Seit kaum drei Wochen ist der neue US-Verteidigungsminister im Amt, jetzt kennt Europa seine Sicht auf die Welt und vor allem die Ukraine. Es ist natürlich auch die des Präsidenten Donald Trump. „Die Vereinigten Staaten glauben nicht, dass die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung ist“, sagte Pete Hegseth am Mittwoch beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel. Er hält es außerdem für unrealistisch, dass die Ukraine in ihre alten Grenzen zurückkehrt. Trump wolle jedoch mit diplomatischen Mitteln einen Waffenstillstand erreichen, richtete Hegseth aus: „Der Krieg muss enden.“
Die amerikanische Regierung wolle eine souveräne Ukraine, sagte der Chef des Pentagon, dafür brauche es „robuste Sicherheitsgarantien“. Diese müssten „durch fähige europäische und außereuropäische Truppen unterstützt werden“, aber es würden „keine US-Truppen in der Ukraine stationiert werden.“ Es dürfe kein Nato-Einsatz mit Beistandspflicht nach Artikel 5 sein, jedoch auch kein Abkommen nach Art des Minsk-Vertrages. Damals, 2014, waren OSZE-Beobachter im Osten der Ukraine stationiert worden, während die russische Armee bereits im Donbass aktiv war und die ukrainische Halbinsel Krim besetzt hatte.
Wie bereits Trump sagte auch Hegseth, dass die Nato-Staaten ihre Militärausgaben auf fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung erhöhen sollten, zwei Prozent seien zu wenig. Die Bündnispartner müssten mehr Verantwortung übernehmen, die USA seien mit Aufgaben im Indo-Pazifik (sprich China) und an den eigenen Grenzen beschäftigt. Die USA blieben der Nato verpflichtet, sagte Hegseth. „Aber die Vereinigten Staaten werden nicht länger ein unausgewogenes Verhältnis tolerieren, das Abhängigkeiten fördert.“ Man sei auch hier, „um direkt und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass die krassen strategischen Realitäten die Vereinigten Staaten von Amerika daran hindern, sich in erster Linie auf die Sicherheit Europas zu konzentrieren.“
Trump irritiert mit Kommentar zu Kiew
Überraschend kommt das weder für Europäer noch Amerikaner. Im Wahlkampf hatte Trump versprochen, „die Invasion“ an der US-Südgrenze zu stoppen und mehr Geld von Nato-Staaten verlangt. Den Krieg in der Ukraine wollte er in 24 Stunden beenden. Und am Mittwoch teilte Trump mit, er habe mit Wladimir Putin telefoniert und vereinbart, Verhandlungsteams sollten sofort Gespräche aufnehmen. Er stimme mit dem russischen Präsidenten überein, dass der Krieg beendet werden müsse. Selenskij werde er über das Gespräch informieren, so Trump in seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Kurz darauf teilte der Kreml mit, Putin und Trump hätten bei dem eineinhalb Stunden langen Telefonat ein Treffen vereinbart. Putin habe Trump nach Moskau eingeladen. Bereits vor einigen Tagen hatte Trump der New York Post von einem Telefongespräch mit Wladimir Putin erzählt. Und am Dienstag hatte Trump im Weißen Haus mit diesem Kommentar zu Kiew irritiert: Die Ukraine könne „einen Deal machen oder auch nicht“, sagte er. Vielleicht sei sie „eines Tages russisch, vielleicht aber auch nicht.“
Später nannte sein Sicherheitsberater Mike Waltz die Freilassung des wegen mutmaßlichen Besitzes von Marihuana in Russland inhaftierten US-Lehrers Marc Fogel „ein Zeichen des guten Willens seitens der Russen und ein Zeichen dafür ist, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, um den brutalen und schrecklichen Krieg zu beenden“. Trumps Vertrauter Steve Witkoff, eigentlich für Nahost zuständig, hatte sich laut Fox News in Moskau dreieinhalb Stunden lang mit Putin besprochen.
Besonders Trumps Maga-Bewegung hält die Unterstützung der Ukraine zunehmend für Geldverschwendung, obwohl die Rüstungslieferungen auch der heimischen Industrie zugutekommen. Zuletzt deutete der US-Präsident an, dass die USA für ihren militärischen Beistand entschädigt werden müssten, und zwar mit ukrainischen Mineralien im Wert von 500 Milliarden Dollar. Am Freitag soll Vizepräsident J. D. Vance im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij zusammentreffen.
Kiew sieht keine Gesprächsbereitschaft in Moskau
In der ukrainischen Realität bedeuten Hegsethts Statements erst einmal wenig. Zum einen hatte ohnehin niemand an einen schnellen Nato-Beitritt der kriegführenden Ukraine geglaubt, auch ist die Erklärung des US-Verteidigungsministers keine Erklärung der Nato und könnte in vier Jahren unter einer neuen US-Administration hinfällig sein. Vor allem aber ist aus Kiewer Sicht nicht einmal für eine Friedenslösung oder einen Waffenstillstand in Moskau aktuell Gesprächsbereitschaft vorhanden.
So erklärte Selenskij kürzlich, zur Sicherung eines Waffenstillstandes seien 200 000 westliche, also Nato-Soldaten zusätzlich zu denen der Ukrainer nötig. Die New York Times schätzt die Zahl einer solchen tatsächlich abschreckenden europäischen Truppe auf mindestens 150 000 Soldaten. Diese seien zudem auf massive US-Unterstützung bei Aufklärung, Waffen und Luftverteidigung angewiesen. Doch das russische Außenministerium schloss jedwede Anwesenheit von Nato-Truppen in der Ukraine schon am 23. Januar als kategorisch unakzeptabel und „unkontrollierbare Eskalation“ aus.
Außerdem kann von einer stillstehenden Front oder einem Zurückdrängen russischer Soldaten anders als im Herbst 2022 keine Rede sein. Moskaus Truppen besetzen trotz hoher Verluste in der Ostukraine langsam, aber stetig neue Dörfer oder Städte und haben seit Sommer 2024 so mehr als 4000 Quadratkilometer hinzugewonnen. Die russische Rekrutierung und die Russlands Kriegskasse füllende Wirtschaft stehen weit besser da als im Westen erhofft, beschrieb am 22. Januar das Londoner Militärforschungsinstitut RUSI.
Selenskij und andere Politiker haben bisher nur ausgeschlossen, den Verzicht auf ihr besetztes Territorium formell anzuerkennen. Auch die Exilregierungen der baltischen Staaten erkannten nie ihren Zwangsanschluss an die Sowjetunion an. Allerdings sorgt sich der ukrainische Präsident, dass das Schicksal der Ukraine über ihren Kopf hinweg zwischen Trump und Putin entschieden werden könnte, ließ er am Mittwoch in einem Interview mit dem englischen Economist erkennen. Zumindest kurzfristig dürften für Kiew am wichtigsten die Gespräche über weitere US-Waffenlieferungen seien, die sich Trump durch die Ausbeutung oder Überschreibung von Bodenschätzen absichern lassen will. Auch hier sind freilich alle Details offen, der Wert der Vorkommen ist ungeklärt, und sie befinden sich teilweise auf russisch besetztem Gebiet.