Trumps Einwanderungsdekret:Der Staat duldet keine Willkür der Regierenden

Donald Trump

Per Präsidenten-Dekret: Donald Trump beim Unterzeichnen einer seiner vielen executive orders.

(Foto: AP)

Die US-Regierung behauptet, Präsident Trump stehe in Fragen der nationalen Sicherheit eine nicht überprüfbare Entscheidungsbefugnis zu. Doch ein Einreiseverbot per Dekret würde den Rechtsstaat erschüttern.

Gastbeitrag von Michael Bothe

Es gibt kein allgemeines Recht auf Einwanderung. Der wichtigste völkerrechtliche Vertrag zum Schutz universaler Menschenrechte, der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, gewährt ein Recht auf Auswanderung, keines auf Einwanderung. Ein Recht, in einem Staat aufgenommen zu werden, gewährt nur das Flüchtlingsrecht, und zwar denen, die aus einem Land kommen, in dem ihnen politische Verfolgung, Krieg oder Folter drohen.

Wenn die Freizügigkeit rechtlich so schwach geschützt ist, warum die Aufregung über das Dekret des US-Präsidenten, das die Angehörigen von sieben Staaten von der Einreise in die Vereinigten Staaten ausschließt? Die Antwort ist grundlegend: Der moderne Verfassungsstaat duldet keine Willkür der Regierenden.

Auch wenn es kein allgemeines Recht auf Einreise gibt, muss auf rationale, das heißt rechtlich geregelte Weise bestimmt werden, wer zur Einreise in ein Land berechtigt ist und wer nicht. Diese Regelung ist zunächst einmal Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, und dann erst im Rahmen seiner Vorgaben auch Aufgabe der Regierung.

Diese Regelung hat die jeweilige staatliche Verfassung zu achten. So schützt der moderne Verfassungsstaat mit den Mitteln des Rechtsstaats die Würde eines jeden Menschen, der mit ihm in Berührung kommt. Kritiker sagen nun, das Dekret des US-Präsidenten habe gegen diesen Grundwert des modernen Verfassungsstaates, der den westlichen Demokratien gemeinsam ist, verstoßen.

Auf Klage der Staaten Washington und Minnesota hat sich die amerikanische Bundesgerichtsbarkeit in zwei Instanzen dieser Kritik jedenfalls vorläufig angeschlossen. In einem Eilverfahren wurde die Ausführung des Dekrets richterlich suspendiert, wobei nur eine summarische Prüfung vorgenommen werden konnte. Das Berufungsgericht hat sich aber bei aller Kürze schon sehr eindeutig zu der grundlegenden verfassungsrechtlichen Problematik geäußert.

Die Regierung behauptet, der Präsident könne entscheiden

Eine wesentliche rechtsstaatliche Garantie ist die Überprüfbarkeit aller Akte von Legislative und Exekutive durch ein unabhängiges Gericht. Dass dies auch für Akte des Gesetzgebers gilt, hat der amerikanische Oberste Gerichtshof 1803 in einer Entscheidung aus dem Vorrang der Verfassung abgeleitet. Das Urteil wurde für viele Verfassungen rund um die Welt beispielgebend. Es hat auch die Perfektion der Rechtsweggarantien des deutschen Grundgesetzes inspiriert.

In dem Gerichtsverfahren um das Einwanderungsdekret behauptet nun die US-Bundesregierung, dem Präsidenten stehe in Fragen der nationalen Sicherheit eine nicht überprüfbare Entscheidungsbefugnis zu. Dieses Argument hat das Berufungsgericht mit Nachdruck zurückgewiesen.

Zwar haben sich die Gerichte in Fragen der Außenpolitik und der nationalen Sicherheit gegenüber den anderen beiden Staatsgewalten eine gewisse Zurückhaltung auferlegt, was übrigens auch das deutsche Bundesverfassungsgericht gelegentlich tut. Denn Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht die Aufgabe der Gerichte.

