Interessenskonflikt um Tschechiens Premier:Wenn ein Premier den Staat wie eine Firma führt

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Wegen möglicher Interessenkonflikte soll der tschechische Ministerpräsident und Multimilliardär Andrej Babiš nach Ansicht mehrerer EU-Parlamentarier zunächst nicht mehr über den EU-Haushalt verhandeln. (Foto: dpa)

Die Opposition in Tschechien wirft Premier Babiš vor, Politik zum Vorteil seiner eigenen Firmen zu betreiben. EU-Parlamentarier wollen ihn jetzt von Etat-Entscheidungen ausschließen.

Von Viktoria Großmann

Der tschechische Premier Andrej Babiš soll nicht über den EU-Haushalt mitbestimmen dürfen. Das fordern Abgeordnete aus sechs der sieben Fraktionen des Europaparlaments. Über eine entsprechende Resolution soll an diesem Freitag abgestimmt werden. Darin fordern sie von der EU-Kommission eine "Null-Toleranz-Politik gegenüber Interessenkonflikten".

Nach Untersuchungen der Kommission übt Babiš entscheidenden Einfluss auf das von ihm aufgebaute Firmenimperium aus. Nach Überzeugung der Parlamentarier reicht der Verdacht aus, um Konsequenzen zu ziehen. Babiš beruft sich darauf, dem Gesetz genüge zu tun, indem er seine Anteile in zwei Treuhandfonds ausgelagert hat.

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"Unsere Hoffnung ruht jetzt auf der EU", sagt der Europaabgeordnete Tomáš Zdechovský. Aus Sicht des Christdemokraten ist der Premier längst unhaltbar. Doch in Tschechien kann sich die Opposition gegen ihn nicht durchsetzen. Die Minderheitsregierung kann sich auf die kommunistische Partei verlassen und manchmal auf die Stimmen einer ansonsten isolierten rechtsextremen Fraktion stützen. Im EU-Parlament hingegen wird die Resolution sogar von der liberalen Renew-Fraktion mitgetragen, der die Vertreter der von Babiš gegründeten Partei Ano angehören.

Babiš spricht stets nur von "ehemaligen Firmen"

Die Ansicht der EU-Kommission, dass Babiš noch immer die Agrofert-Holding kontrolliert, hat nun neue Nahrung erhalten. Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Tschechien berichtete, wird Babiš in Großbritannien im Handelsregister als entscheidungsberechtigter Treuhänder von Agrofert geführt. Ebenso in der Slowakei. Zur Agrofert Holding gehören 230 Unternehmen in mehreren EU-Ländern, die von Toastbrot bis Traktoren vieles herstellen, was mit Landwirtschaft zu tun hat. Aber auch 30 Prozent der tschechischen Medien gehören zur Holding.

Babiš spricht stets nur von seinen "ehemaligen Firmen". Berichte über die Untersuchungen zum Interessenkonflikt bezeichnet er als "Kampagne" und "politisch motiviert". Zdechovský und einen weiteren tschechischen EU-Abgeordneten nannte er "Landesverräter". Die beiden waren mit einer Delegation des Haushaltskontrollausschusses des EU-Parlaments im Februar nach Prag gereist - der Premier wollte sich nicht mit ihnen treffen.

Aus Sicht von Oppositionspolitikern, Antikorruptionsaktivisten und Organisationen wie Transparency International (TI) reichen die Beweise gegen Babiš längst aus. Für sie ist klar: Der Premier handelt zum Vorteil seiner Firmen und möglicherweise mit ihm verbundener Großunternehmer. Babiš war angetreten mit der Ankündigung, den "Staat wie eine Firma" zu führen. Die Antwort vieler Demonstranten, die im vergangenen Jahr zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, lautete: "Wir sind nicht deine Angestellten".

"Wir lügen nicht, wir stehlen nicht und wir arbeiten für Sie"

Nun demonstrieren sie wieder, ordentlich aufgestellt, mit Mindestabstand. Die Anlässe gehen ihnen nicht aus. Etwa die tschechische Umsetzung der von der EU geforderten Richtlinie im Kampf gegen Geldwäsche. Der vorliegende Gesetzesentwurf helfe Babiš sogar, kritisiert TI. Statt Transparenz schaffe er die Möglichkeit, Eigentumsverhältnisse zu verschleiern. Gleichzeitig protestiert der Verband der privaten Landwirte gegen die Idee, im Handel eine Quote für tschechische Lebensmittel einzuführen. Das helfe Agrofert, sich einen größeren Absatzmarkt zu sichern und die Preise zu diktieren. Vorteilsnahme auch im Bereich der Medien wurde Agrofert zuletzt vorgeworfen, als bekannt wurde, dass das staatliche Eisenbahnunternehmen vor allem in den zur Agrofert gehörenden Zeitungen Anzeigen schaltet.

Doch nun hat Babiš auch Ärger im eigenen Haus. Gegen hochrangige Parteimitglieder wird wegen Korruption ermittelt. Als Reaktion löste Babiš den Verband in Brünn auf. Von einer Mafia ist die Rede, welche die Stadt unter sich aufteilen wollte. Auf der Homepage der Partei findet sich dazu keine Erklärung. Dort prangt weiterhin der Wahlspruch: "Wir sind die Bewegung Ano. Wir lügen nicht, wir stehlen nicht und wir arbeiten für Sie."

"Er ist ein Capodeitutticapi", sagt Zdechovský, ein Boss der Bosse. Babiš kontrolliere alles. Behörden und Ministerien getrauten sich nicht, aufzumucken. Die Resolution richtet sich gegen solche "oligarchischen Strukturen", die dazu führten, dass "eine kleine Minderheit von der großen Mehrheit der EU-Subventionen profitiert". Die Agrofert-Holding weist in einem Brief an den Parlamentsvorsitzenden David Sassoli alle Vorwürfe zurück. Es handle sich um politische Einflussnahme auf die Kommission. Die Resolution ist allerdings nicht bindend.

© SZ vom 19.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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