Süddeutsche Zeitung

Tschechien:Angeschlagener Volkstribun

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Von Florian Hassel, Warschau

In fünf Jahren mit Miloš Zeman haben sich viele Tschechen an deftige Aussagen ihres Präsidenten gewöhnt. Berühmt-berüchtigt wurde etwa Zemans Warnung vom Oktober 2015, als er im südböhmischen Lechotice eine angeblich drohenden Invasion muslimischer Einwanderer prophezeite: "Wir werden der Schönheit unserer Frauen beraubt, weil sie von Burkas verhüllt werden", orakelte der Präsident - und schob hinterher: "Mir fallen allerdings einige Frauen ein, für die das eine Verbesserung wäre."

Doch sexistische oder fremdenfeindliche Aussagen, Kettenrauchen, heftiger Alkoholkonsum und sichtbare körperliche Angeschlagenheit haben Zeman in den Augen seiner Anhänger nicht geschadet: Vor allem in der Provinz gilt er ärmeren und weniger gebildeten Tschechen als Mann des Volkes, als Vertreter gegen eine entrückte, korrumpierte Elite. Und so tritt der 73 Jahre alte Zeman am Freitag und Samstag erneut für das Amt des Präsidenten an.

Zeman war früher Ministerpräsident und Chef der Sozialdemokraten, er führte Tschechien in die EU. Später tat sich Zeman als Populist hervor, der gegen die angebliche Bevormundung aus Brüssel wetterte. Er pflegt seit einiger Zeit eine Allianz mit dem Multimilliardär Andrej Babiš. Obwohl Babiš von der Prager Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf millionenschweren Betrug angeklagt wurde, ernannte Zeman ihn zum Regierungschef.

Zeman verkündete, er werde Babiš noch einmal vorschlagen, sollte dieser bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament durchfallen. Lehnen die Parlamentarier Babiš auch ein zweites Mal ab, kann der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Oder aber er lässt Babiš im Amt und erlaubt ihm, ohne feste Koalition zu regieren: Die Verfassung lässt dem Präsidenten weiten Spielraum. Im Gegenzug lobte Babiš seinen Präsidenten am Donnerstag als "starke Persönlichkeit" und sagte, er werde bei der Präsidentschaftswahl für Zeman stimmen.

Nicht nur Zemans Union mit Babiš irritiert viele Tschechen, auch sein Hang zu den autoritären Regierungen Russlands und Chinas. Zeman protestiert gegen die EU-Sanktionen gegen Moskau, er ist regelmäßiger Gast von Präsident Wladimir Putin. Zemans enger Mitarbeiter Martin Nejedly leitete eine tschechische Vertretung des russischen Lukoil-Konzerns. Zeman will die weitere Mitgliedschaft Tschechiens in Nato und EU am liebsten in Referenden entscheiden lassen. Zuletzt wetterte Tschechiens Präsident am 9. Dezember als Ehrengast einer rechtsradikalen tschechischen Partei gegen den "Feigling EU".

Nur der urbane Gegenkandidat Jiří Drahoš hat eine Chance gegen den Populisten

Die Truppe der acht Gegenkandidaten Zemans bei der Präsidentschaftswahl ist bunt gemischt: vom Ex-Automanager Vladimir Kulhanek über Ex-Diplomat Pavel Fischer bis zum Geschäftsmann Michal Horáček reicht sie. Nur einer allerdings hat eine Chance, Zeman zu besiegen: Jiří Drahoš, 68 Jahre alter Chemiker und bis März 2017 Präsident der Akademie der Wissenschaften. In diesem Amt traf sich Drahoš mit Politikern bis hinauf zum Regierungschef. Der damalige Präsident Václav Klaus zeichnete ihn 2012 für seine Verdienste aus. Und viele Tschechen bekamen Drahoš 2015 im Fernsehen zu Gesicht, als die Akademie mit einer spektakulären Videoshow ihren 125. Geburtstag feierte.

Jiří Drahoš kündigte an, er würde Milliardär Babiš nicht zum Regierungschef ernennen, solange sich dieser nicht dem Gericht gestellt habe. Generell ist Drahoš der urbane Gegenkandidat zu Zeman: Er ist gegen fremdenfeindlichen Populismus, für EU- und Nato-Mitgliedschaft und für die Orientierung am demokratischen Westeuropa. Zemans kremlfreundliche Haltung nennt Drahoš "unakzeptabel" und einen Hauptgrund, warum Zeman nicht wieder Präsident werden solle. "Wir sagen auf Tschechisch: Der Fisch stinkt vom Kopf - das fasst Zemans Amtszeit perfekt zusammen", sagte Drahoš in Interviews. Zeman wiederum ließ Drahoš durch seinen Sprecher vor einiger Zeit als "künstliches Produkt" der Politwerbung abqualifizieren.

Derlei Hochmut dürfte Zeman nun aber vergangen sein. Nur falls ein Kandidat bei der Samstagmittag endenden Wahl mindestens 50 Prozent der Stimmen bekommt, ist er direkt zum Präsidenten gewählt. Diesen Wert dürften Umfragen zufolge weder der führende Zeman noch der mutmaßliche Zweitplazierte Drahoš erreichen. In diesem Fall müssten Zeman und Drahoš zwei Wochen später in die Stichwahl: Die würde Drahoš mehreren Umfragen zufolge mit deutlichem Vorsprung gewinnen, da ihn dann auch andere Kandidaten unterstützen würden.

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SZ vom 12.01.2018
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