Trump und die Nato:Es geht nicht um die Kunst des Deals, sondern um die Kunst des Friedens

Donald Trump, Mike Pence, James Mattis

US-Präsident Donald Trump, Vizepräsident Mike Pence (l.) und Verteidigungsminister James Mattis (r.).

(Foto: AP)

Was Präsident Trump nicht versteht: Amerika hat ein Eigeninteresse an sicherheitspolitischer Stabilität in Europa. In der Nato geht es um viel mehr als den Handel: Sicherheit gegen Dollar.

Kommentar von Kurt Kister

Von Lord Ismay, zwischen 1952 und 1957 der erste Generalsekretär der Nato, ist ein Bonmot über den Sinn des Bündnisses überliefert. Der Brite beschrieb es damals so: to keep the Russians out, the Americans in and the Germans down - die Russen raushalten, die Amerikaner (in Europa) halten und die Deutschen klein lassen, damit sie nicht wieder gefährlich werden. Auch wenn es keineswegs das Verdienst des Militärbündnisses allein war, wurden alle drei Ziele bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts erreicht.

Die Russen blieben nicht nur draußen, sondern zogen sich nach dem Zerfall der Sowjetunion sogar aus ihrem sogenannten westlichen Vorfeld zwischen dem Baltikum und Ungarn zurück; die Amerikaner nörgelten zwar schon lange vor Donald Trump gern an den Verbündeten herum, engagierten sich aber, gerade aus eigenem Interesse, stets als Vormacht der Nato; die Deutschen schließlich wurden ökonomische Großmacht, wären militärisch ohne die Nato aber nicht einmal zur Landesverteidigung in der Lage gewesen.

Heute ist die Bundeswehr eine mittelmäßig ausgerüstete Berufsarmee im Umbruch, deren primäre Aufgabe die militärische Untermauerung von europäischer (und deutscher) Außenpolitik in aller Welt geworden ist. Wenn es allerdings bei solchen Einsätzen um mehr als wenige Tausend Männer und Frauen in Flecktarn geht, gar um funktionierendes Fluggerät und moderne Waffensysteme, stößt diese Armee schnell an ihre Grenzen.

Militärisch erfüllt Deutschland Ismays Vermächtnis bis heute: Es ist vielleicht nicht down geblieben, aber doch small, klein. Die wirtschaftliche Bedeutung der Bundesrepublik in der Welt ist groß, ihre politische, allemal in Europa durchaus auch. Eine irgendwie bedeutende Militärmacht aber ist Deutschland nicht - und dies entspricht auch dem gesellschaftlichen Konsens hierzulande.

Die Bundeswehr ist heute nicht einmal bedingt abwehrbereit

Daraus folgt unter anderem, dass in Zukunft für die Modernisierung der Armee wohl etwas mehr Geld ausgegeben werden wird als heute. Aber das wird nicht schnell gehen, und es wird auch keine zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. Grundsätzlich wird die Bundeswehr bleiben, was sie ist: die relativ kleine Armee eines sehr zivilen Staates.

Man muss also auch hinnehmen, dass die Bundeswehr heute nicht einmal bedingt abwehrbereit wäre - gäbe es denn eine Bedrohung des deutschen Territoriums. Die gibt es trotz IS und anderer Terrorbanden glücklicherweise nicht. Selbst die russisch-irredentistisch angehauchte Machtpolitik der Regierung Putin schwappt in Europa nicht ernsthaft nach Westen aus.

Gerade weil die Bundeswehr, wie viele andere europäische Armeen auch, relativ klein ist, bleibt für die Sicherheit Deutschlands und Europas ein Bündnis mit militärischem Hintergrund unabdingbar - es kann sich aber viel stärker auf Europa konzentrieren, als dies gerade Washington von der Nato erwartet. Der auch von den Trumpisten gerne benutzte Satz, die Europäer müssten mehr für ihre eigene Verteidigung tun, ist stets danach zu hinterfragen, was mit "eigener Verteidigung" gemeint ist. George W. Bush zum Beispiel hielt den Angriff auf den Irak 2003 für einen Akt der erweiterten Verteidigung, obwohl es ein Angriffskrieg war.

Angriff auf ein Mitglied ist eine Attacke gegen alle

Ein Grundprinzip der Nato war immer, dass der Angriff auf ein Mitglied eine Attacke gegen alle ist. Das schlug sich nicht nur im Nato-Vertrag, etwa dem berühmten Beistandsartikel 5, nieder, sondern auch in der Militärstrategie. Solange die Welt in zwei Lager mit jeweils einer Vormacht zerfiel, musste es im Interesse Westeuropas liegen, die Vormacht USA so eng wie möglich in den Sicherheitsapparat zu integrieren und damit zu binden.

Während des Kalten Krieges führte dieses bis zur Bindungsmanie gesteigerte Denken auch dazu, dass in Westdeutschland Hunderte US-Atomwaffen lagerten (in der DDR war das mit sowjetischen Sprengköpfen ähnlich). Dahinter stand weniger die Idee, man könne in Europa tatsächlich einen Atomkrieg "führen" (auch wenn es auf beiden Seiten solche irren Theorien und ihre Theoretiker gab), sondern das Signal, dass jede Aggression ein Armageddon heraufbeschwören könnte.

Befreit man nuklearstrategisches Denken vom politologischen Jargon und dem Generalstabs-Englisch, bleibt als Grundgedanke: Wer Nuklearwaffen einsetzt, muss befürchten, dass auch gegen ihn Nuklearwaffen eingesetzt werden. Mini-Nukes hin, flexible response her: Die nukleare Abschreckung bleibt der Versuch, den erweiterten Selbstmord zu rationalisieren und damit zu verhindern. Eine Sicherheitsstrategie für das 21. Jahrhundert ist das nicht.

Donald Trump verkennt, dass es nicht um die Kunst des Deals geht

Amerika hat ein Eigeninteresse an sicherheitspolitischer Stabilität in Europa und in Asien. Dies ist kein Handel, man gibt nicht Sicherheit gegen Dollars, sondern verbessert durch Kooperation nach den jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnissen die gegenseitige Lage.

Zwar versteht das Donald Trump nicht, der die Welt als eine Ansammlung guter oder schlechter Deals sieht. Allerdings versteht er so vieles nicht, dass man nach dem ersten Trump-Monat nicht recht weiß, ob das politische oder medizinische Gründe hat. Vielleicht wären gute Ärzte und Psychologen für Trump im Moment wichtiger als ehemalige Generäle und welterfahrene Berater.

Der richtige Weg zur europäischen Sicherheit ist die Kooperation der Europäer. Das kann in der Nato passieren, innerhalb der EU oder im Rahmen eines multilateralen Abkommens. Bedeutend ist zum Beispiel, dass in jenen Staaten Europas, in denen Bedrohung anders empfunden wird als in der relativ ruhigen Mitte, nicht nur Truppen der jeweiligen Länder stationiert sind, sondern auch Kontingente aus Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden. Die jüngste Verlegung von Nato-Bataillonen ins Baltikum war richtig. Jenseits aller politischen Unterschiede muss der Wille erkennbar sein und materiell sichtbar werden, dass Europa sich als ein Raum unteilbarer Sicherheit versteht.

Ob dann, wie Lord Ismay forderte, die Amerikaner in der Nato gehalten werden oder ob sie ihr Engagement zurückfahren, ist nicht so wichtig. Es geht nicht um die Kunst des Deals, sondern um die Kunst des Friedens.

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