Als Liz Truss in London ihren Rücktritt als britische Premierministerin verkündet, spazieren gut 300 Kilometer weiter südöstlich gerade viele europäische Spitzenpolitiker an Journalisten vorbei. Denn am Eingang des Brüsseler Europa-Gebäudes wartete die Presse an diesem Donnerstag auf die eintreffenden Teilnehmer des EU-Gipfels. Manche konnten sich kleine Seitenhiebe gen London nicht verkneifen: "Ich hoffe, ich kann mich erinnern, wie viele britische Premierminister ich überlebt habe", sagt etwa der luxemburgische Premier Xavier Bettel. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagt, er freue sich auf den Nachfolger von Truss - "ich denke, es wird Nummer fünf sein", seitdem er im Amt sei. Der irische Taoiseach, also Regierungschef, Micheál Martin erklärt eher nüchtern, er wünsche sich, dass der neue Premier "so schnell wie möglich" bestimmt werde.
Dieser Wunsch wird Martin wohl erfüllt werden. Dass Großbritannien bald eine handlungsfähige Regierung hat, ist jedoch nicht nur für das Nachbarland Irland wichtig, sondern für die ganze EU. Schließlich stehen die Briten im Wirtschaftskrieg gegen Russland Seite an Seite mit der EU. Zugleich gibt es Streitpunkte, etwa die Umsetzung des Nordirland-Protokolls, und die lassen sich - wenn überhaupt - nur mit einer stabilen Regierung in London lösen.
Allein schon deshalb hoffen auch viele Europaabgeordnete auf ruhigeres Fahrwasser für den künftigen britischen Premier: "Diese Regierungskrise darf in einer enorm herausfordernden Zeit nicht zu einem Stillstand des Landes führen", sagt der CDU-Abgeordnete David McAllister, der den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten leitet. Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini setzt darauf, dass der neue Premierminister mehr Spielraum hat, die Querelen mit der EU auszuräumen. "Liz Truss war innenpolitisch so mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, dass sie recht still war zum Nordirland-Protokoll", sagt die Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses.
Das Protokoll soll den Frieden sichern
Dieses Protokoll soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Schließlich könnte es den Friedensprozess belasten, sollte die kaum wahrnehmbare Grenze wieder sichtbar werden. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich die einstige Unruheprovinz trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Eine Folge ist, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Denn haben Laster die Häfen in Nordirland verlassen, können sie ja ohne Checks in die Republik Irland und von da in die übrigen EU-Staaten fahren.
Die britische Regierung bezeichnet die Zollbürokratie aber als schikanös und verlängerte eigenmächtig Übergangsfristen. Zudem brachten die Konservativen ein Gesetz ein, mit dem sich die Regierung das Recht gibt, das Protokoll in Teilen zu ignorieren. Die EU-Kommission strengte Vertragsverletzungsverfahren an, unterbreitete jedoch gleichzeitig Vorschläge, wie die Bürokratie verringert werden kann. Damit muss sich nun der Nachfolger von Liz Truss beschäftigen.