Wolodimir Selenskij hat sich das Sprachbild nicht selber ausgedacht, als er sagte, die Ukraine sei kein Salat, sondern ein unabhängiger Staat. Und dass er nicht vorhabe, auf Putins Speisekarte zu landen. Es war seine Antwort auf einen Kommentar von Dmitrij Medwedjew. Als das Telefongespräch zwischen Wladimir Putin und Donald Trump beendet war, schrieb der ehemalige russische Präsident auf X: „Im Esszimmer sind nur Russland und Amerika. Auf der Speisekarte: leichte Vorspeisen – Brüsseler Kohl, britische Fish and Chips und Pariser Hahn. Das Hauptgericht: Kiewer Schnitzel. Guten Appetit.“ Die russische Verachtung über Europa und die Ukraine, verdichtet auf wenigen Zeilen.
Mehr als eineinhalb Stunden lang haben der Kremlchef und der US-Präsident am Dienstag miteinander telefoniert. Trump hatte gehofft, nach dem Einverständnis Selenskijs zu einer 30-tägigen Waffenruhe nun auch Putin davon überzeugen zu können. Aber das ist ihm nicht gelungen. Putin bot lediglich an, für diesen Zeitraum Angriffe auf ukrainische Energieanlagen zu stoppen, wenn auch die Ukraine auf solche Schläge verzichte. Solche Angriffe auf die Energie-Infrastruktur, die Russland in starken Wellen immer wieder gegen die Ukraine fliegt, sind nach der Genfer Konvention ohnehin verboten.
Am frühen Mittwochmorgen berichtete die Zeitung Kyiv Independent, dass bei russischen Angriffen im Nordosten der Ukraine, in Sumy sowie im Ort Krasnopillja, jeweils ein Krankenhaus getroffen worden sei. Hinweise auf mögliche Opfer habe es zunächst nicht gegeben. In einigen Orten des Gebiets Dnipropetrowsk wiederum sei nach russischen Angriffen auf ein Bahnnetz der Strom ausgefallen. Selenskij sagte, die Ukraine unterstütze einen 30-tägigen Stopp der Angriffe auf Energieanlagen, aber diese nächtlichen Attacken nach dem Telefonat zeigten: Moskau sei überhaupt nicht bereit, den Krieg zu beenden. 40 Shaheed-Drohnen „über unserem Himmel“, sagte der ukrainische Präsident. Russland wiederum warf der Ukraine vor, bei Angriffen im russischen Süden eine Ölpumpstation getroffen zu haben. „Wenn die Russen unsere Anlagen nicht angreifen, werden wir auch ihre Anlagen nicht angreifen“, sagte Selenskij. Und forderte eine Überwachung durch die USA.
Was der Kreml mitteilt, erstickt die Hoffnung auf eine schnelle Einigung
Trump spürt vermutlich gerade zum ersten Mal, wie kompliziert es ist, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Damit der US-Präsident erfolgreich ist, müsste Putin eben auch mitmachen. Danach sieht es nicht aus. Immerhin zwölf Absätze hat der Kreml auf seiner Internetseite zum Gespräch mit dem Amerikaner formuliert. Sie sind gespickt mit Forderungen, Bedingungen und Anmerkungen, die Trumps Hoffnungen auf eine schnelle Einigung und ein vorläufiges Ende der Kämpfe ersticken müssten. Dass der Kreml bei der Gelegenheit den Austausch von jeweils 175 Gefangenen mit der Ukraine am Mittwoch ankündigte, hat wiederum mit dem Trump-Gespräch nichts zu tun. Die Ukraine und Russland haben in den drei Kriegsjahren immer wieder Gefangene ausgetauscht. Diesmal ließ Russland zudem 22 verletzte Ukrainer frei.
Eine „Schlüsselbedingung“, wie der Kreml schreibt, sei, dass die ausländische Militärhilfe an Kiew und die Versorgung mit Geheimdienstinformationen beendet wird. Praktisch macht er so die Hilflosigkeit der angegriffenen Ukraine zur Voraussetzung für einen Waffenstillstand. Putin weiß: Selbst wenn er Trump dazu überreden könnte, die amerikanische Militärhilfe langfristig zu stoppen, so würde die europäische Hilfe doch weitergehen, sogar deutlich verstärkt, wie es nun aussieht. Andernfalls wäre die Ukraine Russland praktisch schutzlos ausgeliefert. So will allein die Bundesregierung die Ukraine in den nächsten Jahren mit mehr als elf Milliarden Euro an weiterer Militärhilfe unterstützen. Der finnische Präsident Alexander Stubb betonte am Mittwoch, dass die Ukraine das unbestrittene Recht habe, sich selber zu verteidigen, mit Unterstützung ihrer Partner.

