Süddeutsche Zeitung

USA:Die Bomben verschickten andere, den Sprengstoff aber liefert Trump

Indem der US-Präsident die Medien für die Paketbomben verantwortlich macht, betreibt er "victim blaming". Dabei hat er selbst die Geister gerufen, die die politische Atmosphäre vergiften.

Kommentar von Jana Anzlinger

Da erhalten führende Demokraten, Prominente und der Fernsehsender CNN Paketbomben, und was macht US-Präsident Donald Trump? Er sucht die Schuld an den versuchten Anschlägen bei den Medien, genau genommen bei jenen Medien, die ihn immer wieder kritisieren. Sie tragen, sagt er, "Verantwortung, einen zivilen Tonfall zu setzen und die endlose Feindseligkeit und ständige negative und oft falsche Attacken zu beenden".

Diese Aussage ist so zynisch wie falsch. Denn er sucht die Schuldigen an der falschen Stelle. Medien gelten als vierte Staatsgewalt, müssen kritisch berichten und tragen eine gesellschaftliche Verantwortung. Aber nicht jene, die Trump ihnen unterjubeln will. Weder die Berichterstatter selbst noch andere kritische Stimmen, die sie zu Wort kommen lassen, sind schuld an der aktuellen aufgeheizten politischen Stimmung in den USA. Unsachliche Argumente, Drohungen, Starrsinnigkeit: Trump selbst hat die Geister gerufen, die die politische Atmosphäre kurz vor den Wahlen vergiften.

Mit seiner Aussage betreibt Trump "victim blaming": Er gibt den Opfern die Schuld. Es ist, als würde er sagen: Wer einen kurzen Rock trägt, muss sich nicht wundern, belästigt zu werden. Wer eine Bankfiliale betritt, muss erwarten, als Geisel genommen zu werden. Und wer den US-Präsidenten kritisiert, ist selbst schuld, wenn ihn jemand in die Luft sprengen möchte.

Solches "victim blaming" dient Tätern als Rechtfertigung. Es dient denen als Argument, die solche Taten verharmlosen. Gerade das ist gefährlich: Nährboden des Terrors ist nicht die Haltung einzelner Opfer, sondern die gesellschaftliche Atmosphäre.

Die US-amerikanische Gesellschaft ist zwei Wochen vor den midterm elections gespalten wie selten zuvor. Trump mag diese Stimmung nicht geschaffen haben, aber er nährt sie seit Beginn seiner Amtszeit - weil sie ihn nährt. Vor einer Woche hat er einen republikanischen Kongressabgeordneten dafür gelobt, dass dieser einen kritischen Reporter gewaltsam zu Boden geworfen hatte. Die Bomben verschickt haben andere, aber Donald Trump hat ihnen den Sprengstoff verkauft und die Zündschnur zurechtgeschnitten.

Die demokratische Kongressabgeordnete Maxine Waters, an die eine Paketbombe adressiert war, hat er als "Person mit besonders niedrigem IQ" bezeichnet. Seine frühere Rivalin Hillary Clinton, an deren Wohnhaus eine Bombe verschickt wurde, will er am liebsten einsperren; und Barack Obamas Staatsbürgerschaft hat er infrage gestellt. Über Ex-Vizepräsident und Paketbomben-Adressat Joe Biden hat Trump erst vor wenigen Tagen gesagt, dass ihn Obama "von der Müllhalde" geholt habe. Den Sender CNN, aus dessen Postraum Spezialisten eines der Päckchen entfernten, hält er für einen "Feind des amerikanischen Volkes".

Alle Adressaten sind politische Gegner Trumps, alle haben ihn schon scharf kritisiert. Trotzdem hätte Trump betonen müssen: Gewalt ist nicht Politik. Gewalt ist immer zu verurteilen. Die Aussage, die er stattdessen getroffen hat, ist des "Anführers der freien Welt" nicht würdig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4185059
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/stein
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.