären für ihn auch der einfachere: Die Motoristé wollen nicht aus der EU austreten, aber die EU „von innen“ reformieren. Niedrige Energiepreise wollen sie mit Kernenergie und vorerst weiterer Nutzung von Kohlekraft sicherstellen. Zudem stehen sie, wie der Name sagt, zum Verbrenner-Motor. Ihre unternehmensfreundliche Haltung passt zu ANO.
Auf Platz zwei, drei und vier der Wahldiagramme stehen am Ende zwar demokratische, proeuropäische Parteien mit Regierungserfahrung. Doch auf eine Mehrheit kommen sie zusammen nicht. Premier Petr Fialas Wahlbündnis „Spolu“, das aus drei konservativ-christlich-wirtschaftsliberalen Parteien besteht, hat im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren etwa sechs Prozentpunkte verloren. Sein Koalitionspartner „Bürgermeister und Unabhängige“, kurz Stan, geführt vom beliebten Innenminister Vít Rakušan, kommt auf den dritten Platz mit mehr als elf Prozent. Und die liberalen Piraten freuen sich über fast neun Prozent. Sie hatten sich mit den Grünen zusammengetan, die in Tschechien kaum mehr als eine Splittergruppe sind.
Die Regierungsparteien wie auch Andrej Babiš hatten vor der Wahl ausgeschlossen, miteinander eine Koalition bilden zu wollen. Spekuliert wird allerdings schon lange darüber, dass das Wahlbündnis Spolu nach einer Wahlniederlage zerbrechen und auch die Partei ODS (Bürgerdemokraten) von Petr Fiala zerfallen könnte. Ein Teil der ODS hatte sich immer eine Zusammenarbeit mit ANO vorstellen können. Am Wahlabend beteuert Spolu Geschlossenheit. Das Bündnis habe weiter Sinn, sagte Fiala.
