Tschechien:Dasselbe in Orange

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Ivan Bartoš, der Vorsitzende der Piratenpartei (li.), war tschechischer Digitalminister. Bis ihn Ministerpräsident Fiala (re.) vergangene Woche überraschend entließ. (Foto: Vaclav Salek/Imago)

Tschechiens Premier Petr Fiala wird ohne die umweltbewegte Piratenpartei weiterregieren, was für sie gar das Ende bedeuten könnte. Der Vergleich mit den deutschen Grünen drängt sich auf.

Von Viktoria Großmann, Warschau

An diesem Montag soll das Schicksal der tschechischen Piratenpartei besiegelt werden. Die linksliberale Partei will aus der Fünferkoalition in Prag aussteigen, derzeit läuft noch die Online-Abstimmung unter den Mitgliedern. Doch der Bruch ist schon geschehen: Ministerpräsident Petr Fiala von den konservativen Bürgerdemokraten ODS hatte am vergangenen Dienstag überraschend und recht unsanft seinen Vize-Premier und Vorsitzenden der Piraten, Ivan Bartoš, aus dem Amt entlassen. Damit nimmt eine Regierungskrise ihren Lauf, die Fiala beschädigen, für die Piratenpartei sogar das Ende bedeuten kann.

Ivan Bartoš, 44, promovierter Informatiker und wohl erster tschechischer Abgeordneter mit Dreadlocks, war Digitalminister. Und soll laut Fiala ausgerechnet die Digitalisierung des Bausektors nicht hinbekommen haben. Das sei der Grund für die Entlassung. Zwei Tage zuvor war Bartoš mit dem ganzen Präsidium vom Vorstand seiner Partei zurückgetreten. Diese hatte bei den Regionalwahlen vor einer Woche praktisch alles verloren: In den 13 Regionalvertretungen konnte sie nur drei von 99 Mandaten halten.

Hingegen wurde die populistische Partei ANO des früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš wieder stärker. In einem Jahr wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt – der 70-jährige Milliardär und Unternehmer will erneut die Regierung anführen. Für die Piraten ist das besonders bitter, denn es waren vor allem sie, die gegen den stets von Finanzskandalen und Korruptionsvorwürfen umgebenen Babiš und seine Partei gekämpft hatten.

Die progressiven Piraten verloren zuletzt viele Stimmen – wie die Grünen in Deutschland

Transparenz und Unbestechlichkeit sind die Werte, für welche die Piratenpartei stehen will. „Wir sind die einzige Partei ohne Korruption“, so lautet ihr Slogan. Fest steht, sie sind die einzige linksliberale Partei Tschechiens, die einzige, die sich auch Umweltthemen widmet, etwa einen baldigen Ausstieg aus der Braunkohleverbrennung will.

Man kommt nicht umhin, die Entwicklung der Partei mit den Grünen in Deutschland zu vergleichen – nicht nur wegen des zeitlichen Zusammentreffens. Zwar ist die Piratenpartei, die erst 2009 gegründet wurde, deutlich jünger, spricht aber ein ähnliches Publikum wie die Grünen an. Sie verbreitete eine ähnliche Aufbruchstimmung und verkörperte auch ähnliche Werte. Nicht umsonst gehören die Piraten im Europaparlament zur Grünen-Fraktion. Und genau wie die Grünen in Deutschland und Österreich verloren die Piraten in Tschechien zuletzt radikal an Wählerzustimmung und Überzeugungskraft. Es ist dasselbe Muster – nur, dass die Parteifarbe der Piraten Orange ist.

Noch 2017 waren die Piraten als drittstärkste Kraft ins tschechische Parlament eingezogen. Es folgte Sieg auf Sieg, Regionalwahlen, Europawahlen, Senat. Und dann 2021 die entscheidende Parlamentswahl. Fünf Oppositionsparteien, die sich lange gegenseitig bekämpft hatten, hatten sich zu zwei Wahlbündnissen zusammengeschlossen und gelobt, gemeinsam eine Regierung gegen Babiš zu bilden. Der Plan ging auf.

