Es dauert dann doch nicht so lang, im unterlegenen Regierungslager einen Optimisten zu finden, der das Wahlergebnis in Tschechien gar nicht so schlimm findet. Die konservativ-christlich-liberale Regierung von Petr Fiala hat jedenfalls ihre Mehrheit im Parlament verloren. Gewonnen hat mit großem Vorsprung der Populist Andrej Babiš. Der triumphiert unter einem Konfettiregen in den blau-weiß-roten Landesfarben und sieht sich auf dem „Gipfel seiner Karriere“. Das Wahlergebnis seiner Partei Ano, die Steuererleichterungen versprochen hat, Wohltaten für Rentner und steigende Löhne, ist beachtlich: Sie hat 34,5 Prozent der Stimmen erhalten und damit 80 der 200 Sitze in der Sněmovna, dem tschechischen Unterhaus.
Der Optimist, der sich trotz der Wahlniederlage nicht geschlagen geben will, heißt Hayato Okamura und hat, wie es der Name vermuten lässt, auch japanische Wurzeln. Das Wahlergebnis sei eigentlich gut, erklärt der Christdemokrat von der Partei KDU-ČSL auf der Wahlparty. Das Wahlbündnis Spolu hat mit gut 23 Prozent besser abgeschnitten als erwartet. Der Koalitionspartner „Bürgermeister und Unabhängige“ (Stan) machte einen guten dritten Platz und dahinter folgen die liberalen Piraten, die sich mit den Grünen zusammengetan hatten. Sie gewinnen 14 Sitze dazu. Diese beiden Parteien sind es vor allem, mit denen auch deutlich mehr Frauen ins Abgeordnetenhaus einziehen. Sie werden nun weit mehr als ein Drittel sein, für die extrem männerlastige tschechische Politik ein gutes Zeichen.
Ein Brüderpaar in entgegengesetzten Lagern
Okamura aber freut vor allem, „dass die Rechtsextremisten im Vergleich zur vergangenen Wahl verloren haben“. Und zwar fünf Sitze von bisher 20. Trotzdem könnten sie jetzt in die Regierung kommen. Denn Babiš braucht Koalitionspartner. Aber Hayato Okamura glaubt das nicht. Was bedeutet: Er rechnet nicht damit, dass sein jüngerer Bruder Tomio Okamura einen Ministerposten erhält.
Tomio Okamura führt die stramm rechtsextreme Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ an – die für deutsche Ohren gewöhnungsbedürftige Abkürzung lautet SPD. Sie ist seit 2017 im Abgeordnetenhaus, Okamura hatte früher mal einen Sitz im Senat. Der Sohn eines Japaners äußert sich immer wieder rassistisch und islamfeindlich; er ist ein entschiedener Zuwanderungsgegner, den EU-Migrationspakt lehnt er ab. Zudem versprach er im Wahlkampf ein Referendum über einen EU-Austritt. Die Partei seines Bruders, sagt nun der Ältere – der sich für Minderheiten und für die Ukraine engagiert – werde nicht in der Lage sein, Minister aufzustellen. Gleiches gelte für die Autofahrer-Partei, die erstmals ins Parlament einzieht, vor allem auf Kreuzzug gegen Umweltschutz ist und einen schlanken, unternehmerfreundlichen Staat verspricht.
Auch auf der Party der zivilgesellschaftlichen Organisation „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ haben die meisten gegen neun Uhr abends ihren Humor wiedergefunden. Die Gruppe hatte sich 2018 gegründet und war schnell zu einer Anti-Babiš-Bewegung geworden. Sie brachte bis zu 250 000 Menschen gegen die erste Babiš-Regierung und gegen den damaligen sehr Russland- und China-freundlichen Präsidenten Miloš Zeman auf die Straße. Babiš führte von 2017 bis 2021 mit den Sozialdemokraten eine von den Kommunisten unterstützte Minderheitsregierung an. Schon damals hatte Babiš Ärger mit der EU-Kommission, die ihn wegen seiner Firmen als Politiker im Interessenkonflikt sah. Zudem hatte Babiš Gerichtsverfahren am Hals, manche sind bis heute nicht beendet.
„Babiš-Wähler interessieren sich nur für einen vollen Kühlschrank“, sagt der Chef einer Bürgerorganisation
Und nun ist Babiš aus der Opposition zurück. „Unsere Arbeit ist also wichtiger denn je“, sagt der Vorsitzende Lukáš Hilpert: „Wir machen weiter.“ In der Woche vor der Wahl hatte er mit seinen Mitstreitern in Prag eine Demo gegen den Extremismus veranstaltet. Die Stärke der Organisation liegt aber darin, vor allem abseits der Hauptstadt mit Menschen ins Gespräch zu kommen, über den Sinn und den Wert der Demokratie, ob im Wirtshaus oder vor Schulklassen.
Auch Hilpert ist froh, dass die Rechtsextremisten ein paar Sitze verloren haben. Er glaubt auch nicht an die Regierungsbeteiligung der Rechtsextremen. „Die wollen doch gar nicht regieren“, sagt einer seiner Mitstreiter. „Die wollen einfach immer nur dagegen sein.“ Nein, Zustände wie in der Slowakei oder Ungarn, wo sich die Regierungen lieber mit Russland gut stellen und sich von der EU entfernen, werde es in Tschechien nicht geben. Dazu sei man zu pragmatisch – eine sehr häufig zu hörende Selbstbeschreibung.
Außerdem freuen sie sich hier bei den „Eine Million Augenblicke“ auch darüber, dass die „Kommunisten“ keine Sitze erringen konnten. Dabei ist der Begriff Kommunisten eine etwas irreführende Beschreibung für das Verschwörungserzähler-Bündnis „Es reicht“. Diesem hatten sich ein paar verbliebene Sozialdemokraten angeschlossen. Sowohl die kommunistische als auch die traditionsreiche und früher starke sozialdemokratische Partei schafften es 2021 nicht mehr ins Abgeordnetenhaus und zerfielen anschließend. Damit verfiel allerdings 2021 eine Rekordzahl an Wählerstimmen.
Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin Kateřina Smejkalová, die für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag arbeitet, war es ein Fehler der regierenden Parteien, auf die Bedürfnisse der früheren Links-Wähler nicht einzugehen. Zumal angesichts von Inflation, sinkenden Reallöhnen und steigenden Wohnungspreisen. Diese Themen hatten sich nun die Ano-Partei, das Bündnis „Es reicht“ und die Rechtsextremen zu eigen gemacht.
Das unterlegene Wahlbündnis Spolu von Premier Fiala konnte jedenfalls mit denselben Themen wie 2021 nicht erneut gewinnen. Wie es viele Analysten vorhergesehen hatten, war das wiederholte Versprechen, Tschechien „im Westen“ zu halten, zu wenig. „Die Babiš-Wähler interessieren sich nur für einen vollen Kühlschrank“, so die Meinung bei „Eine Million Augenblicke“. Aber ohne vollen Kühlschrank ist Idealismus eben auch schwer.

