Süddeutsche Zeitung

Nahost:Chance oder Betrug des Jahrhunderts?

  • US-Präsident Trump will an diesem Dienstag seinen Plan für Frieden im Nahen Osten vorstellen.
  • Laut israelischen Medien sollen jüdische Siedlungen im Westjordanland, im Jordantal sowie in Jerusalem Israel zugesprochen werden. Im übrigen Gebiet könnten die Palästinenser einen eigenen Staat errichten, allerdings nur, wenn sie Jerusalem als israelische Hauptstadt akzeptieren.
  • Während Israel Zustimmung signalisierte, kam von palästinensischer Seite starke Kritik.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Erst empfing US-Präsident Donald Trump den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, danach seinen Herausforderer Benny Gantz. In israelischen TV-Sendern wurde alles live übertragen. Trump kündigte die Vorstellung des Nahost-Friedensplans für diesen Dienstag an, wollte aber keine Details nennen. Laut Berichten israelischer Medien sieht der Plan die Annexion der Siedlungen im Westjordanland, dem Jordantal und Jerusalem vor. Auf der verbleibenden Fläche soll den Palästinensern ein eigener Staat angeboten werden, wenn sie Jerusalem als Hauptstadt Israels akzeptieren. Die Palästinenser wollen Ostjerusalem als Hauptstadt.

Von Journalisten danach gefragt, ob er über den Plan mit den Palästinensern diskutiert habe, sagte Trump: "Das ist etwas, was sie wollen sollten. Möglicherweise wollen sie es nicht sofort, aber am Ende, glaube ich, wollen sie das." Laut arabischen Medienberichten soll Trump versucht haben, den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas telefonisch zu erreichen, der den Anruf nicht angenommen habe. Die Palästinenser verweigern Kontakte mit US-Vertretern seit der Ankündigung Trumps, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, was im Mai 2018 geschah.

Auf die Frage, warum er beide Politiker eingeladen habe, antwortete Trump mit Blick auf die Parlamentswahl am 2. März in Israel: "Wir haben gewartet und gewartet mit dem Friedensplan, jetzt gibt es die dritte Wahl." Als Einmischung in den Wahlkampf sehe er das nicht. "Das ist einer der Gründe, warum Herr Gantz hier ist." Sowohl Netanjahu als auch Gantz waren nach zwei Wahlen mit der Regierungsbildung gescheitert, Gantz' blau-weißes Bündnis hat die Wahl im September gewonnen und liegt in Umfragen vor Netanjahus rechtsnationaler Likud-Partei.

Netanjahu zieht Antrag auf Straffreiheit zurück

Gantz flog nach dem Treffen mit Trump wieder zurück nach Israel, wo am heutigen Dienstag in der Knesset die Behandlung von Netanjahus Immunitätsantrag hätte starten sollen. Überraschend zog Netanjahu am Dienstagmorgen seinen Antrag auf Straffreiheit zurück. Es gibt drei Korruptionsanklagen gegen ihn. Ein Prozess könnte damit noch vor der Wahl am 2. März beginnen. Netanjahu hatte damit gerechnet, dass in der Knesset kein Ausschuss zustande kommt, der darüber berät. Die Einrichtung des Ausschusses hatte Blau-Weiß erreicht.

Der Nahost-Friedensplan kann als Ablenkung gesehen werden: Während Netanjahu im Wahlkampf mit den Anklagen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue konfrontiert ist, läuft das Impeachment-Verfahren gegen Trump. Der US-Präsident versucht mit diesem Plan jüdische und evangelikale Wähler zu gewinnen, die seine Pro-Israel-Politik stützen.

Netanjahu bezeichnete seinen Verbündeten als "der beste Freund, den Israel im Weißen Haus gehabt hat". "Der Deal des Jahrhunderts ist die Chance des Jahrhunderts." Laut US-Präsident Trump unterstützen auch viele arabische Staaten den Plan. "Wenn es klappt, wäre das großartig. Wenn es nicht klappt, dann können wir auch damit leben."