Viele Vorzugsstimmen gingen an den Bündnispartner – und damit auch viele Mandate

Doch schon im Moment ihres größten Triumphs begann 2021 der Abstieg der tschechischen Piratenpartei. Babiš war abgewählt, viele seiner Gegner waren erleichtert. Über Jahre hinweg hatten immer wieder Großdemonstrationen mit bis zu 250 000 Menschen in Tschechien stattgefunden – gegen Korruption, für die Demokratie, für Europa. Babiš hatte dafür nur gehässige Kommentare übrig. Rückenwind bekam er vom damaligen Präsidenten Miloš Zeman, einem Russland- und China-Freund, Verächter der öffentlich-rechtlichen Medien. Am Wahlabend im Oktober 2021 hörte man in den Altstadtstraßen Prags jemanden beseelt in sein Smartphone rufen: „Wir sind fertig mit diesem slowakischen Stasi-Spitzel!“ Denn Babiš stammt gebürtig aus Bratislava, Akteneinträge weisen ihn als früheren Geheimdienstmitarbeiter der ČSSR aus.

Doch für die Piraten, stete Mahner vor zu viel Nähe zu Russland und China, war es auch ein trauriger Abend. Die Piraten hatten sich mit der liberalen Gruppierung STAN, Bürgermeister und Unabhängige, zusammengetan. Gemeinsam wurden sie drittstärkste Kraft. Doch tschechische Wähler dürfen Vorzugsstimmen für Kandidaten vergeben – und hatten vor allem beim Bündnispartner ihre Kringel gemacht. Das kostete die Piraten damals 18 von 22 Mandaten. Drei Jahre in der Regierung konnten ihr Ansehen bei den Wählern offenbar kaum verbessern. In Umfragen liegen sie derzeit bei etwa acht Prozent.

An diesem Montag will sich Staatspräsident Petr Pavel mit den Parteispitzen treffen. Er muss Fialas Vorschlag zur Abberufung von Bartoš erst noch annehmen. Fialas Schritt hat auch deshalb viele überrascht, weil der 60-jährige frühere Rektor der Brünner Universität als geduldig und vermittelnd, beinahe konfliktscheu gilt. Als eher zu ruhig statt zu aufbrausend.

Der tschechische Außenminister Jan Lipavský möchte kein Pirat mehr sein – er will seinen Regierungsposten behalten und lieber die Partei verlassen. (Foto: Andreea Alexandru/AP)

Möglich, dass Fiala seine Partei bereits auf einen Wahlkampf ohne die Piraten einstimmen will. Deren Politik ist nicht so gut vermittelbar in der eher konservativen tschechischen Gesellschaft, wo man sich vor allem auf ein Nein zur Einwanderung und ein Ja zum Verbrennermotor einigen kann. Neben dem Kampf gegen die Korruption hatten die Piraten viele soziale Themen auf dem Zettel: bezahlbares Wohnen, mildere Regeln für Privatinsolvenz. Vor allem aber viel Einklang mit der Europäischen Union und auch mit deren Green Deal. Fiala hingegen, selbst ausgesprochen proeuropäisch, pocht auf nationale Souveränität, große Teile seiner Partei sind gar euroskeptisch eingestellt.

Fialas konservative ODS bildet weiterhin mit zwei kleineren konservativen Parteien das Wahlbündnis Spolu (Gemeinsam). Dieses könnte vom Abstieg und Ausstieg der Piraten sogar personell profitieren: Außenminister Jan Lipavský, eines der bekanntesten Gesichter der Piraten, hat bereits erklärt, er werde den Ausstieg aus der Koalition nicht mittragen. Sondern in diesem Fall die Piraten verlassen – und vielleicht bei Fialas Spolu einsteigen.

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