Süddeutsche Zeitung

Trumps Ukraine-Affäre:Wie ein politischer Faustschlag

  • In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij wirft US-Präsident Trump der deutschen Bundeskanzlerin vor, sie würde in der Ukraine-Krise "zwar viel reden, aber nichts tun".
  • Selenskij stimmt ihm "1000-prozentig" zu. Die Äußerung sorgt in Berlin für Verstimmung.
  • Das Auswärtige Amt kontert mit Zahlen, die belegen sollen, dass Deutschland die Ukraine mit viel Geld unterstützt.

Von Stefan Braun, Berlin, und Florian Hassel

Natürlich hat alle Welt erst mal auf jene Passage gestarrt, die für Donald Trump gefährlich werden könnte. Also auf die Zeilen in der Abschrift eines Telefonats zwischen dem US-Präsidenten und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenskij, aus denen hervorgeht, wie der Amerikaner den Ukrainer zu weiteren Recherchen um den Sohn von Joe Biden auffordert.

In derselben, vom Weißen Haus am Mittwochabend öffentlich gemachten Mitschrift gibt es aber eine zweite Passage, die für Berlin besonders brisant ausfällt. Die Rede ist von einer Passage über Angela Merkel. Und die hat es in sich. Man könnte auch sagen: Das freundschaftliche Telefonat zwischen Trump und Selenskij wirkt an der Stelle wie ein politischer Faustschlag gegen Deutschland und seine politische Führung.

Im Zentrum stehen einige Sätze von Donald Trump. Laut Mitschrift lobte er seinen ukrainischen Amtskollegen an jenem 25. Juli nicht nur in den Himmel, sondern erklärte zugleich, dass Deutschland "nahezu nichts" für die Ukraine tue. Wenn er, Trump, mit Merkel spreche, würde diese "zwar viel reden, aber nichts tun". Die USA dagegen seien "sehr, sehr gut" für das Land. Selenskijs Antwort: "Ja, sie haben absolut recht. Nicht nur 100-prozentig, sondern 1000-prozentig."

Merkel und Steinmeier versuchten, eine Eskalation zu verhindern

In Berlin dürfte das kaum Jubelstürme auslösen. Im Gegenteil. Denn kaum eine außenpolitische Krise hat die deutsche Außenpolitik seit 2013 mehr beschäftigt (und phasenweise in Atem gehalten) als die Krise um die Ostukraine. Das gilt in ganz besonderer Weise für die Jahre zwischen 2014 und 2018. Kaum war die Krise offen ausgebrochen, kümmerten sich die Kanzlerin und ihr damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier darum, eine drohende Eskalation zu verhindern.

Dazu zählte auf der einen Seite alles, was Berlin auf diplomatischem Wege versucht hat, um zunächst einen offenen Krieg zu verhindern, dann die Kämpfe einzugrenzen und schließlich die Krise auf möglichst niedrigem Niveau zu halten. Im Zentrum standen der Minsker Friedensprozess und wenig später die Normandie-Verhandlungen. Bei Ersterem gelang es Berlin und Paris in einer dramatischen Nachtsitzung Mitte Februar 2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, die Kämpfe zu begrenzen und in - wenn auch brüchige - Waffenstillstände zu überführen.

Danach entwarf Berlin in Kooperation mit Paris das Normandie-Format mit Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland, in dessen Rahmen mühsam aber nicht immer erfolglos eine mehrmals drohende Ausweitung der Kämpfe verhindert wurde. Immer wieder flog vor allem Steinmeier in die Ukraine, um manchmal auch nur für Tage einzelne Waffenstillstände für bestimmte Regionen zu erreichen.

Berlin wollte eine Spaltung der EU vermeiden

Das alles fand weitgehend im Bemühen und unter der Regie Berlins statt. Was überhaupt nur möglich war, weil es Merkel und Steinmeier gelang, den damaligen US-Präsidenten Barack Obama und seinen Außenminister John Kerry trotz gegenteiliger Forderungen aus dem US-Kongress zu überzeugen, nicht auf Waffenlieferungen zu setzen, sondern auf Verhandlungen und Fortschritte in den Gesprächen, würden sie auch noch so klein ausfallen.

Dahinter gab es zwei Motive: Zum einen hielt es Berlin von Anfang an für absurd zu glauben, die Ukraine habe auch nur ansatzweise eine Chance, gegen die russische Seite militärisch zu reüssieren. Deshalb warnte Berlin Kiew und Washington immer wieder davor, Moskau mit neuen Waffen zu drohen.

Zum anderen wollte die deutsche Seite alles vermeiden, was zu einer Spaltung in der EU hätte führen können. Das galt insbesondere mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland, die keineswegs alle EU-Mitglieder mittragen wollten. Zumal, und das wird vor allem in Washington gerne vergessen, alle Sanktionen des Westens gegen Russland Europa um ein Vielfaches mehr treffen als die Vereinigten Staaten.

Deutschland half der Ukraine mit Millionen

Daneben aber, und das war aus Berliner Sicht immer der zweite Teil der Geschichte, machten die Bundesregierung und die EU früh und ausführlich viel Geld und viele Kredite für die Ukraine locker. Nach Bekanntwerden der Merkel- und deutschlandkritischen Passage stellte das Auswärtige Amt am Donnerstag entsprechend eine Liste fertig, die dokumentieren soll, was alles geleistet wurde. So belaufen sich die deutschen Zusagen für die Entwicklungszusammenarbeit seit 2014 auf 544 Millionen Euro; außerdem stellte die Bundesregierung im gleichen Zeitraum ungebundene Finanzkredite von 500 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen gut 100 Millionen an humanitärer Soforthilfe und weitere Zahlungen, die Deutschland als Mitglied der EU an europäischer Hilfe für die Ukraine mitgetragen hat. Zählt man diese zusammen, belaufen sie sich auf noch mal rund 200 Millionen Euro.

