Trump vs. Biden:Sticheln, ätzen, provozieren

In dem Rüpel-Duell ging es wenig um Argumente und viel darum, den eigenen Anhängern etwas zu bieten. Schwankende Wähler dürfte so keiner der beiden überzeugt haben.

Von Hubert Wetzel

Furchtbar, chaotisch, unwürdig - am Morgen nach der ersten TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden waren die politischen Kommentatoren in den USA noch genauso entsetzt wie am Abend zuvor. Und obwohl diese Adjektive alle dazu taugen, das zu beschreiben, was am Dienstag in Cleveland los war, könnte man den vielen Entsetzten auch diese Frage stellen: Was hatten sie eigentlich erwartet? Höfliches Geplauder? Komplimente? Argumente? Nicht wenn Donald Trump am Rednerpult steht.

Es gibt zwei mögliche Analogien, um eine TV-Debatte unter amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zu beschreiben. Die erste ist der Boxkampf. Kandidat A steigt gegen Kandidat B in den Ring, dann setzt es Hiebe. Am Ende geht einer der beiden Kämpfer k.o. oder verliert nach Punkten. Die zweite Analogie ist das Theater. Zwei Schauspieler stehen auf der Bühne, aber sie ignorieren den Regisseur und spielen für ihr jeweiliges Publikum eine ganz bestimmte Rolle. Und da kann es durchaus passieren, dass beide am Ende als Gewinner dastehen - ausgebuht von der Gegenseite, aber bejubelt von ihren Fans.

Trump platzierte seine Schlagworte wie "Aktienmarkt" oder "sozialistische Demokraten"

Die Debatte zwischen Trump und Biden am Dienstagabend in Cleveland, das erste von drei geplanten Zusammentreffen zwischen dem republikanischen Präsidenten und seinem demokratischen Herausforderer, war eine Mischung aus beidem - teils Faustkampf, teils Theaterstück. Es ging ruppig zu, es wurden Haken geschlagen, es floss, wenn man es so sagen will, Blut. Heftiger sind in der jüngeren US-Geschichte wohl noch nie zwei Kandidaten aneinandergeraten. Aber am Boden lag nach 90 Minuten keiner der beiden.

Trump vs. Biden: "Kannst du mal die Klappe halten, Mann?": Joe Biden (Mitte) zeigte manchmal, wie genervt er war von Donald Trumps Dauerangriffen. Rechts im Bild Moderator Chris Wallace.

"Kannst du mal die Klappe halten, Mann?": Joe Biden (Mitte) zeigte manchmal, wie genervt er war von Donald Trumps Dauerangriffen. Rechts im Bild Moderator Chris Wallace.

(Foto: Jim Watson/AFP)

Im Gegenteil: Sowohl Trump als auch Biden konnten zufrieden heimfahren. Denn was die theatralische Leistung angeht, haben beide ihre Sache ordentlich gemacht. Donald Trump spielte Donald Trump, Joe Biden spielte Joe Biden - und den Fans gefiel es. In einer Umfrage des Senders CBS sagten später 48 Prozent der Zuschauer, Biden habe gewonnen, 41 Prozent sahen Trump als Sieger. Es ist kein Zufall, dass dieses Ergebnis fast exakt den Beliebtheitswerten beider Kandidaten in der Bevölkerung entspricht.

Trump war anzumerken, dass er den Zweikampf mit Biden seit Langem herbeigesehnt hatte. Er liegt in den Umfragen hinter dem Demokraten, bis zur Wahl sind es nur noch fünf Wochen, und wenn Trump nicht verlieren will, muss er das Rennen aufmischen. Die drei Fernsehdebatten spielen dabei in der Strategie des Präsidenten eine entscheidende Rolle. Sie sind der Kampfplatz, auf dem er seinen Gegner endlich Mann gegen Mann stellen und - so der Plan - grün und blau prügeln will.

