Süddeutsche Zeitung

Steuerliche Transparenz:Der Oberste Gerichtshof zeigt Trump die Grenzen auf

Der US-Präsident ist der Meinung, dass er über dem Gesetz steht - und Finanzdokumente nicht offenlegen muss. Das Verfassungsgericht hat dieser Anmaßung nun Einhalt geboten.

Kommentar von Stefan Kornelius

Artikel II der US-Verfassung regelt die Wahl und die Macht des Präsidenten. Die Klausel steht nicht ohne Grund am Beginn der Verfassung, weil dem obersten Bürger im Staatsgefüge der USA eine Machtfülle geschenkt ist, die in der Welt der Demokratien ihresgleichen sucht. Wem die Macht zu Kopf steigt, der sollte also wenigstens von der Kraft der Verfassung zurück auf den Boden gezogen werden können.

Wenig überraschend ist Donald Trump die Macht so stark zu Kopf gestiegen, dass er die Verfassung als persönliches Eigentum betrachtet. "Ich habe einen Artikel II, wo ich das Recht habe, als Präsident zu tun, was auch immer ich will." Dieser Satz, ausgesprochen im Juli vergangenen Jahres, war nicht dahingeplappert, er fasst das Rechtsverständnis des Mannes gut zusammen. Trump ist der festen Meinung, dass er als Präsident über dem Recht steht und dass die Verfassung dem Präsidenten zu dienen hat - nicht der Präsident der Verfassung.

Mit dieser Begründung wollte Trump verhindern, dass Finanzdokumente aus seiner Zeit als Bauunternehmer und Präsidentschaftskandidat für Gerichtsverfahren und für das Amtsenthebungsverfahren im Kongress herangezogen werden konnten. Das Verfassungsgericht hat diese Blockade nun zum Teil aufgehoben - und ist damit der Tradition seiner Rechtssprechung gefolgt, die es im Verfahren gegen den Präsidenten Richard Nixon gebildet hatte. Das ist eine beruhigende Nachricht, die das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Gewaltenteilung stärkt. Beendet ist die Kraftprobe um die vermeintliche Allmacht des Präsidenten damit aber nicht. Vor allem, weil das Gericht Trump einen Spielraum lässt.

Zunächst einmal ist es verständlich, wenn ein Politiker sein Privatleben nicht gänzlich ins Schaufenster stellen mag. Allerdings hat sich in der politischen Praxis in den USA eingebürgert, dass ein Präsident volle finanzielle und steuerliche Transparenz übt. Dem Amt geschadet hat das nicht, wie das Gericht in seinem Urteil nun auch süffisant festhält. Wichtiger aber ist die Feststellung, dass kein Bürger, auch nicht der Präsident, der Verpflichtung enthoben ist, Beweismaterial zur Verfügung zu stellen. Übersetzung: Keiner steht über dem Gesetz. Freilich darf das Beweismaterial auch nicht politisch ausgeschlachtet werden - deswegen der Pferdefuß im Urteil, der dem Kongress den Zugriff auf die Akten zunächst verwehrt.

Bei Trump haben bisher alle Kontrollmechanismen versagt. Obwohl er als Unternehmer in zwielichtigem Milieu arbeitete, obwohl die Umstände seiner Insolvenzen mehr als dubios blieben, war er immun gegen alle Forderungen. Selbst der dunkelste Verdacht - könnte der Präsident erpressbar sein, weil der Bauunternehmer Trump mit russischem Geld aus finanzieller Not gerettet wurde? - konnte nie aufgehellt werden.

Die Anmaßung Trumps hat das Verfassungsgericht nun neutralisiert. Das ist erfrischend in diesen ideologischen Zeiten. Nun stellt sich die Frage aller Fragen: Beugt sich Trump dem Recht? Die Akten wird er erst nach dem Wahltermin herausrücken müssen. Sollte er abgewählt werden (und kampflos das Weiße Haus räumen) zeichnet sich ein hässliches juristisches Nachspiel seiner Präsidentschaft ab. Sollte er noch eine zweite Amtszeit erhalten, heißt der Albtraum: Gehen Sie zurück auf Los. "Ich habe einen Artikel II ..."

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SZ vom 10.07.2020/fie
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