Süddeutsche Zeitung

USA:Der Chaos-Präsident

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Mit seinen sprunghaften Entscheidungen gefährdet Trump jene fragile Stabilität im Nahen Osten, die unter hohen Kosten erreicht wurde. Die Leidtragenden sind die Zivilisten.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Am Ende flüchtet sich der Präsident in Ironie. Wenn er in seiner "großen und unvergleichlichen Weisheit" zu dem Schluss gelange, dass die Türkei etwas tue, das die Grenzen überschreite, so twitterte Donald Trump, werde er "die Wirtschaft des Landes auslöschen". Es war der unbeholfene Versuch, den Schaden zu begrenzen, den er zuvor mit der offenkundig nicht einmal in der Washingtoner Regierung abgesprochenen Entscheidung angerichtet hatte, die US-Truppen aus dem nordsyrischen Grenzgebiet abzuziehen. Und man kann sich nicht mal sicher sein, ob Trump das wirklich ironisch meinte.

Führende Republikaner jedenfalls ließen sich nicht beeindrucken, auch nicht von Beschwichtigungsversuchen aus dem Weißen Haus. Senator Lindsey Graham, dem Präsidenten sonst treu ergeben, rief zum parteiübergreifenden Aufstand gegen dessen erratische Syrienpolitik auf. Er bezichtigte Trump der Lüge und drohte der Türkei mit Sanktionen und der Suspendierung der Nato-Mitgliedschaft, sollte sie die Kurden attackieren. Mitch McConnell, Mehrheitsführer im Senat, flehte verzweifelt, der Präsident möge Amerikas Führungsrolle ausfüllen.

Entscheidungen nach Tageslaune

Das Chaos in der US-Außenpolitik dieser Tage ist bemerkenswert, selbst nach den Maßstäben der Trump-Regierung. So richtig der Rauswurf von Sicherheitsberater John Bolton war, die Institutionen, die in Washington normalerweise die außen- und sicherheitspolitische Entscheidungsfindung vorbereiten, sind paralysiert, und ihr Rat dringt nicht durch. Es gibt kaum mehr geregelte Abläufe. Stattdessen trifft der Präsident impulsiv nach Tageslaune Detailentscheidungen mit großer Tragweite, ohne dass er Kosten und Nutzen abwägen würde - oder auch nur die Folgen.

Der Schaden, der dadurch entsteht, ist real, sei es im Handelsstreit mit China oder in den verkorksten Atomgesprächen mit Nordkorea. Aber nirgendwo ist er so gravierend wie in der ohnehin fragilen Region zwischen Levante, Hindukusch und dem Golf von Aden. Trump will Amerika aus den "lächerlichen, endlosen Kriegen" lösen und mit dieser Weltgegend nichts mehr zu tun haben, außer wenn die Ölscheichs "schöne amerikanische Waffen" kaufen. Oder er den Deal wittert, der den Immobilienhai als Staatsmann adelt - Stichwort Nahost-Frieden, Taliban-Gipfel in Camp David oder Handshake mit Irans Präsident Hassan Rohani.

Eine schlüssige Strategie aber, wie Amerika seine Rolle reduzieren könnte, ohne nur viel verbrannte Erde zu hinterlassen, hatte Trump nie. Stattdessen gefährdet er mit seinen sprunghaften und widersprüchlichen Entscheidungen jene prekäre Stabilität, die in den vergangenen Jahren unter hohen Kosten etwa im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat erreicht worden ist. Er kündigte das Atomabkommen mit Iran und verhängte Sanktionen ohne eine Idee für den Umgang mit der erwartbaren Reaktion - außer, die Sanktionen noch weiter zu verschärfen.

Für Syrien ist keine tragfähige Lösung in Sicht

Während der US-Außenminister ständig Teherans destruktive Rolle in der Region geißelt, ist Trump nicht willens, Iran in Syrien entschieden entgegenzutreten. In Israel, wo der Präsident wie in Riad zu Beginn seiner Amtszeit als Heilsbringer gesehen wurde, ist man ernüchtert. Saudi-Arabien erfuhr jüngst bitter, wie viel die mit Milliarden von Trump erkauften vermeintlichen Sicherheitsgarantien wert sind, als in Abqaiq mutmaßlich iranische Drohnen in Ölanlagen krachten.

Auch Trumps Idee, Amerikas Politik in der Region zu guten Teilen an Verbündete wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel zu delegieren, zeitigt katastrophale Ergebnisse: Sie sind in Jemen oder Libyen zu sehen. Libanon taumelt dem Staatsbankrott entgegen und der Irak womöglich einem neuen Bürgerkrieg. Für Syrien ist keine tragfähige Lösung in Sicht, dafür sind die Beziehungen der USA zur Türkei so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Selbst wenn Trump der restriktivsten denkbaren Definition nationaler Interessen folgen wollte: Vom Zerfall staatlicher oder staatsähnlicher Strukturen im Irak, in Syrien, Afghanistan, Jemen oder Libyen profitieren al-Qaida und der Islamische Staat, Gruppen, die auch für die USA eine Bedrohung sind.

Die Leidtragenden sind die Zivilisten in diesen Ländern. Mit den Folgen aber wird auch Europa konfrontiert sein. Die Fluchtbewegungen 2015 und der Umgang damit haben die politischen Verhältnisse in Berlin, Paris oder Rom tief greifend verändert. Wenn Afghanistan den Taliban überlassen wird, wenn die Türkei die Kurdengebiete in Nordsyrien okkupiert, Iran oder der Irak in den Kollaps getrieben werden, dann zwingt das wieder Hunderttausende in die Flucht. Eine adäquate Antwort hat Europa bisher nicht gefunden, weder für den Umgang mit Trump noch mit den Krisen in der erweiterten Nachbarschaft. Die "Sprache der Macht" muss Europa noch lernen, sagt der designierte EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu Recht. Es sollte sich sputen, denn Trump wird weitermachen wie bisher - und das ist schon die optimistische Prognose.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2019
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