Präsidentschaftswahl in Tschechien:Ein General, ein Populist oder eine Frau?

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Die Kandidaten Petr Pavel und Danuše Nerudová vertreten ähnliche Werte. (Foto: Roman Vondrous/Imago)

Drei fast gleich starke Kandidaten kämpfen um den Sitz auf der Prager Burg. Es geht um Weltoffenheit, Anstand und die Zukunft der Demokratie.

Von Viktoria Großmann, Řež/Ostrava

Kurz vor der Präsidentenwahl in Tschechien hat Andrej Babiš es noch geschafft: An diesem Montag wurde er in Prag von den Vorwürfen freigesprochen, EU-Subventionen erschlichen zu haben. Der ehemalige Premier erklärte, es gebe also doch noch eine unabhängige Justiz in Tschechien. Immer wieder hatte er gesagt, der Prozess sei rein politisch motiviert. Babiš hat nun gute Aussichten, es beim ersten Wahlgang an diesem Freitag und Samstag in die Stichwahl zum nächsten tschechischen Präsidenten zu schaffen.

Die Betrugsvorwürfe im Fall des Tagungszentrums Storchennest wurden seit Jahren öffentlich diskutiert. Im Prozess waren erneut Babiš' Familienverhältnisse aufgerollt worden, wieder ging es um seinen erwachsenen Sohn, der die Vorwürfe gegen den Vater bestätigt. Erneut erklärte Babiš vor Gericht seinen Sohn wegen dessen Schizophrenie für unglaubwürdig.

Babiš hat zwei fast gleich starke Konkurrenten, dennoch geht es bei dieser Wahl fast nur um ihn. Denn die anderen Kandidaten wollen vor allem zeigen, dass sie eben nicht wie Babiš sind und auch nicht wie der amtierende Präsident Miloš Zeman.

Eine knappe Mehrheit von Befragten lehnt Ex-Premier Andrej Babiš ab

Zeman hatte stets Wert auf enge Beziehungen zu Russland und China gelegt, griff in wenig staatsmännischem Vokabular Journalisten und Politiker an, arbeitete in seinen Wahlkampagnen mit offensichtlichen Lügen. Mit Babiš kam er gut zurecht. Nach zwei Amtszeiten darf der 78-Jährige nicht mehr antreten.

Für viele Menschen in Tschechien bedeutet diese dritte direkte Präsidentschaftswahl auch eine Entscheidung über Ansehen und politische Ausrichtung der Republik. Im Herbst 2021 hatte Andrej Babiš bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus die Regierungsmehrheit verloren - was vor allem dem schlechten Abschneiden seines Koalitionspartners geschuldet war.

Zudem hatte sich die damalige Opposition verbündet und regiert nun in einer Fünferkoalition. Babiš' Partei kam damals auf fast 30 Prozent - diese Wähler könnte er nun wiedergewinnen.

Andrej Babiš vor Gericht: Anfang der Woche wurde er vom Vorwurf des Subventionsbetruges freigesprochen. (Foto: Kamaryt Michal/dpa)

"Nach unseren Modellen von Anfang Januar hat Andrej Babiš die besten Chancen, es in die Stichwahl zu schaffen", sagt die Analystin Helena Truchlá vom Prager Meinungsforschungsinstitut Stem. Dann aber sehe es schlecht für ihn aus. Denn es sei nicht nur entscheidend, wie viel Zustimmung ein Kandidat erreichen könne, sondern auch wie viele Leute ihn grundsätzlich ablehnten. Und das waren im Fall Babiš 52 Prozent der Befragten. "Mehr als bei Zeman", sagt Truchlá. Auf die Zeman-Wähler könne Babiš ohnehin nicht unbedingt zählen. Dessen Wähler könnten sich auch für einen anderen Kandidaten entscheiden, "oder sie bleiben daheim".

Danuše Nerudová spricht vor allem die Jüngeren an

"Es muss normal sein, dass der Präsident nicht lügt und nicht stiehlt." Das sagt Danuše Nerudová Ende November in einem kleinen, aber voll besetzten Hörsaal des technischen Forschungszentrums ÚJV in Řež bei Prag. Nerudová, 44, hat als erste Frau reelle Chancen, Präsidentin der Tschechischen Republik zu werden. Auch eine Premierministerin hatte Tschechien noch nie.

Somit steht die Wirtschaftswissenschaftlerin schon allein aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts für einen Wandel - genauso präsentiert sie sich auch. Und innerhalb kürzester Zeit hat es die vormalige Rektorin der Mendel-Universität Brno (Brünn) zu traumhaften Umfragewerten gebracht, obwohl sie vor einem Jahr kaum einer kannte.

