Trump in Pittsburgh:In die Trauer platzt der Präsident

Viele aus der jüdischen Gemeinschaft in Pittsburgh wollten nicht, dass Donald Trump die Synagoge besucht, in der ein Mann am Samstag elf Menschen erschoss. Der US-Präsident kommt dennoch.

Reportage von Thorsten Denkler, Pittsburgh

Lila Stone will nicht warten, ob noch was passiert, ob der Präsident erscheint oder nicht, alleine oder mit Familie, es ist ihr egal. Sie ist an diesem Dienstagnachmittag nicht seinetwegen hier vor die "Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh gekommen, in der am Samstag ein Mann elf Menschen erschossen hat. Gläubige, die zum Gottesdienst zusammengekommen waren. Lila Stone ist 16 Jahre alt, sie wohnt hier, sie ist da, um zu begreifen, was hier passiert ist. Sie weint, ihre Freundin nimmt sie in den Arm. Sie hat auch geweint, als sie am Samstag erfahren hatte, was hier passiert ist, nachdem Freunde ihr Textnachrichten geschickt hatten, ob es ihr gut gehe? Ob sie am Leben sei? Es hätte auch ihr Name sein können, der dort drüben, umrahmt von einem Meer aus Blumen, auf einem weißen Gedenkstern steht. Ihr Name neben den elf anderen Namen.

Die Straße vor der Synagoge ist für Autos gesperrt. Männer mit Kippa auf dem Kopf stehen beisammen und singen, andere stehen im Kreis, die Arme über die Schultern des Nächsten gelegt, und beten. Gegenüber der Synagoge haben sich die Medien postiert. Eine lange Reihe von Kameras und Leuchten, Reportern und Fotografen. Ein Mann, weiße, krause Haare, eine Hand in der Hosentasche, hat sich mit einem Schild vor den Journalisten aufgebaut. "Restore Dignity to America", steht darauf. Stellt Amerikas Würde wieder her. Aus einem Auge fließt eine Träne, dann noch eine, dann noch eine. Es hört nicht auf.

Es geht das Gerücht um, dass tatsächlich Donald Trump hierherkommt. Die Straße wird jetzt komplett gesperrt, der Secret Service erscheint, alle Journalisten werden einzeln gecheckt.

Auch die Frau muss gehen, die mit einem Trump-Plakat hierhergekommen ist. Eine orthodoxe Jüdin, sie hat die übliche Perücke auf dem Kopf. Sie ist als Kind christlicher Eltern in Deutschland geboren. Und zum jüdischen Glauben konvertiert, als sie ihren Mann kennengelernt hat. Sie erzählt das freimütig. Nur ihren Namen will sie nicht preisgeben. Ihr Sohn kommt dazu. Er bittet seine Mutter, das Schild wegzunehmen und nicht mit der Presse zu reden. Sie ist da, um Trump zu verteidigen. Er will niemanden verteidigen. Er will nur trauern. "Er ist gegen Trump", sagt sie, als müsse sie etwas erklären. Sie schaut ihn an, als hätte sie ihn längst verloren.

Es wäre eine Überraschung, wenn Trump kommt. Oder, wie ein Reporter sagt, wenn er es "wagt", zu kommen. Trump hatte sich am Montag erst für einen Besuch in Pittsburgh angekündigt, wollte Verletzte im Krankenhaus besuchen und sich mit Hinterbliebenen treffen. Mehr Pläne gab es zunächst nicht.

Es gab sofort Streit um den Besuch. Viele hier machen Trump und seine Rhetorik mit für den Hass verantwortlich, der zu dem Attentat oder den Briefbomben geführt hat, die ein Mann aus Florida an mehr als ein Dutzend prominente Demokraten geschickt hat. Der Bürgermeister von Pittsburgh hat sich geweigert, Trump zu treffen. Der Online-Unterschriftenaktion einer progressiven jüdischen Gruppe haben sich innerhalb weniger Stunden mehr als 65 000 Menschen angeschlossen. Die frühere Vorsteherin der jüdischen Gemeinde von "Tree of Life" hat Trump ausdrücklich nicht in ihrer Stadt haben wollen.

