Süddeutsche Zeitung

Trump im Wahlkampf:Ein Demagoge läuft sich warm

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Kuhn, Houston

Sie kommen immer noch und es werden nicht weniger. 19 000 sind es Anfang dieser Woche in Houston, sie sind teils von weit her angereist und warten Stunden vorher schon auf Klappstühlen in der Schlange, um den US-Präsidenten im Wahlkampf zu sehen. 3000 müssen am Ende vor der Türe bleiben, Trump macht daraus später 50 000.

Ist hier wirklich die Zeit im Wahljahr 2016 stehen geblieben, wie Jenna Johnson von der Washington Post jüngst notierte? Tatsächlich ist die Nostalgie allgegenwärtig: Im pompösen Wahlnacht-Videorückblick im Vorprogramm, in den "Sperrt sie ein"-Sprechchören, die inzwischen der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein gelten. Und natürlich schwingt die Nostalgie in Trumps Erzählung von der Wiederauferstehung Amerikas mit, die mit seiner Wahl begonnen habe.

Die Anhänger kreischen, schwenken ihre roten Kappen und die Schilder, auf denen "Trump/Pence 2020", "Versprechen gemacht, Versprechen gehalten" oder in Anspielung auf die Proteste der Demokraten "Jobs statt Mobs" steht. Wie bei den Greatest Hits einer Band brandet Jubel auf, wenn Trump alte Gassenhauer ("Hillary hatte einen dummen Slogan!") und symbolisch aufgeladene Namen ("Richter Ka-va-naugh!") erwähnt.

"Es gibt ein Wort, das irgendwie altmodisch geworden ist. Es heißt Nationalist", sagt Trump. "Wisst ihr, was ich bin? Ein Nationalist, okay?" Das Publikum brüllt begeistert: "U-S-A! U-S-A!" In solchen Momenten erscheint der Trumpismus als ultranationalistische Massenbewegung. In anderen Momenten, wenn der 72-Jährige zusammenhanglos Anekdoten erzählt und die Besucher auf ihren Smartphones daddeln oder sich auf den Heimweg machen, wirken Trumps Anhänger wie Besucher eines Entertainment-Events, das einige Längen hat.

Demagogie hinter dem Theater

Mehr als 25 Auftritte hat Trump in diesem Midterm-Wahlkampf bislang absolviert. Zusammen mit seiner sonstigen Dauerpräsenz hat das in den US-Medien eine gewisse Müdigkeit ausgelöst. Moment, war da etwas? Die Berichterstattung fokussiert sich auf einzelne Provokationen oder Lügen und bleibe sonst nah am Format einer politischen Theaterkritik, wie die Autorin Susan Glasser jüngst bemängelte. Hinter dem ganzen Theater bleibt verborgen, wie extrem Trumps Demagogie inzwischen geworden ist - und das nicht nur, weil der "Nationalist" eben etwas anderes ist als der "Patriot", den US-Präsidenten normalerweise verkörpern wollen.

Der Trumpismus, der im Jahr 2018 nicht mehr von der Republikanischen Partei zu trennen ist, hat zwei klare Botschaften an seine Anhänger. Erstens: Die Wirtschaft wächst und Trump tut Amerika gut, also ist Opposition antiamerikanisch. Zweitens: Alles, was ihr habt, kann euch genommen werden.

In Houston, wo der US-Präsident für seinen Ex-Konkurrenten Ted Cruz Wahlkampf macht, klingt das so: "Die Demokraten wollen Freiheit durch Sozialismus ersetzen. Und sie wollen den Rechtsstaat durch die Herrschaft des Mobs ersetzen." Oder: "Alles, was die Demokraten interessiert, ist wieder an die Macht zu kommen - ihnen ist jedes Mittel recht." Die Demokraten wollten die Gesundheitsversicherung für Senioren abschaffen, behauptet Trump - obwohl es seine eigene Partei ist, die Kürzungen im Sozialsystem forcieren will.

"Othering" heißt das soziologische Phänomen, Menschen zu "anderen" zu machen. Im Wahlkampf macht Trump zwei Gruppen zur gemeinsamen Außenseiter-Gruppe: die Demokraten und Einwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis.

Aus unkontrollierter Einwanderung über die Südgrenze folgen Terrorismus oder Gangwesen, so die Gleichung. Von "Kriegszonen" in amerikanischen Vorstädten ist die Rede. Diese existieren in der Realität nicht. Trump warnt die Texaner dennoch, der Bandenkrieg könnte bald auch in ihre Reihenhaus-Siedlung kommen. "Die Demokraten wollen lieber die amerikanischen Gemeinden zerstören als unsere Grenzen zu schützen", ruft Trump und fügt hier die beiden Feindbilder zusammen: Die Demokraten wollten diese eingesickerten Leute mit Sozialgeschenken überhäufen und zu ihren Wählern machen. Und überhaupt, was heißt da "Leute", fragt Trump an anderer Stelle. "Tiere" nennt er sie.

Sechs weitere Jahre Trump sind möglich

Trump scheint im Midterm-Wahlkampf vorzufühlen, wie weit er mit solchen Entmenschlichungen gehen kann und wie seine auf Lügen aufgebaute politische Paranoia ankommt. Es ist ein Probelauf für die Präsidentschaftswahlen 2020. So wie er bereits jetzt testet, welcher seiner möglichen Gegner am meisten Buhrufe erntet. Er macht den Amerikanern zwei Wahlmöglichkeiten auf: Steuersenkungen, Grenzsicherheit und Anstand (Republikaner). Oder: Enteignung, Chaos und Diktatur (Demokraten). In dieser Botschaft ist durchaus ein gewalttätiger Kern erkennbar - unter dem Deckmantel der Notwehr.

Eine solch manipulative Idee hätte vor einiger Zeit noch als unamerikanisch und undemokratisch gegolten. Stellt sie heute zumindest eine Abwahl-Garantie dar? Der Politologe Julian E. Zelizer wies vor einigen Tagen darauf hin, dass Trump vor allem eines durchschaut habe: Am Ende folgen die Republikaner ihrem Spitzenmann, egal was der tut. "Andere Präsidenten wie Barack Obama haben versucht, etwas gegen die parteipolitische Spaltung der Bevölkerung zu tun. Trump nutzt sie", so Zelizer. "Auf gewisse Art erkennt er unsere politische Welt deutlicher als die Zentristen und Einiger, die sich wünschten, dass es anders wäre."

Seine Anhänger kommen immer noch zu Trumps Auftritten. Wichtiger jedoch: Alle Republikaner sind jetzt Trumps Anhänger. Und was mobilisiert stärker als die Entscheidung zwischen Zivilisation und Untergang? Sechs weitere Jahre im Weißen Haus sind realistischer, als es sich mancher vorstellen mag. Aber wo wird es enden?

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