Süddeutsche Zeitung

Tschechien:Unüberbrückbarer Interessenkonflikt

Andrej Babiš ist nicht nur Premier, er besitzt auch die Agrofert-Firmengruppe. Warum das nicht vereinbar ist, weist die EU-Kommission nun nach.

Von Viktoria Großmann und Matthias Kolb, Brüssel/München

71 Seiten umfasst der vorläufige "Rechnungsprüfungsbericht", der vergangene Woche im Finanzministerium in Prag eintraf. Verfasst wurde das Dokument von der EU-Kommission, die im Winter Kontrolleure nach Tschechien geschickt hatte, um die Einschätzung von "unüberbrückbaren Interessenkonflikten" von Premier Andrej Babiš zu prüfen. Schon im Dezember war ein juristisches Gutachten der EU-Kommission, über das die SZ exklusiv berichtet hatte, zu dem Urteil gekommen, dass der Milliardär entweder aus der Politik aussteigen oder seine Anteile an der eigenen Agrofert-Firmengruppe verkaufen müsse. Die Bedenken waren damals so schwerwiegend, dass seither keine Subventionen mehr an Agrofert ausbezahlt werden - zuvor erhielt Babiš, der zweitreichste Mann Tschechiens, Dutzende Millionen für seine Firmengruppe.

Der neue Bericht aus Brüssel bestätigt die Vorwürfe mit vielen Details und erhöht den Druck auf Babiš, gegen dessen Regierung seit Wochen Zehntausende Bürger protestieren. Das EU-Gutachten stehen Sätze wie "Die unparteiische und objektive Ausübung der Regierungsämter durch Herrn Babiš war beeinträchtigt", die den Aussagen des 64-Jährigen widersprechen.

Babiš, der oft "Tschechiens Trump" genannt wird, hat als Anti-Establishment-Rebell Karriere gemacht und spricht von "Hysterie". Er sagte am Freitag, Tschechien werde keine Subventionen zurückzahlen: "Dafür gibt es keinen Grund. Ich habe keine Gesetze gebrochen." Der EU-Report sei "eine gezielte Aktion". Die Kommission habe die Anzeige der Piratenpartei und der "korrumpierten" Nichtregierungsorganisation Transparency International kopiert. So zitiert die Nachrichtenseite iRozhlas aus einer SMS des Premiers. Babiš selbst hatte iRozhlas noch im Parlament als "Babiš-Hasser" bezeichnet, bevor er ihnen später ein Interview gab. Dort erklärte er, dass die tschechischen Juristen den Fall anders bewerteten als die EU und beteuerte: "Ich bin in keinem Interessenkonflikt."

Babiš betont: Gesetze habe er eingehalten und sein Land werde keine Subventionen zurückzahlen

Ganz anders sieht dies Ingeborg Gräßle (CDU), die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament. Sie nennt den Kommissionsbericht "eindrucksvoll" und hält nur eine Schlussfolgerung für möglich: "Andrej Babiš hat seine Stellung als Politiker eindeutig genutzt, um daraus wirtschaftliche Vorteile für sich zu ziehen." Umstritten ist jenes Konstrukt, das der Gründer der Ano-Partei und damalige Finanzminister vor zwei Jahren ins Leben rief. Bis zum 9. Februar 2017 war es nicht explizit verboten, öffentliche Gelder und EU-Subventionen an Firmen mit möglichen Interessenkonflikten zu vergeben. Bevor das Gesetz geändert wurde, übertrug Babiš seine Anteile am Unternehmen Agrofert und der gleichnamigen Firmengruppe in zwei private Treuhandfonds. Er beteuert seither, kein "direktes oder indirektes Interesse" an der Gruppe mehr zu haben. Dies widerlegt der EU-Bericht: Babiš habe "entscheidenden" Einfluss auf Agrofert. So habe er die Mitglieder der Treuhand-Trusts (etwa seine Ehefrau Monika) bestimmt und könne diese entlassen.

Gravierend sei zudem, dass Babiš als Ministerpräsident nicht nur die Richtlinien der Politik bestimme, sondern auch in Gremien sitze, in denen über die Vergabe von EU-Fördergeldern entschieden werde. In seinen Regierungsämtern sei er involviert gewesen "in Entscheidungen, die die Agrofert-Gruppe betreffen". Weil die tschechischen Kontrollmechanismen versagt hätten, hält die Kommission alle an Agrofert nach dem 9. Februar 2017 ausgezahlten Gelder für "irregulär". Sie müssten zurückgezahlt werden. Als Summe werden knapp elf Millionen Euro genannt. Im tschechischen Parlament soll der Fall am Dienstag debattiert werden. Die Opposition und die mitregierenden Sozialdemokraten wollen eine gemeinsame Antwort aller Abgeordneten, die nicht der Ano angehören, an die EU verfassen. Jan Hamáček, Chef der Sozialdemokraten, twitterte: "Es ist einfach logisch, dass unrechtmäßige Zahlungen zurückgezahlt werden." So sieht das auch die Bürgermeister-Partei Stan, deren Vorsitzender Vít Rakušan fragt: "Warum sollte der Steuerzahler das Unternehmen eines tschechischen Multimilliardärs finanzieren?" Dienstag steht zudem die nächste Demonstration auf dem Wenzelsplatz an.

Aller Voraussicht nach ist es am Ende der Europäische Gerichtshof (EuGH), der die Entscheidung über das Ausmaß von Babiš' Interessenkonflikte trifft. Die tschechischen Ministerien haben nun einige Wochen Zeit, auf den Bericht der EU-Kommission zu antworten. Nach Berücksichtigung dieser Stellungnahme kann die Kommission einen Bescheid über Rückzahlung von Subventionen ausstellen, gegen den Prag vor dem EuGH Einspruch erheben kann.

Der Fall Babiš hat nach Gräßles Einschätzung Signalwirkung, da es sich um den ersten Test der 2018 in Kraft getretene Neufassung der EU-Haushaltsordnung handelt, mit der Missbrauch von Fördergeldern unterbunden werden soll. Gräßle, die sich als Kämpferin gegen Korruption einen Namen gemacht hat, sieht Babiš' Parteifreunde im Europaparlament in der Pflicht: Dessen Ano-Bewegung gehört wie die FDP zur liberalen Alde-Fraktion. Alde müsse aufhören, "Herrn Babiš als ehrenwerten Menschen anzusehen", so die CDU-Politikerin, die nach 15 Jahren das Europaparlament verlassen wird. Bart Staes von den Grünen kritisiert, dass die EU-Kommission ihre Untersuchung nicht früher begonnen habe, so dass das Ergebnis vor der Europawahl hätte veröffentlicht werden können. Babiš' Ano-Bewegung wurde bei der Wahl mit 21 Prozent stärkste Kraft und entsendet nun sechs Abgeordnete ins EU-Parlament.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4471159
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.