Autoritäre Herrscher:Fünfmal Feueralarm

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Brandstifter eins: Xi Jinping, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan beim Hamburger G-7-Gipfel 2017. (Foto: Matt Cardy/Getty Images)

Der Publizist Rafael Seligmann entwirft eine Typologie antidemokratischer „Brandstifter“ von Trump über Netanjahu bis zu Putin – und gibt ein paar Tipps, wie liberale Demokratien mit ihnen umgehen können.

Rezension von Nicolas Freund

Wäre die Lage nicht so ernst, es könnte auch der Anfang eines Witzes sein: Was haben Putin, Trump und Netanjahu gemeinsam? Klar, alle drei sind alte, weiße Männer mit einem problematischen Verhältnis zum Rechtsstaat und – beim einen mehr, beim anderen weniger – ausgeprägten autokratischen Zügen. Da hören die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon auf. Vom irrlichternden Horrorclown Donald Trump ist es dann doch noch ein weiter Weg zu Wladimir Putin, der den Horror in der Ukraine seit mehr als zwei Jahren Wirklichkeit werden lässt.

Der jüdische Autor und Journalist Rafael Seligmann vermutete aber noch eine Gemeinsamkeit zwischen den Herren Putin, Trump, Netanjahu, und um das zu belegen, holt er auch noch Xi Jinping sowie Recep Tayyip Erdoğan in diese sympathische Runde, was zunächst aber eher zur Unschärfe beiträgt. Denn Putin und Erdoğan unterscheidet doch deutlich mehr, als sie verbindet.

Mit Georg Büchner und Max Frisch als Leitfaden

Mit einem Zitat Georg Büchners stellt Seligmann sich selbst angesichts der Vielzahl an haarsträubenden Entgleisungen dieser Herren eine ganz grundlegende Ausgangsfrage: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ Eine Antwort darauf hat er natürlich auch nicht parat. Aber bei einem anderen Schriftsteller, nämlich bei Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, findet er einen Ansatz zur Erklärung dieser oft kriminellen Langzeitherrscher: Was Putin, Trump, Netanjahu, Erdoğan und Xi verbindet, ist ihr Hang zur Brandstiftung, vor allem im eigenen Land, und das Gefolge aus Biedermännern, die ihnen ihre Herrschaft ermöglichen.

„Politische Brandstifter nehmen (...) den formal korrekten Weg, um an die Macht zu gelangen“, schreibt Seligmann. Die Demokratie ist für sie nur ein Mittel zur Errichtung eines autokratischen, auf ihre Person ausgerichteten Systems. Appeasement bringt nichts, sondern stachelt sie nur noch mehr an. Auch ein rationaler Zugang zu ihnen ist nicht möglich. Sie verstehen nur Widerstand.

Putin schon am Ende? Wohl eher nicht

Um diese These zu belegen, stellt Seligmann seine fünf Brandstifter in je einem knappen, politisch-biografischen Porträt vor. So beschreibt er Putin als kaltblütigen Taktierer, der aber zuletzt vom eigenen Erfolg geblendet wurde. Mit dem auch für Russland katastrophalen Krieg in der Ukraine habe er sich krass verkalkuliert, das zeige unter anderem der Aufstand des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin. „Mitläufer sehnen sich nach strahlenden Siegern – nicht nach alten, verbrauchten Verlierern“, schreibt Seligmann. Putin sei ein dead man walking. Das ist vielleicht doch etwas zu weit gegriffen. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde Putin von seinen Biedermännern ernsthaft infrage gestellt.

Rafael Seligmann: Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin – Trump – Netanyahu. Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien, 2024. 176 Seiten, 18 Euro.) (Foto: Herder)

Xi ist für Seligmann eine tickende Bombe, ein Brandstifter, der nur auf den richtigen Moment wartet, um das Streichholz zu zücken und zum Beispiel Taiwan in Brand zu stecken. Erdoğan ist für ihn dagegen vor allem ein Meister darin, die Demokratie gegen sich selbst auszuspielen, wobei ihm der letzte Schritt hin zu einem islamischen Gottesstaat, einem „Erdoğanistan“, wie Seligmann es nennt, nicht gelingen will. Der Stil des Buches ist nicht nur in solchen Wortschöpfungen flott mit Tendenz zum Boulevard.

Netanjahu als Gefahr für Israel

Besonders interessant ist das Kapitel über Benjamin „Bibi“ Netanjahu. Dessen umstrittene Justizreform und seine Härte nach dem Hamas-Angriff des 7. Oktober erklärt Seligmann mit der Ideologie des „revisionistischen Zionismus“, der Netanjahu anhänge und die besagt, dass das Land Israel erobert und eisern verteidigt werden müsse. Der Tod seines Bruders bei einem Antiterroreinsatz habe „Bibi“ noch weiter radikalisiert, inzwischen sei er statt zu einem Beschützer zu einer Gefahr für Israel geworden. Auch das ist eine Gemeinsamkeit der Brandstifter, die vorgeben, alles für ihr Land zu geben, ihm aber meist vor allem schaden.

Brandstifter zwei: Donald Trump 2020 beim Empfang von Benjamin Netanjahu in Washington. (Foto: Saul Loeb/AFP)

Seligmann belässt es nicht nur bei der Brandmeldung, sondern hat auch gleich ein paar mögliche Löschmittel parat. Als Schwachstelle demokratischer Staaten identifiziert er die Justiz, die von vielen Brandstiftern gezielt angegriffen und geschwächt werde, um weiter mit vermeintlich legalen Mitteln ihre Ziele durchsetzen zu können. Ebenso warnt er vor jeder Verbindung von Religion und Staat, denn Religion und Freiheit würden einander grundsätzlich ausschließen. Außer einer freien und seriösen Presse sind es für ihn besonders die engagierten Bürger, die sich den Brandstiftern entgegenstellen müssen. Auch, um nicht zu Biedermännern zu werden – für viele ist das womöglich sogar eine verlockende Aussicht.

Es ist nicht immer schönes Demokratiewetter

„Dagegen vergisst in mancher Wohlfühldemokratie, einschließlich Deutschland, eine zunehmende Zahl von Bürgern, dass die Vitalität der freien Gesellschaft einen Preis hat“, schreibt Seligmann. „Er reicht von Wahlbeteiligung, dem öffentlichen Bekenntnis für die Freiheit und gegen ihre Feinde, bis zum Einsatz des eigenen Lebens im Verteidigungsfall.“ Kurz: Demokratie ist, was ihr daraus macht. Klingt selbstverständlich, ist es aber für viele offenbar nicht mehr. Seligmann macht hier einen wichtigen Punkt, denn eben genau an die oft anstrengenden und anspruchsvollen Grundlagen der Demokratie muss gerade in diesen Zeiten immer und immer wieder erinnert werden.

Seligmanns „Brandstifter“ sind also zwei Bücher in einem: eine Einführung in die Grundzüge autoritärer Herrschaft der Gegenwart und eine Art Rettungsversuch der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Für beides ist dieses Buch nicht der schlechteste Ausgangspunkt.

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