Miloš Zeman wurde zweimal zum Präsidenten Tschechiens gewählt, nun darf er nicht erneut antreten. (Foto: Lisa Leutner/AP)

Mut machen, Hoffnung geben, Ziele erreichen, das sind so die Schlagworte, die Nerudová benutzt. In einem cremefarbenen Kleid mit passenden Pumps steht sie vor ihrem Publikum, schick, aber nicht übertrieben, das blonde Haar glänzt unter der grellen Hörsaal-Beleuchtung. "Ein Präsident muss den Leuten das Gefühl geben, dass sich jemand um sie kümmert", sagt sie vor den etwa 80 Leuten in Řež. Nahbar will sie sein, bescheiden und fleißig auch. Ein Präsident wie der Österreicher Alexander Van der Bellen, der wie normale Leute Straßenbahn fahre, sei für sie ein Vorbild.

Ihr Publikum ist im Alter gemischt, doch auch in Řež wird deutlich: Nerudová zieht junge Menschen an. Sie hat ihre ganze Familie, auch ihre zwei halbwüchsigen Söhne, in die Kampagne einbezogen, beherrscht alle Kanäle, auch Tiktok, das wirkt. Zudem spricht sie über bessere Bildungschancen, weniger Druck, weniger Auswendiglernen, mehr Entfaltung.

Nicht, dass eine Präsidentin auf so etwas alles Einfluss hat, aber Nerudová möchte auch als besseres Vorbild wirken. Was sie von den anderen Kandidaten unterscheidet, wird sie in Řež gefragt. "Ich trage keine Lasten der Vergangenheit mit mir herum."

Petr Pavel, ein Soldat der ČSSR, der über die Wende erleichtert war

Eine Anspielung nicht nur auf Andrej Babiš, der in der Slowakei offiziell als ehemaliger Geheimdienstler gilt und im Ausverkauf der Wendezeit den Grundstein für sein Millionenvermögen gelegt hat. Sondern auch auf Petr Pavel, 61, General a. D., bis 2018 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Und vor 1989 Fallschirmjäger bei der Armee der ČSSR.

Zwei Tage nach Nerudovás Auftritt bei Prag sitzt Pavel auf einem Podium der Großstadt Ostrava, ganz im Osten Tschechiens. Der Theatersaal des Kulturhauses hat etwa 400 Plätze und ist gut gefüllt. Pavel, weißes Haar, weißer, kurz geschnittener Vollbart, Sakko, Jeans, keine Krawatte, antwortet auf jede Frage mit derselben ruhigen, tiefen Stimme. Für ihn sei es wichtig, sich zu fragen, "wie man sich in einer großen Welt anständig verhält und dabei nicht verliert". Von einem Zuhörer auf seine Militärkarriere angesprochen, sagt er: "Ich bin froh, dass ich dieses Land vor 1989 kannte, denn ich weiß, was ich nicht mehr will."

Am nächsten Morgen nimmt er sich Zeit für ein kurzes persönliches Gespräch. Wie war das nun im November 1989 in der Kaserne? Was die Menschen auf den Straßen erstritten, sagt Pavel, "das war auch für mich eine Erleichterung". Schon sein Vater sei beim Militär gewesen, der Weg erschien vorgezeichnet, doch schon länger seien ihm Zweifel am System gekommen.

Nach der Wende studierte Pavel in London, machte Karriere in der Armee des demokratischen Tschechiens, erklärte seinen Landsleuten als General den Einsatz und die Toten in Afghanistan - und nun als Präsidentschaftskandidat den Krieg in der Ukraine.

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Pavel mag deutlich älter sein als Nerudová, doch wie sie steht er für eine moderne Gesellschaft, spricht sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus, beide sehen sich fest auf dem Boden von Nato und EU, kritisieren Zemans frühere Russlandnähe. Und beide haben die ausdrückliche Unterstützung der Regierung.

Gegenseitig griffen sie sich kaum an, dabei geriet auch Nerudová in die Kritik, als bekannt wurde, dass Doktorgrade an der Mendel-Universität vor allem an ausländische Studenten wohl ziemlich rasch vergeben wurden. Doch dieser Wahlkampf verlief deutlicher ruhiger und zivilisierter als frühere. Wohl auch, weil Andrej Babiš sich von fast allen gemeinsamen Debatten fernhielt, nur seine Anhänger besuchte und daraufsetzte, dass, wie er sagte, seine Ansichten ohnehin jeder kenne. Falls also noch Gemeinheiten ausgepackt werden, dann wohl erst nach dem ersten Wahlgang.

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Von Viktoria Großmann

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