Süddeutsche Zeitung

Tschechien:Fünf Parteien, eine Regierung

Von bürgerlich über christlich bis links: Es brauchte einen breiten Schulterschluss, um Tschechiens Populisten zu besiegen. Was die Bürger - auch die europäischen - von dieser Regierung erwarten dürfen.

Von Viktoria Großmann

Schon bevor es nun richtig losgeht, hat Tschechiens neuer Premier Petr Fiala zwei Prüfungen bestanden: Er konnte sich gegen Präsident Miloš Zeman durchsetzen. Und er hat bewiesen, dass er zu seinen zukünftigen Ministern steht, auch zu denen, die nicht seiner Partei angehören.

Eine Fünf-Parteien-Koalition hat Präsident Zeman am Freitag auf Schloss Lány westlich von Prag ernannt - inklusive des Außenministers, gegen den er Vorbehalte hatte. Deshalb hatte Zeman zunächst erklärt, er werde den 36-jährigen Jan Lipavský nicht ernennen, woraufhin sich der Antritt der Regierung zu verzögern drohte. Lipavský ist ein lautstarker Kritiker des russischen und des chinesischen Regimes, Zeman dagegen wurde in der Presse schon als "Putins Agent" und "Botschafter Chinas" beschrieben.

Doch Petr Fiala hielt zu Lipavský, obwohl dieser der linksliberalen Piratenpartei angehört. Fiala selbst ist Chef der bürgerlichen ODS - beide Parteien waren sich über Jahre zutiefst suspekt. Erhebliche Spannungen im kommenden Kabinett wurden deshalb befürchtet, aber Fiala konnte die Sorgen zerstreuen.

Eine so große Koalition wie die des neuen Premiers gab es in Tschechien noch nie. Es brauchte eben die gesamte demokratische Opposition, um gegen die populistische Regierung von Andrej Babiš anzukommen. Nun muss Babiš in die Opposition, die er sich mit den Rechtsextremen teilt. Fialas Regierung aber muss den Reformstau auflösen, der in vielen Jahren chaotischer Regierungen bis hin zu Babiš entstanden ist. Sie muss Ministerien und Behörden von Babiš' Leuten entflechten und neu mit Brüssel anknüpfen. Mit der EU-Kommission lag Babiš im Streit, weil sie ihm einen Interessenkonflikt vorwarf - wegen seiner Firmen, die Millionen an EU-Subventionen erhielten. Bei der nicht immer regelgerechten Verteilung des Geldes hätten viele Stellen in Tschechien mitgeholfen, befand der Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments.

Die neue Regierung ist schon jetzt historisch

"Wir stehen vor großen Problemen", sagte Fiala am Freitag. "Sei es Covid, die hohen Energiepreise, die Teuerung, die Inflation und alles was damit einhergeht." Noch am Nachmittag trat das neue Kabinett erstmals zusammen, beriet über Corona-Maßnahmen. Um eine Verlängerung des Notstandes will die Regierung die Abgeordneten nicht bitten.

Alles an dieser neuen Regierung ist schon jetzt historisch, angefangen mit den Bildern eines Präsidenten, der in seinem barocken Schloss Lány in einem Plexiglaskasten sitzt. Zeman hatte sich, obwohl dreimal geimpft, mit Corona infiziert. Dennoch mussten sich der neue Premier und die Minister vor ihrer Ernennung persönlich bei ihm vorstellen, die Vitrine diente zu ihrem Schutz.

Die Fünfer-Koalition ist eine bunte Mischung: Christdemokraten, Bürgerliche, Liberale und die eher links zu verordnenden Piraten. Fialas Partei der Bürgerdemokraten (ODS) ist die stärkste Gruppierung. Fiala, 57 Jahre alt und Hochschulprofessor für Politik sowie früherer Rektor der Masaryk-Universität in Brünn, tritt gern staatstragend auf. Er spricht bedächtig, versucht auszugleichen, Zuspitzungen sind von ihm selten zu erwarten. Sein Kabinett besteht aus 15 Männern und drei Frauen. Im Abgeordnetenhaus stellen Frauen ein Viertel der Mitglieder, mehr denn je. Größere Minderheiten wie Roma oder vietnamesischstämmige Tschechen sind jedoch nicht vertreten.

"Wir sind der Wandel", hatte Fiala in der Wahlnacht gesagt. Dass dieses Versprechen eingelöst wird, hält der Historiker Jaroslav Miller für wahrscheinlich. "Die neue Regierung hat einen starken Reformwillen", sagt der langjährige frühere Rektor der Palacký-Universität Olomouc und lobt: "Das neue Kabinett ist bedeutend kompetenter als das vorhergehende." Anders als sein Vorgänger Babiš sei Fiala lernfähig und lasse sich beraten.

Innenpolitisch hat die Regierung Großes zu bewältigen. Als erstes steht eine jahrelang aufgeschobene Rentenreform an. Zudem haben sich alle Parteien als wesentliches Thema die Wohnungs- und Mietpreise auf die Agenda gesetzt. Ein Mieterschutz wie in Deutschland existiert in Tschechien nicht, besonders in der Hauptstadt haben viele Mieter nur befristete Verträge und sind der Willkür von Immobilienbesitzern ausgeliefert.

Wie Frankreich setzt Tschechien weiter auf Atomenergie

Beim Erreichen der Klimaziele gilt: Kohle nein, Atomkraft ja. Umweltministerin Anna Hubáčková möchte auf einen Kohleausstieg schon im Jahr 2030 hinarbeiten. Doch wie Frankreich wird Tschechien auch unter neuer Regierung weiter darauf dringen, dass die EU Kernenergie als emissionsfrei anerkennt. Dass der geplante Meiler bei Brünn von einem chinesischen oder russischen Konzern errichtet wird, gilt allerdings als ausgeschlossen.

"Die neue Regierung wird deutlich westlicher sein, sich viel stärker an der EU orientieren", glaubt Miller. Europäische Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung sei wichtig für Tschechien, sogar eine Annäherung an die Eurozone sei drin, sagt der Historiker. Die Regierung werde die tschechische Krone kaum in ihrer Amtszeit durch den Euro ersetzen, "aber sie können diesen Prozess auf den Weg bringen."

Vordringlicher für Premier Fiala ist die Kandidatensuche für die Präsidentschaftswahl im Januar 2023. Das Staatsoberhaupt wird in Tschechien direkt vom Volk gewählt - und Zeman tritt nicht mehr an. "Die neue Regierung muss einen starken, gemeinsamen Kandidaten finden, der das demokratische Lager einen und helfen kann, die populistische Ära zu beenden", sagt Milan Nič von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zeman ist kein Freund der neuen Regierung, das hat er erkennen lassen und stets Andrej Babiš unterstützt. Nun wird damit gerechnet, dass Babiš selbst für das Präsidentenamt kandidieren wird.

Auch außenpolitisch steht eine große Aufgabe an. Im Sommer 2022 übernimmt Tschechien den EU-Ratsvorsitz. Dabei soll das Land entschieden besser dastehen als unter Premier Babiš samt seinem anhaltenden Clinch mit Brüssel. Besser auch als 2009. Damals war während der tschechischen Ratspräsidentschaft in Prag die Regierung geplatzt.

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