Süddeutsche Zeitung

USA:Wahlkampf ums Sturmgewehr

  • Die meisten Amerikaner befürworten die Beschränkung des Zugangs zu Schusswaffen.
  • Vor der Präsidentschaftswahl 2020 ist Trump bei dem Thema weitgehend festgelegt. Schärfere Waffengesetze sind für seine Kernwähler nicht verhandelbar. Bei den Demokraten erwartet die Parteibasis schärfere Regeln.
  • Die Begeisterung für freien Waffenzugang sinkt besonders in jenen Orten und Wählergruppen, die für den Ausgang der Wahl mitentscheidend sein werden.

Von Hubert Wetzel, Washington

Die meisten Amerikaner besitzen keine Schusswaffen. Umfragen zufolge gibt es nur in etwa vier von zehn Haushalten ein Gewehr oder eine Pistole. Die meisten Amerikaner sind außerdem dafür, dass der Zugang zu Schusswaffen beschränkt wird. Als das Meinungsforschungsinstitut Gallup die Bürger im Oktober 2018 befragte, ob sie schärfere Waffengesetze befürworteten, antworteten deutliche 61 Prozent mit Ja.

In diesen Zahlen steckt eine Erkenntnis: Die Forderung nach härteren Waffengesetzen muss politisch nicht zwangsläufig ein Verliererthema sein; schon gar nicht, wenn die USA weiterhin regelmäßig von Massenschießereien erschüttert werden wie jenen am Wochenende in El Paso und Dayton, bei denen mehr als 30 Menschen getötet wurden. Und in den Zahlen steckt eine Frage: Wenn die Mehrheit der Amerikaner die Waffenflut und die damit einhergehende Gewalt satt hat und eindämmen will - wie wird sich das Thema dann nächstes Jahr im Präsidentschaftswahlkampf auswirken? Hilft es den Demokraten im Kampf gegen Präsident Donald Trump?

In der Vergangenheit haben zumeist die Republikaner profitiert, wenn es in Wahlkämpfen um Waffen ging. Sie haben es geschafft, jene Wähler an sich zu binden, für die das im Zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung festgeschriebene Recht auf Waffenbesitz so wichtig ist, dass sie allein an dieser Frage ihre Wahlentscheidung festmachen. Die Angst, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte, war für die Waffenfreunde bei Wahlen extrem motivierend. Den Republikanern hat das immer wieder Siege eingebracht.

Diese enge Bindung ist einer der Gründe, warum die Republikaner - zusätzlich angestachelt von der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association (NRA) - sich immer noch so hartnäckig gegen jede Verschärfung der Waffengesetze sträuben, selbst gegen geringfügige. Sie haben ihren Kernwählern jahrzehntelang erzählt, dass jedes Zurückweichen in dieser Frage das Verfassungsrecht auf Waffenbesitz aushebelt. Wahltaktisch gesehen, haben die Republikaner sich damit in eine Ecke manövriert und von einer völlig kompromisslosen Klientel abhängig gemacht.

Trump selbst hatte 2016 mit diesem Dilemma zu kämpfen. Vor seiner Zeit als Politiker, als er noch Geschäftsmann in New York war, befürwortete er schärfere Waffengesetze. Im Wahlkampf wandelte er sich dann plötzlich zu einem entschlossenen Gegner. Die NRA dankte ihm die Wende mit begeisterter Unterstützung.

Für Trump bedeutet das: Was das Thema gun control angeht, ist er für den Wahlkampf 2020 weitgehend festgelegt. Seine Kernwähler, vor allem weiße Männer aus der ländlichen unteren Mittelschicht, erwarten, dass er keine schärferen Waffengesetze zulässt. Für sie ist das nicht verhandelbar. Wenn Trump einknickt, riskiert er, dass etliche dieser Wähler am Wahltag frustriert zu Hause bleiben - ein Stimmenverlust, den Trump sich kaum leisten kann.

Der politische Spielraum der Demokraten ist wesentlich größer. Bei ihnen verlangt die Parteibasis geradezu, dass der künftige Präsidentschaftskandidat ein Maßnahmenpaket zur Verschärfung der Waffengesetze vorlegt. Was da dann im Detail drin ist, muss man abwarten. Aber es gibt viele Vorschläge für härtere Vorschriften, die sowohl verfassungsrechtlich möglich als auch bei den Bürgern beliebt - also wahlkampftauglich - wären. Dazu gehört vor allem die Ausweitung der sogenannten background checks, also eine schärfere Überprüfung von Waffenkäufern. Eine aktuelle Umfrage des Marist College im Bundesstaat New York zeigt, dass neun von zehn Amerikanern das befürworten würden.

Auch ein erneutes Verbot von militärischen Sturmgewehren, wie es von 1994 bis 2004 galt, fänden dieser Erhebung zufolge 57 Prozent aller Bürger gut. Es ist daher kein Zufall, dass mehrere demokratische Präsidentschaftskandidaten eine Neuauflage fordern. Die gleiche Umfrage belegt zugleich auch wieder das Dilemma, in dem Trump bei dem Thema steckt: 67 Prozent der Republikaner-Wähler lehnen ein Verbot von Sturmgewehren ab.

Die Demokraten könnten zudem davon profitieren, dass die Begeisterung der Wähler für den freien Zugang zu Waffen besonders an jenen Orten und in jener Wählergruppe sinkt, die nach Ansicht vieler Experten für den Ausgang der Präsidentschaftswahl mitentscheidend sein werden: in den Vororten der Städte, bei gut ausgebildeten weißen Frauen aus der Mittelschicht. Der Marist-Umfrage zufolge hält eine überwältigende Mehrheit von 74 Prozent der Frauen in Kleinstädten und Vororten ein Verbot von Sturmgewehren für eine gute Idee. Das zu ignorieren, ist politisch gefährlich.

Trump unterstützt Red-Flag-Gesetze

Schon bei der Kongresswahl 2018 sind diese Wählerinnen, die in der Vergangenheit oft für die Republikaner gestimmt haben, der Partei in Scharen davongelaufen und haben den Demokraten so den Sieg beschert. Nachwahlumfragen ergaben damals, dass 59 Prozent der Wähler bei der Kongresswahl schärfere Waffengesetze befürwortet haben. Von ihnen stimmten satte 76 Prozent für die Demokraten - kein gutes Omen für Trump.

Andererseits sollte man die Aussagekraft einer Kongresswahl für die Präsidentschaftswahl nicht überschätzen. Ob sich in einem Jahr die Wähler noch an die Massaker in El Paso und Dayton erinnern, ist zweifelhaft. Vielleicht mobilisiert Trump, indem er trotz großen Drucks schärfere Waffengesetze verhindert, auch genügend neue waffenfreundliche Wähler, um mögliche Verluste auszugleichen.

Und vielleicht macht Trump angesichts der Stimmung bei den Wählern auch einfach wieder eine Wende. In einer Rede am Montag erklärte er seine Unterstützung für sogenannte Red-Flag-Gesetze. Sie erlauben es der Polizei, auf richterliche Anordnung hin die Waffen von Personen zu konfiszieren, die als gefährlich eingestuft werden. Das ist kein Allheilmittel, könnte den Waffenwahnsinn aber zumindest ein bisschen eindämmen.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2019/saul/cat
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