Aber diese Zurückhaltung ist nicht gleichbedeutend mit einem vollständigen Verzicht auf richterliche Überprüfung. Insbesondere bei einem solchen allgemeinen Rechtsakt von grundlegender Bedeutung käme ein solcher Verzicht nicht infrage, betont das Berufungsgericht. Das richterliche Prüfungsrecht gilt auch in Notzeiten, in Frieden und Krieg - das ist ständige Rechtsprechung.

Trump-Dekret erhält Verfahrensgarantien nicht einmal im Ansatz

Ferner verletzt das Dekret rechtsstaatliche Verfahrensgarantien (im Englischen "procedural due process") im amerikanischen Verfassungsrecht. Das Verwaltungsverfahrensrecht der westlichen Demokratien enthält regelmäßig solche Verfahrensgarantien. Im deutschen Verfassungsrecht sind sie auch Bestandteil des Grundrechtsschutzes. Sie sind gemeinsame Verfassungstradition der westlichen Demokratien.

Lauft Berufungsgericht gehören zum due process des amerikanischen Rechts insbesondere die vorherige Mitteilung eines geplanten Akts, eine Gelegenheit zur Stellungnahme und die Berücksichtigung der in einer solchen Stellungnahme vorgebrachten Verteidigung.

Das Dekret enthält solche Verfahrensgarantien nicht einmal im Ansatz. Deren bedarf es nach Auffassung der amerikanischen Bundesregierung ja gar nicht, da die durch das Dekret betroffenen Ausländer überhaupt keinen Verfassungsanspruch auf due process hätten.

Der Verfassungsrechtsschutz von Ausländern und im Ausland ist allerdings nicht nur im amerikanischen Recht ein Problem. Es ist auch in Deutschland Gegenstand von Gerichtsentscheidungen und umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten.

Im amerikanischen Recht hat er in der jüngsten Vergangenheit für den Status der Gefangenen in Guantanamo eine entscheidende Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof Versuchen von Kongress und Regierung widerstanden, die Verfahrensrechte der Häftlinge zum Schutz ihrer persönlichen Freiheit über Gebühr einzuschränken. Diese Rechtsprechung wird auch vom Berufungsgericht zitiert.

Für den due process weist es eine ständige Rechtsprechung nach, dass nicht nur Bürger der Vereinigten Staaten dieses Recht hätten, sondern jedermann, der sich in den Vereinigten Staaten befindet, mit welchem Status auch immer, dauernd oder vorübergehend, legal oder illegal.

Die Verfassung gilt für jeden, der sich im Land befindet

Auch Personen, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten, das Land aber vorübergehend verlassen und nun wieder einreisen wollen, gehören dazu, ebenso Personen, an deren Einreise eine in den Vereinigten Staaten befindliche Person ein rechtlich geschütztes Interesse hat, wie im Falle eines Familiennachzugs.

Danach mögen allerdings auch Personen von dem Dekret betroffen sein, die keinen Verfassungsanspruch auf due process haben. Dem Antrag der Regierung, das Dekret jedenfalls für solche Personen aufrechtzuerhalten, entgegnet das Gericht mit leichter Ironie, es sei nicht seine Aufgabe, ein neues Dekret zu schreiben, gegen das verfassungsrechtliche Einwände nicht mehr erhoben werden könnten. Die US-Regierung hat nun angekündigt, dass sie an einem solchen Dekret arbeitet.

Auch deshalb ist ein weiteres vom Berufungsgericht betontes verfassungsrechtliches Bedenken gegen das Dekret wichtig, nämlich die Garantie der Religionsfreiheit. Das Dekret ist Bestandteil einer Politik des "Muslim ban", einer Ausgrenzung von Muslimen. Einige Bestimmungen bevorzugen der Sache nach christliche Flüchtlinge gegenüber Muslimen.

Eine solche Bevorzugung einer Religion gegenüber einer anderen verletzt das verfassungsrechtliche Verbot der Religionsgesetzgebung. Eine abschließende Aussage darüber war im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erforderlich, das Gericht behält sie sich aber ausdrücklich vor.

Der Autor ist emeritierter Professor für öffentliches Recht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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