US-Wahlkampf:Trump zieht mit "Wir gegen die" in den Kampf

Die Rede des US-Präsidenten zum Abschluss des republikanischen Parteitags war ein mäanderndes Durcheinander. Aber eine klare Frontlinie hat er gezogen.

Von Hubert Wetzel, Washington

Donald Trump hat in den vergangenen Jahren viele Reden gehalten. Wütende und gemeine Reden, polternde und angeberische, Reden voller Lügen, voller Beleidigungen, voller Selbstlob. Ab und an hat er sogar die eine oder andere halbwegs brauchbare Rede gehalten, ob mit Absicht oder aus Versehen sei dahingestellt.

Am Donnerstagabend hielt Donald Trump eine Rede, die vor allem langweilig war. Mehr als eine Stunde lang las er, mit beiden Händen an ein Stehpult geklammert, in einem merkwürdigen Singsang ein mäanderndes Manuskript vom Teleprompter ab. Und als er eine halbe Stunde vor Mitternacht endlich fertig war, konnte man ihm ansehen, dass er mit sich selbst nicht wirklich zufrieden war.

Nun kommt es vor, dass Politiker schlechte Reden halten. Und oft ist das auch nicht schlimm. Aber Trumps Rede am Donnerstag war nicht irgendeine beliebige Ansprache. Es war die Abschlussrede des republikanischen Parteitags, bei dem er zum zweiten Mal zum Präsidentschaftskandidaten der Partei gekürt worden war. Die Kandidatenrede ist traditionell der Höhepunkt dieser Veranstaltung, sie muss sitzen, alles andere, was in den vier Tagen davor gesagt wird, ist nur Beiwerk.

Doch bei Trump saß gar nichts. Seine Rede war, wie man das in den USA nennt, eine "Laundry List" - eine lange, nicht sehr aufregende Liste, auf der penibel alle Wäschestücke aufgeschrieben sind, die man bei der Reinigung abgegeben hat, damit auch nichts verloren geht. Sieben Hemden, vier Hosen, drei Bettlaken, drei Tischtücher und dann noch zwei Anzüge, ein grauer und ein dunkelblauer.

Nur dass Trump eben nicht Hemden und Bettlaken auflistete, sondern zuerst die Dinge, die er als die Erfolge seiner ersten vier Jahre im Präsidentenamt ansieht - gefolgt von den Dingen, die er in den kommenden vier Jahren noch erreichen will. Dieses Format hatte zur Folge, dass Trump nicht nur sehr detailliert politische Entscheidungen aus der Vergangenheit beschrieb, sondern die gleichen Punkte zum Teil auch in dem Abschnitt abhandelte, in dem es um die Zukunft ging. So lobte er sich zum Beispiel nicht nur dafür, in seiner ersten Amtszeit die Medikamentenpreise gesenkt zu haben, sondern versprach auch gleich, in seiner zweiten Amtszeit die Medikamentenpreise zu senken. Dazwischen schob er dann Sätze wie diesen: "Oh, und haben Sie bemerkt, wie sehr Ihre Benzinrechnung gesunken ist?" Was diese Frage mit dem größeren thematischen Bogen der Rede zu tun hatte, blieb offen.

Vielleicht war die Atmosphäre das Problem. Trump begeistert seine Zuhörer immer dann besonders, wenn er in großen Hallen weitgehend improvisiert spricht. Dann legt er los, er weiß genau, wie er das Publikum anheizen und führen kann. Aber so ein Auftritt war dieses Jahr nicht möglich. Der Parteitag, der in einem Kongresszentrum in Charlotte, North Carolina, hätte stattfinden sollen, musste wegen des Coronavirus größtenteils ins Internet verlegt werden.

Trump entschloss sich deswegen, vor dem Weißen Haus zu sprechen. Das war in juristischer Hinsicht fragwürdig - eine womöglich illegale Vermischung von Wahlkampf und Amt. Trump ließ trotzdem eine Bühne und Klappstühle für 1500 Gäste auf dem Südrasen aufstellen. Er wollte den Kontrast zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, der vorige Woche aus einem leeren Veranstaltungssaal in Wilmington, Delaware, zu den Amerikanern gesprochen hatte.

