Tschechien:Spione als Diplomaten getarnt

Im Mittelpunkt ihres Interesses lag die tschechische Energiepolitik: Nun hat die Regierung zwei russische Agenten ausgewiesen.

Klaus Brill, Prag

Es war ein diplomatischer Eklat, wie man ihn selten erlebt. Schon vor einiger Zeit hat die tschechische Regierung, wie erst jüngst bekannt wurde, zwei Angehörige der russischen Botschaft in Prag des Landes verwiesen - wegen Spionage.

Nach Prager Presseberichten handelte es sich um den stellvertretenden Militärattaché und einen weiteren Diplomaten. Die Vermutung, die beiden hätten vor allem die geplante Errichtung einer US-Radarstation im Wald bei Pilsen im Visier gehabt, trifft aber offenkundig nicht den Kern der Sache.

Die Zeitung Mlada Fronta Dnes meldete jetzt, viel stärker sei das Interesse der Russen auf die Energiepolitik gerichtet gewesen. Konkret gehe es dabei um die Versorgung Tschechiens mit Erdgas und die Pläne für einen Ausbau des Atomkraftwerkes Temelin im Süden des Landes.

Der Vorgang berührt eine heikle Stelle im Verhältnis der beiden Länder. Ähnlich wie in Polen ruft auch in Tschechien seit der Wende von 1989 die Auseinandersetzung um die neue Rolle der einstigen kommunistischen Vormacht immer wieder starke Emotionen hervor.

Als Russland 2007 gegen die US-Pläne für den Bau eines neuen Raketenschilds in Polen und der zugehörigen Radarstation in Tschechien massiv protestierte, reagierte der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier schroff abweisend. Er sagte, Russland verhalte sich noch immer so, als ob es bei seinen früheren Satellitenstaaten in Mittel- und Osteuropa ein gewisses Einspruchsrecht habe.

Schwarzenberg war es auch, der im Frühjahr zusammen mit der damaligen Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova beschloss, die beiden als Agenten verdächtigten Russen auszuweisen. Mit Rücksicht auf die bis zum 30. Juni währende tschechische EU-Präsidentschaft und den für Ende Mai terminierten EU-Russland-Gipfel wurde die Ausführung indes um mehrere Monate verschoben.

Zu diesem Zeitpunkt war das Prager Kabinett, dem die Minister angehörten, bereits vom Parlament gestürzt und hatte die Geschäfte an eine Übergangsregierung unter dem Premier Jan Fischer abgegeben. Nach Schwarzenbergs Worten war jedenfalls das Entfernen der beiden Russen unvermeidlich, "ihre Aktivitäten waren nicht zu rechtfertigen".

Retourkutsche in Moskau

Wie die Zeitschrift Respekt inzwischen meldete, hätte die tschechische Regierung Grund gehabt, noch zwei oder drei weitere russische Diplomaten wegen Agententätigkeit aus dem Land zu werfen. Man habe dies aber unterlassen, weil man nach diplomatischer Gepflogenheit die Ausweisung ebenso vieler tschechischer Botschaftsangehöriger hätte erwarten müssen.

Tatsächlich hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Aktion als "weitere Provokation" gewertet und seinerseits zwei tschechische Diplomaten aus Moskau heimgeschickt.

Im Ganzen sind laut Respekt in Tschechien mindestens 100 russische Agenten tätig. In anderen Berichten ist von 60 bis 70 Geheimdienstmitarbeitern und insgesamt 140 Angehörigen der russischen Botschaft in Prag die Rede. Der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS weist in seinen Berichten seit Jahren auf die seit dem Nato- und dem EU-Beitritt Tschechiens verstärkten russischen Spionageaktivitäten hin.

Erst jüngst erklärte die Organisation, russische Agenten verfolgten aktiv die politischen und ökonomischen Interessen ihres Landes und versuchten, feste Kontakte zu Abgeordneten und deren Assistenten sowie zu den Mitarbeitern der Auslandsabteilungen der politischen Parteien aufzubauen. Im Fall der beiden Ausgewiesenen gehe es auch um den Versuch gezielter Einflussnahme auf leitende Mitarbeiter des tschechischen Verteidigungsministeriums.

Ansonsten ist offenbar die Energiepolitik das Feld, das die Russen vor dem Hintergrund ihrer machtvollen Stellung auf diesem Gebiet besonders stark interessiert. Im Fall des Atomkraftwerks Temelin betrifft dies eine jüngst eröffnete Ausschreibung für den Bau zweier weiterer Reaktorblöcke, um den sich unter anderen auch die russische Gesellschaft Atomstrojexport bewirbt. Ihre Chancen werden jedoch ähnlich gering eingeschätzt wie die der russischen Fluggesellschaft Aeroflot, die bei der Privatisierung der tschechischen Luftfahrtgesellschaft CSA mitbieten wollte, von der Regierung aber aus "strategischen Gründen" aussortiert wurde.

In einem anderen Fall gehört die russische Ölgesellschaft Lukoil zu den Firmen, die sich für einen 16-prozentigen Anteil an der Raffineriegesellschaft Ceska rafinerska interessieren, den der Öl-Multi Shell womöglich bald abgeben will. Mehrheitseigner ist hier der tschechische Konzern Unipetrol, hinter dem die polnische Mineralölgesellschaft PKN Orlen steht.

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