Wer die „Proud Boys“ sind

Donald Trump hat in Amerikas rechtsextremer Szene Begeisterung ausgelöst. Angesprochen auf die Gruppe "Proud Boys", sagte der US-Präsident in der Fernsehbatte: "Stand back and stand by" - haltet euch zurück und haltet euch bereit. Irgendjemand müsse schließlich etwas gegen die Antifa und die Linken unternehmen, fuhr Trump fort. Medienberichten zufolge feierte die Gruppe diese Aussagen in Social-Media-Diensten wie Parler und Telegram als "historisch". Man nehme den Auftrag des Präsidenten, der Antifa eine reinzuhauen, gern an, es sei schon ein Anstieg von "neuen Rekruten" zu sehen.

Der Moderator der Debatte, der Journalist Chris Wallace, hatte Trump zuvor mehrmals gefragt, ob er rechtsextreme und rassistische Ideologien sowie militante rechte Gruppen und Milizen verurteile. Der Präsident gab daraufhin eine der für ihn typischen "Ja, aber"Antworten. Er sei dazu bereit, sehe aber vor allem ein Gewaltproblem in den USA durch Linke.

Die "Proud Boys" beschreiben sich selbst als "pro-westliche brüderliche Organisation für Männer" oder auch als "westliche Chauvinisten". Die Gruppe wurde als Antwort auf die MeToo-Debatte gegründet, ihr Feindbild ist das, was sie die "politisch korrekte linke Elite" nennen. Äußerlich grenzen sich die Männer von typischen Rechtsradikalen ab, viele tragen hippe Vollbärte. Zudem weisen sie den Vorwurf zurück, sie seien Rassisten. In ihren Reihen finden sich aber fast ausschließlich Weiße. Die Männer befürworten Gewalt und waren bereits mehrmals in Schlägereien mit linken Gruppen und Anhängern der "Black Lives Matter"-Bewegung verwickelt. Bürgerrechtsorganisationen bezeichnen die "Proud Boys" als Hate Group, als Gruppierung die Hass auf Minderheiten verbreite. Facebook und Twitter haben deswegen ihre Profile gesperrt. Thomas Hummel

Der Präsident werde "wie ein Bulldozer" über Biden hinwegwalzen, hatte das Trump-Lager vor der Debatte wissen lassen, durchaus mit einem Unterton von Vorfreude. Und so kam es dann auch. Trump rumpelte und walzte von der ersten Minute an. Er attackierte Biden, nannte ihn einen Sozialisten, einen Versager und einen Nichtstuer. Er unterbrach den Demokraten und den Moderator, er quatschte dazwischen, er provozierte Biden und machte verächtliche Bemerkungen. Kurz: Trump war Trump, ein Rüpel und Bully.

Biden hingegen war Biden: ruhig, besonnen, eher mit Argumenten bewaffnet als mit Beleidigungen. Er verhaspelte sich gelegentlich in seinen Sätzen, wie er das oft tut, aber es unterliefen ihm keine dramatischen Fehler. Allerdings wirkte er zuweilen auch etwas überfordert angesichts der Aggressivität, mit der Trump auf ihn losging. Auf Trumps Provokationen reagierte er mit Lachen, Kopfschütteln und einem genervten "Das stimmt nicht". Nur einige Male verlor er die Contenance. "Kannst du mal die Klappe halten, Mann?", raunzte er Trump einmal an, woraufhin Trump nicht die Klappe hielt, sondern weiter schwadronierte. Später titulierte Biden Trump als "Clown", "Rassisten" und "schlechtesten Präsidenten", den das Land je gehabt habe.

Men shout slogans and gesture during a rally of the far right group Proud Boys, in Portland

"Haltet euch zurück, und haltet euch bereit": Donald Trump weigerte sich in der TV-Debatte, die rechte Gruppierung "Proud Boys" eindeutig zu verurteilen. Angehörige der Organisation bei einer Demonstration in Portland, Oregon.