Die russische Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja, Mitarbeiterin des Carnegie-Zentrums, schreibt auf X, Putins Bedingung mache einen „vollständigen Waffenstillstand höchst unwahrscheinlich“. Genau das ist vermutlich auch gewollt. Die russische Führung hat auch in den vergangenen Wochen immer wieder klargemacht, dass sie die vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja als russische Gebiete beansprucht. Moskau hat sie schon vor drei Jahren völkerrechtswidrig zu russischem Staatsgebiet erklärt, kontrolliert sie allerdings bisher nur in Teilen.
„Der Prozess entwickelt sich eher nach russischem Szenario.“
Die russische Zeitung Kommersant berichtete nun, bei einem Kongress russischer Unternehmer, bei dem am Dienstag auch Putin dabei war, sei es hinter verschlossenen Türen auch um diese vier Regionen gegangen. Demnach drängt Moskau bei den Gesprächen über die Ukraine dazu, dass die Gebiete schon bald als russische anerkannt werden. In diesem Fall würde Russland keinen Anspruch auf die Großstadt Odessa und andere ukrainische Gebiete erheben. Was umgekehrt bedeuten würde: Andernfalls wären weitere Landesteile der Ukraine bedroht.
Nach Trumps Einigung mit Selenskij über eine Waffenruhe hatte es aus Sicht des US-Präsidenten zunächst so ausgesehen, als habe er nun Russland unter Zugzwang gesetzt. Nach dem Telefonat mit Putin scheint der Kremlchef mit all seinen Bedingungen den Druck eher wieder auf Trump zu erhöhen. Ein Ende des Kriegs, möglichst schnell, das hatte der Amerikaner ja vorhergesagt. Aber er zieht sich doch so hin. Der dem Kreml loyale russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow schrieb nach Putins Telefonat mit Trump sichtlich erfreut: „Der Prozess entwickelt sich eher nach russischem Szenario.“ Russland habe deutlich gemacht, dass ein sofortiger Waffenstillstand nicht akzeptabel sei. Voraussetzung sei das Ende der Militarisierung der Ukraine.
Noch am Mittwoch telefonierte Trump auch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij. Trump nannte es ein „sehr gutes Gespräch“. Details waren zunächst nicht bekannt. Am kommenden Sonntag soll in der saudi-arabischen Stadt Dschidda eine weitere Gesprächsrunde zwischen Russland und den USA über den Ukraine-Krieg stattfinden. „Der Teufel steckt im Detail“, sagte der US-Sondergesandte Steve Witkoff, „und ich denke, wir müssen diese Details herausfinden.“
Das würde auch Selenskij gern. Er beklagte, dass er bisher wenig Genaues über Trumps Gespräch mit Putin erfahren habe. Überhaupt könne es nicht sein, dass die USA und Russland über die Ukraine verhandeln, ohne dass sein Land dabei ist.
Eigentlich geht es darum, die Zusammenarbeit mit Moskau zu legitimieren
Die Ukraine ist bei den Gesprächen zwischen Russland und den USA allerdings ohnehin nur ein sehr wichtiges, nicht aber das einzige Thema. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Trump/Putin-Telefonats ist nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Stanowaja „die vollwertige Legitimisierung der amerikanisch-russischen Zusammenarbeit“. Es sei ein sehr großer Erfolg für Putin, dem es gerade gelinge, die Zusammenarbeit der beiden Länder aus der Abhängigkeit vom Ukraine-Konflikt herauszuführen. Es sei die „Entgiftung Russlands“.
Dazu gehört offenbar auch eine Vereinbarung, die mit Blick auf den Krieg zunächst geradezu völlig bedeutungslos wirkt. Nach Angaben des Kremls hat Trump Putins Idee unterstützt, ein paar Eishockeyspiele in den USA und in Russland zu organisieren, mit Spielern aus der NHL und der russischen Liga KHL. Russland will auch beim Sport raus aus der internationalen Isolation. Und Trump hilft ihm gern.