State of the Union:"Trump wird kein braves Publikum vor sich haben"

Trump Rede zur Lage der Nation 2018

So viele junge Frauen wie nie zuvor sitzen im Repräsentantenhaus, wo Trump seine Rede zur Lage der Nation halten wird.

(Foto: Jim Bourg/AFP)

Der US-Präsident hält seine zweite Rede zur Lage der Nation. Die Feministin und Autorin Jo Freemann über sein Verhältnis zur Wahrheit und die vielen jungen Frauen, die ihm heute gegenübersitzen.

Interview von Thorsten Denkler, New York

Jo Freeman, 73, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der US-amerikanischen Frauenbewegung. Sie hat elf Bücher und Hunderte Artikel über Feminismus geschrieben. Sie ist politisch aktiv, verpasst kaum einen Protestzug. In ihrem 2008 erschienenen Buch "We Will Be Heard" (deutsch: "Wir werden gehört werden") hat sie die Schwierigkeiten amerikanischer Frauen beschrieben, sich in der US-Politik durchzusetzen. Das hat sich nicht grundlegend, aber doch erkennbar mit den Midterm-Wahlen im vergangenen November geändert. So viele junge Frauen wie nie zuvor sitzen im Repräsentantenhaus. Dort wird Präsident Donald Trump an diesem Dienstag seine Rede zur Lage der Nation halten.

SZ: Trumps Rede zur Lage der Nation kommt eine Woche später als gedacht. Er hat einen Machtkampf um den Termin gegen die Demokratin Nancy Pelosi verloren, die mächtige Sprecherin des Repräsentantenhauses. Als Feministin müssen Sie stolz gewesen sein.

Interview am Morgen

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Jo Freeman: Das war ein böser Schachzug von ihr. Der Präsident kann nur reden, wenn sie ihn einlädt. Das hat sie ihn spüren lassen. Nancy Pelosi ist eine äußerst kluge und erfahrene Politikerin. Sie wird in meinen Augen als die einflussreichste Sprecherin in die Geschichte eingehen, die das Repräsentantenhaus je gesehen hat. Sie weiß, wo die verletzlichen Stellen ihrer Gegner sind. Und zögert nicht, dort hineinzustoßen.

Was war Trumps empfindliche Stelle in diesem Machtkampf?

Trump ist im Grunde genommen ein Entertainer. Er braucht das Publikum, er braucht den Applaus. Die State of the Union Address ist für einen Präsidenten eine der größten Bühnen. Darum konnte er nicht riskieren, diese Möglichkeit zu verlieren.

Es ist seine zweite Rede zur Lage der Nation. Gibt es etwas, dass Sie gerne von ihm hören würden?

Sicher, sicher, aber nichts davon wird er sagen. Er soll die Mauer zu Mexiko begraben, soll keine Flüchtlingsfamilien mehr trennen, er soll das Asylrecht in Ruhe lassen ... Aber lassen wir das, das wird alles nicht passieren.

Was wird dann passieren?

Jo Freeman

Jo Freeman, 73, Feministin und Aktivistin. Sie lebt und arbeitet in Washington und New York.

(Foto: The Wilson Center)

Trump wird ein völlig verstelltes Bild der Wirklichkeit zeichnen. Die Faktenchecker müssen sich nicht die Mühe machen, einzelne Zeilen seiner Rede zu markieren. Sie können gleich ganze Absätze als falsch einkreisen. So macht er es immer. So wird es auch diesmal sein. Da soll sich keiner etwas vormachen.

Im Streit um die Mauer kam es zum längsten und folgenschwersten Regierungsstillstand der US-Geschichte. Ist dieser Kampf jetzt vorbei?

Nein. Ich glaube, es ist nicht vorbei. Wie Trump bereits angedroht hat, könnte er einen nationalen Notstand ausrufen und im Zuge dessen Geld aus dem Militärhaushalt in den Bau seiner Mauer umleiten.

Wie kann er einen Notstand ausrufen, den es objektiv nicht gibt?

Sie und ich wissen, dass es keinen Notstand gibt. Und viele andere auch. Aber diese Tatsache wird ihn nicht davon abhalten, einen zu erklären. Den Rest müssen Gerichte entscheiden. Das kann Jahre dauern.

Trump gegenüber werden heute viele junge und starke Frauen sitzen, die ihre Mandate in den Midterm-Wahlen im November gewonnen haben. Wird das einen Einfluss auf seine Rede haben?

Wenn die Kameras mitspielen, auf jeden Fall. Es geht um Aufmerksamkeit. Ich wette, dass die Frauen auf demokratischer Seite mit irgendetwas versuchen werden, diese auf sich zu ziehen. Eine besondere Art der Kleidung, irgendein abgestimmtes Zeichen des Protestes. Trump wird kein braves Publikum vor sich haben.

Im Publikum werden auch zwei Senatorinnen und eine Kongressabgeordnete sitzen, die vorhaben, 2020 gegen Trump im Präsidentschaftswahlkampf anzutreten. Haben Sie schon eine Favoritin?

Es ist wunderbar, dass sie antreten. Aber für eine Favoritin ist es noch zu früh. Ich freue mich, dass so viele progressive Frauen antreten. Ich hoffe, sie können genug Geld sammeln, um die Vorwahlen zu überstehen.

Steigt mit solchen Kandidatinnen das Vertrauen, dass Trump die Wahl 2020 verliert?

Nach den Erfahrungen von 2016 sollten wir nicht zu viel Vertrauen haben. Aber die Hoffnung niemals aufgeben.

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