(Foto: Leah Millis/REUTERS)

Nicht dass Trump das besonders störte. Der Präsident mag solche Schlammschlachten. Er wollte nicht diskutieren, sondern nur die Schlagworte loswerden, von denen er weiß, dass sie seinen Wählern wichtig sind. "Recht und Ordnung", "Aktienmarkt", "linksradikale sozialistische Demokraten", "beste Wirtschaft der Welt", "300 Bundesrichter und drei Verfassungsrichter". Die 200 000 Corona-Toten in den USA wischte er beiseite, daran sei China schuld, und wenn Biden Präsident wäre, hätte es zwei Millionen Tote gegeben. Er wetterte gegen die Briefwahl, das sei ein großes Betrugsmanöver der Demokraten, um ihm den Sieg zu stehlen. "Das kann böse enden", raunte Trump - eine ominöse Warnung, die wieder Zweifel daran nährte, ob Trump das Wahlergebnis anerkennen wird. Er weigerte sich, weiße, rechtsradikale Prügeltruppen wie die "Proud Boys" zu verurteilen. Und er zog bei der ersten sich bietenden Gelegenheit über Bidens Sohn Hunter her, auf dem die Republikaner gerne herumhacken, um den Vater zu treffen.

Zwischen diese Angriffe streute Trump sarkastische Seitenhiebe auf Bidens kognitive Fähigkeiten ein: Du kannst es nicht, du weißt es nicht, lass dir nur Zeit mit deiner Antwort. Den 77 Jahre alten Demokraten als senilen Tattergreis zu verleumden, ist fester Bestandteil der Trump'schen Wahlkampfstrategie. "Hast du da etwa gerade das Wort ,klug' verwendet?", ätzte er einmal. "An dir ist nichts klug."

Dieses flegelhafte Benehmen mag viele normale Wähler abstoßen, für Trumps Anhänger aber ist es genau das, was sie sehen wollen. Sie lieben es, wenn ihr Präsident zuschlägt. Trump weiß, dass er am Wahltag jede Stimme braucht, und deswegen bot er seinen Fans die große Trump-Show. So hat er es schon vor vier Jahren mit Erfolg gemacht. Zudem zielt Trump darauf, dass sich manche Wähler, die ihn nicht mögen, angeekelt abwenden und überhaupt nicht zur Wahl gehen. Eine niedrige Wahlbeteiligung käme unterm Strich ihm zugute.

Biden klingt weniger laut und roh

Für Biden gilt das Gegenteil. Sein größtes Plus ist in den Augen seiner Anhänger, dass er gerade nicht Trump ist. Sie wollen einen Kandidaten, der Mitgefühl zeigt mit den Toten der Corona-Pandemie und ihren Angehörigen, der über Rassismus und Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft redet, der verspricht, dass Amerika sich unter seiner Regierung wieder um Klimaschutz kümmern wird, dass alle Menschen eine Krankenversicherung haben werden und das gespaltene Land wieder irgendwie zusammenfinden wird. Im Vergleich zu Trump klingt Biden weniger laut und roh, er redet leiser, ohne die Wut und die Härte, die bei solchen Auftritten oft in Trumps Stimme mitschwingt. Aber das ist genau der Gegensatz, der Biden für viele Wähler - und vor allem Wählerinnen, die den polternden Macho Trump gründlich satthaben - attraktiv macht.

Ob das Gehacke bei der Debatte nun die Wähler weitergebracht hat, die vielleicht noch nicht wissen, ob sie für Trump oder Biden stimmen sollen, sei dahingestellt. Andererseits: Ob es noch eine nennenswerte Anzahl solcher unentschlossenen Wähler gibt, ist zweifelhaft. Die meisten Amerikaner haben sich längst entschieden. Sie sind entweder für Trump, weil sie Trump großartig finden, oder für Biden, weil sie Trump fürchterlich finden. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass die Debatte die Gräben zwischen den Lagern vertieft, als dass sie Bürger dazu verleitet, die Seiten zu wechseln.

Der Washingtoner Journalist Mike Allen zog nach dem Schlagabtausch eine hilflose, aber sehr ehrliche Bilanz. "Was das alles bedeutet? Wer zur Hölle weiß das schon", schrieb er. "Diese Debatte war so wie das ganze Land: Alle reden. Niemand hört zu. Nichts wird gelernt. Es ist alles Mist."Die Kommission, die für die Debatten zuständig ist, will nun zumindest sicherstellen, dass die zweite Runde gesitteter abläuft. Sie wolle die Regeln ändern, um eine "geordnetere Diskussion" zu ermöglichen, teilte sie mit.

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