Jeffrey Myers war der Rabbi, der am Samstag den Gottesdienst leitete. An diesem Dienstagmorgen hat es die ersten Beerdigungen gegeben. Myers musste sich von Gemeindemitgliedern verabschieden, von Freunden. Wenn Trump denn unbedingt kommen will, dann auf keinen Fall, bevor die Beisetzungen vorüber sind, darauf hat er bestanden. Aber er sei auch "ein Bürger. Trump ist der Präsident", sagte er. "Und der Präsident ist immer willkommen."

Die Wagenkolonne des Präsidenten fährt vor. Trump steigt aus. Und mit ihm seine Frau Melania, seine Tochter Ivanka und deren Mann Jared Kushner, der selbst jüdischen Glaubens ist. Kushner trägt eine Kippa. Jeffrey Myers wartet zusammen mit dem israelischen Botschafter Ron Dermer vor der Synagoge auf die Präsidentenfamilie. Trump schüttelt Myers die Hand, sie reden, manchmal schüttelt Trump den Kopf, wohl um Fassungslosigkeit auszudrücken. Sie gehen in die Synagoge. Myers wirkt nicht wie jemand, der wirklich dabei ist. Eher wie jemand, der aufpassen muss, nicht jeden Moment zusammenzubrechen. Eine gute Viertelstunde bleiben sie in der Synagoge. Nicht im Gebetssaal, dem Tatort. Sondern im Foyer. Myers führt Trump und seine Frau anschließend zu den Gedenksternen vor der Synagoge. Das Präsidentenpaar legt kleine Steine auf die Sterne, wie es jüdischer Brauch ist. Donald und Melania Trump halten sich die Hände. Ivanka Trump und Jared Kushner halten Abstand. Kushner ist bleich, Ivanka Trump schaut wie erstarrt. Beide haben Tränen in den Augen.

"A word, Mr. President", ruft ein Reporter, als alle dabei sind, wieder in die Wagen zu steigen. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen für Trump, jetzt einfach zu schweigen. Der Reporter ruft noch mal: "Ein Wort, Mr. President!"

"Das hier ist mein persönliches 9/11"

Trump steht jetzt allein da, vor ihm die Motorhaube der Präsidentenlimousine. Hinter ihm die Gedenksterne mit den Namen der Opfer und den vielen, vielen Blumen. Er sagt jetzt doch etwas. "Sad. Very, very sad", traurig, sehr, sehr traurig. Und: "Hoffentlich können wir sehr viel daraus lernen." Ein erster Gedanke ist, dass hoffentlich er daraus lernt. Aber da gibt es nicht viel Hoffnung. Nach dem Attentat hat Trump unter anderem ausgiebig über ein Baseball-Spiel getwittert, die Medien für den Hass mitverantwortlich gemacht. Und auf einer Wahlveranstaltung gesagt, dass er überlegt habe, sie abzusagen - weil er einen "Bad Hair Day" habe. Weil seine Haare in dem Moment nicht richtig lagen. Nicht etwa, weil ein Mann in Pittsburgh elf Juden getötet hat. ("Bad Hair Day" wird in den USA auch als Synonym für einen generell schlechten Tag verwendet, Trump stand kurz zuvor allerdings im Regen und bezog sich offensichtlich tatsächlich auf seine Frisur).

Lila Stone wollte auch nicht, dass Trump kommt. Trump will "Gewalt mit Gewalt bekämpfen, Feuer mit Feuer. Das funktioniert nicht", sagt sie. Jetzt ist Trump wieder weg. Und Squirrel Hill bleibt sich selbst überlassen. Eichhörnchen-Hügel auf Deutsch. Lila Stone ist hier aufgewachsen. Beschaulich ist es, ruhig. Viktorianische Villen, viel Grün, Bäume so alt wie die Häuser, von denen die ersten Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurden. Ein Ort, an dem so etwas nicht passiert. Jetzt ist es der Ort des größten antisemitischen Verbrechens in der jüngeren Geschichte der USA.

Mit Antisemitismus sei sie noch nie konfrontiert worden, sagt Lila Stone. Sie will noch etwas sagen, bevor sie verschwindet. Dass sie noch nicht geboren war, als am 11. September 2001 Terroristen zwei Flugzeuge in die Twin Towers in New York steuerten. Dass sie aber weiß, welchen Einfluss das Attentat auf die USA hatte. "Das hier", sagt sie leise, "das hier ist mein persönliches 9/11." Dann geht sie.

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FILE PHOTO: Supporters of Republican U.S. presidential nominee Donald Trump scream and gesture at members of the media in a press area at a campaign rally in Cincinnati

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