Streit um Grenzwall:Trump missachtet die Demokratie

Der US-Präsident will einen nationalen Notstand ausrufen, für den es keinen Anlass gibt. Auf diese Weise will er das Geld für seine umstrittene Mauer doch noch bekommen. Das zeigt, wie gering er die Verfassung seines Landes schätzt.

Kommentar von Thorsten Denkler, New York

Es ist kaum eine Woche her, da hat die neue demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez in einer schon jetzt legendären Anhörung die ungeheure Macht des Präsidenten deutlich gemacht. Im Ergebnis unterstrich ihr Auftritt: Der Präsident kann machen, was er will. Und als hätten Ocasio-Cortez' Worte nicht gereicht, scheint Trump jetzt persönlich beweisen zu wollen, dass ihm keiner etwas kann. Wirklich keiner.

Er geht jetzt soweit, einen nationalen Notstand auszurufen, obwohl es diesen gar nicht gibt. Nur weil er auf demokratischem Weg nicht bekommt, was er will: Geld vom Kongress, um endlich seine Mauer zu Mexiko bauen zu können. Von der er behauptet, sie sei schon fast fertig, auch wenn noch nicht ein Meter der Mauer gebaut ist.

Die Mauer ist, das sagen selbst Konservative, überflüssig, nutzlos, verschwendetes Geld. Aber geschenkt, nicht jedes politische Projekt ergibt Sinn. Hätte Trump dafür eine Mehrheit im Kongress, dann wäre es eben so. Hat er aber nicht.

Er braucht seit der Wahl 2018 die Zustimmung der Demokraten für alle Gesetze. Der jüngste Kompromiss sieht nur knapp 1,4 Milliarden Dollar für 90 Kilometer zusätzlichen Grenzzaun vor. Trump wollte 5,4 Milliarden, um eine fast 300 Kilometer lange Mauer zu bauen. Es stimmt schon, wenn Trump sagt, er sei mit diesem Ergebnis nicht glücklich.

Trump könnte es da mit dem Rolling-Stones-Song halten, den er am Ende jedes Wahlkampfauftritts spielen lässt: "No, you can't always get what you want", du kriegst nicht immer, was du willst. Weise Worte. So ist das in Demokratien, da gewinnt nicht eine Seite alles und die andere Seite nichts. Wäre Trump ein strategisch kluger Präsident, er hätte den Kompromiss als ersten Sieg verkauft.

Aber so ist Trump nicht. Solange es seiner Basis gefällt, ist ihm nichts zu schäbig. Da greift er auch zu unlauteren Mitteln, um ein Wahlversprechen umzusetzen, das die Hälfte der US-Bevölkerung für ausgemachten Unsinn hält.

Trump missachtet die US-Verfassung

Was sonst als Amtsmissbrauch soll es sein, wenn Trump einen Notstand an der Grenze zu Mexiko ausruft, den es faktisch nicht gibt? Eine Krise ist ein vorübergehendes Notfallereignis, das sofortiges Handeln erzwingt. Seit Jahren aber geht die Zahl illegaler Grenzübertritte in die USA massiv zurück. Von über 1,6 Millionen Migranten im Jahr 2000 auf unter 400 000 im Jahr 2018. Und von denen reisten auch noch die meisten gar nicht über Land ein. Sondern per Flugzeug.

Wenn, dann gibt es eine humanitäre Krise. Wegen der vielen Gewalt und der großen Not in manchen lateinamerikanischen Staaten begeben sich vermehrt Familien mit Kindern und Großeltern auf die Flucht. Gegen diese Krise unternimmt Trump nichts. Stattdessen will er glauben machen - entgegen allen Erkenntnissen -, da kämen nur Schwerverbrecher.

Trump kriminalisiert unschuldige Menschen, um seine Fans bei Laune zu halten. Er missachtet demokratische Regeln und die US-Verfassung, wenn er jetzt einen nationalen Notstand ausruft. Er dehnt und biegt dafür das Gesetz. Und de facto kann niemand ihn aufhalten. Der Kongress nicht. Und auch Gerichte dürften sich schwertun. Bisher ist noch keine präsidiale Notstandserklärung vom Obersten Gericht kassiert worden.

Trumps Verhalten ist nicht nur absurd. Es ist gefährlich. Kommt er auf den Geschmack, dann kann er mit der Ausrufung eines nationales Notstandes in praktisch jeder Frage das Parlament umgehen. Die USA waren mal eine stolze Demokratie. Trump regiert sie gerade auf Ramschniveau hinunter.

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