Aber der Amts- und Wohnsitz des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist eben kein Hintergrund, vor dem man eine ruppige, laute Wahlkampfrede halten kann. Trump wollte staatsmännisch klingen, dem historischen Gebäude angemessen, vor dem er stand. Er klang stattdessen wie ein Krämer, der bei der Inventur die Ecke des Ladens durchsieht, in der die Hülsenfrüchte gelagert sind.

Kein Wort des Mitgefühls für die Opfer von Polizeigewalt

Andererseits: Wer sich die Rede aufmerksam anhörte, anstatt - nur als Beispiel - nebenbei vielleicht die Kreditkartendaten in der Amazon-App zu aktualisieren oder im Internet einen neuen Fahrradhelm zu bestellen, erfuhr durchaus, mit welcher Botschaft Trump in die letzten Wahlkampfwochen zu ziehen gedenkt. Und um die zusammenzufassen, reichen drei Wörter: Wir gegen die.

Wir - das sind laut Trump die echten, patriotischen Amerikaner, die an Gott glauben (und zwar den christlichen), die ihr Land lieben, die die Flagge ehren und alle Helden in Uniform, seien es Soldaten, Polizisten oder Krankenschwestern.

Die - das sind laut Trump die Demokraten, die Amerika hassen, die Anarchisten, Plünderer, Brandstifter, Chaoten und Krawallmacher, der ganze linksradikale Mob, der in den Städten wütet, der alle Andersdenkenden unterdrücken und den Amerikanern ihre Waffen wegnehmen will. Und zu "denen" gehört natürlich auch Joe Biden, das "Trojanische Pferd der Sozialisten", wie Trump den Demokraten bezeichnete.

Die Wahlkampffront, die Trump in seiner Rede zog, war also klar, daran änderten das öde Drumherum und der schleppende Vortrag nichts. So wie Trump es darstellte, stehen sich im November der "amerikanische Traum" und eine "sozialistische Agenda" gegenüber, die "amerikanische Lebensart" und eine "radikale Bewegung, die diese zerstören will". Die Rede enthielt die üblichen Referenzen an Trumps Kernwählergruppen - an die Abtreibungsgegner, die Waffen- und Militärfreunde, die Industriearbeiter, die Nationalisten und die Steuersenker. Doch darüber hinaus war sie ganz offensichtlich an möglicherweise unentschiedene, moderate Wähler gerichtet, denen inzwischen mulmig wird, wenn sie sehen, wie die Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeibrutalität in mehr und mehr Städten in Gewalt, Plünderungen und Brandstifterei umschlagen. Für die schwarzen Opfer schießwütiger Polizisten hatte Trump kein Wort des Mitgefühls übrig, für die Polizei dafür umso mehr Lob.

Für Trump, der in den Umfragen hinter Biden liegt, ist das wohl die Angriffsachse, die den größten Erfolg verspricht. Denn die Gesamtsituation im Land spricht ja nicht für den Präsidenten. Trump kann, wie er es am Donnerstag tat, zwar behaupten, er habe die Corona-Krise ganz großartig gemeistert. Die mehr als 180 000 Toten beweisen jedoch das Gegenteil. Er kann auf die steigenden Aktienmärkte zeigen. Aber die Arbeitslosenrate ist trotzdem zweistellig. Biden als Marionette des linken Flügels der Demokraten darzustellen und seinen Ruf als pragmatischer Mitte-Politiker zu attackieren, ist daher aus wahltaktischer Sicht eine nachvollziehbare Entscheidung Trumps.

Zu diesem Winkelzug würde dann wiederum auch passen, dass Trump zum Ende des Parteitags auf eine hysterische Wahlkampfbüttenrede verzichtet hat, so sehr er diese Auftritte auch liebt. Eine Charaktereigenschaft, die Biden auszeichnet, ist, dass er nicht besonders aufregend ist. Das hilft ihm, denn nach fast vier Jahren Trump'schem Dauerchaos sehnen sich sehr viele Amerikaner nach etwas Langeweile. Vielleicht hat Donald Trump am Donnerstag genau den richtigen Moment erwischt, um einmal nicht der echte Donald Trump zu sein.

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