Allerdings, und hier kommen die vergangenen Monate und Jahre in den Blick, hat sich das Verhältnis zu Kiew etwas abgekühlt, was - wenn man sich in Berlin umhört - weniger mit einem sinkenden Interesse zu tun haben soll als mit dem wachsenden Eindruck, dass die Ukraine im Kampf gegen Korruption wie beim Bemühen um eine friedliche Lösung nicht immer redlich geblieben sei.

Das freilich dürfte in Kiew ganz anders gesehen werden. So wie Präsident Selenskij das Telefonat mit Trump und dabei vor allem seine Aussage "1000 Prozent" anders einordnet. Er bekräftigte am Mittwoch in New York, er stehe "zu jedem Wort", nichts daran sei falsch. Und das hat einen Hintergrund. Laut Selenskij nämlich bezog sich seine Kritik darauf, dass Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht genug für die Überwachung der EU-Sanktionen gegen Russland täten. Außerdem habe er auf Militärhilfe abgestellt, gemeint ist die aus den Vereinigten Staaten. Schaut man freilich in die Abschrift, taucht das Thema Militärhilfe erst später auf.

Gleichwohl ist aus Sicht Kiews richtig, dass die EU und Berlin Militärhilfe verweigern, Washington Kiew seit 2014 aber Militärgüter für 1,5 Milliarden Dollar geliefert hat. Das militärische Kronjuwel dieser Hilfe waren 210 Javelin-Panzerabwehrlenkwaffen, die Moskaus in den Donbass geschickte Panzer zerstören können.

Hinzu kommt, dass Präsident Selenskij seit seinem Amtsantritt in etlichen Treffen und Telefonaten mit Macron, Merkel und Putin versucht, ein Treffen im sogenannten Normandie-Format zu vereinbaren, um über ein Ende des Krieges im Donbass zu sprechen. Gleichzeitig haben viele ukrainische Offizielle einschließlich Selenskij wenig für das etwa 2016 von damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene Modell übrig, in den von Moskau kontrollierten "Volksrepubliken" als einen der ersten Schritte Wahlen abzuhalten.

"Wahlen abzuhalten, bevor wir Zugang zum Donbass haben, unsere Grenze zu Russland gesichert und uns mit den ausländischen Truppen beschäftigt haben und schließlich einen normalen demokratischen Wahlkampf führen können, wären ein Desaster", sagte Selenskijs Nationaler Sicherheitsberater Oleksandr Daniljuk Mitte September auf einer Konferenz in Kiew. Präsident Selenskij lehnt auch die Moskauer Idee von Friedenstruppen im Donbass ab. Erst wenn dieser wieder vollständig unter Kontrolle Kiews sei, "könnten Friedenstruppen an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland einen Platz haben", sagte der Präsident auf der Konferenz.

Kiew stört schließlich, dass die Bundesregierung - anders als US-Offizielle - die Rolle Moskaus im Donbass nicht offen beim Namen nenne. Der US-Sonderbeauftragte für die Ukraine, Kurt Volker, sagte der Süddeutschen Zeitung dazu: "Die Russen kontrollieren mit regulären Offizieren die gesamte Befehlskette und jede Operation. Auch alle zivilen Dienststellen in Donezk oder Lugansk werden von Russen geführt oder berichten täglich nach Moskau und warten auf neue Anweisungen. Moskau führt die Volksrepublik und bezahlt sie."

Struktur und Namen russischer Offizieller seien bekannt

Auf der Konferenz in Kiew bestätigte ein amerikanischer Konferenzteilnehmer mit Zugang zu Militär- und Geheimdiensterkenntnissen zudem, dass Struktur und Namen der russischen Offiziellen bis hinauf zu "Schattengouverneuren" in Donezk und Lugansk Washington, Paris und Berlin bekannt seien. Trotzdem würden die Regierungen dies öffentlich nicht zugeben, "weil dann Moskaus Rolle im Krieg im Donbass öffentlich feststünde und die Regierungen politisch entsprechend reagieren müssten".

Und als ob der Ärger darüber nicht schon ausreichte, erbost Kiew zudem, dass Berlin Russlands Rückkehr in die Parlamentarische Versammlung des Europarates und den weitergehenden Bau der Ostseegaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland unterstützt. Die Pipeline kann Moskau ermöglichen, nicht mehr wie bisher Erdgas auch durch die Ukraine zu transportieren - für Kiew sind das Selenskij zufolge bislang jährliche Einnahmen von drei Milliarden Dollar. In seinen Augen sei Nord Stream 2 "eine allmähliche Aufhebung der Sanktionen" gegenüber Russland, bekräftigte Selenskij am Mittwoch in New York.

So gesehen zeigt die Mitschrift aus dem Weißen Haus zweierlei: Sie bestätigt, was man über Donald Trumps Sicht auf Angela Merkel schon länger wusste. Und sie legt offen, wie weit Kiew und Berlin derzeit auseinanderliegen.

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