Abbas hat für Dienstagabend eine Sitzung der palästinensischen Führung einberufen. Daran soll auch ein Vertreter der im Gazastreifen regierenden Hamas teilnehmen, mit der Abbas eigentlich im Streit liegt. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat kritisierte: "Präsident Trump versucht, Frieden zwischen Netanjahu und Gantz zu erzielen, damit die drei gemeinsam den Palästinensern ein Apartheid-Regime aufzwingen können." Er bezeichnete Trumps Plan noch vor dessen Veröffentlichung als "Betrug des Jahrhunderts". Sollte Netanjahu tatsächlich mit der Annektierung palästinensischer Gebiete beginnen, "würde das Israels Rückzug von den Oslo-Abkommen und den unterzeichneten Friedensverträgen bedeuten", warnte Erekat.

In den palästinensischen Gebieten wird mit Ausschreitungen gerechnet. Die israelische Armee bereitet sich auf Auseinandersetzungen im besetzten Westjordanland und Jerusalem vor. Verteidigungsminister Naftali Bennett instruierte die Armee, sich auf Eskalationen vorzubereiten. Am Dienstag wurde die Entsendung weiterer Truppen ins Jordantal angekündigt. Im von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen wurde bereits damit begonnen, amerikanische Flaggen und Bilder von Trump zu verbrennen.

Kritik am Zeitpunkt der Veröffentlichung von Trumps Plan kurz vor der entscheidenden Parlamentswahl am 2. März in Israel kommt von der Opposition in Israel. Dieses Timing sei "sehr verdächtig", sagte etwa Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, der die rechte Partei Unser Haus Israel anführt. Der Ministerpräsident ist auch mit dem Widerstand der Koalitionspartner konfrontiert. Netanjahus rechte Verbündete von der Jamina-Partei, die in Naftali Bennett den Verteidigungsminister stellt, lehnen einen palästinensischen Staat ab. Auch die Vertreter der Siedler kündigten an, sie lehnen den Plan ab, sollte dieser den Vorschlag eines Staates für die Palästinenser enthalten.

Mit der Annektierung des Jordantals, wo 53 000 Palästinenser und 8100 jüdische Siedler leben, ginge Israel allerdings auch ein großes regionales Risiko ein: Experten warnen, der Schritt könnte den Frieden mit dem Nachbarland Jordanien gefährden, das außerdem für die Verwaltung des Tempelbergs in Jerusalem zuständig ist. Der jordanische König Abdullah zeigt sich besorgt über den Plan.

Die weitere Entwicklung hängt nicht nur von den Reaktionen der Palästinenser, sondern auch der arabischen Staaten ab. Sie lehnten 1947 den UN-Teilungsplan ab, der die Aufteilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah - was erstmals 1937 eine von den Briten eingerichtete Kommission vorgeschlagen hatte. Der UN-Plan sah vor, dass der jüdische Staat rund 56 Prozent der Fläche bekommen sollte. Im arabischen Teil lebten damals rund 10 000 Juden.

Ein Plan nach dem anderen ist gescheitert

Inzwischen ist die Zahl der Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem auf 600 000 angestiegen, gleichzeitig leben dort zwei Millionen Palästinenser. Nach den Osloer Friedensprozessen wurden der Gazastreifen und rund 40 Prozent der Fläche des Westjordanlandes, wo die meisten Palästinenser leben, der palästinensischen Führung überantwortet. Die israelische Besatzung erstreckt sich über den Großteil der Fläche des Westjordanlandes, hier stehen auch die meisten der rund 120 Siedlungen. Ostjerusalem wurde 1980 von Israel annektiert.

1993 unterschrieben der palästinensische Führer Jassir Arafat und der später von einem israelischen Extremisten ermordete Ministerpräsident Jitzhak Rabin das Osloer Abkommen. Ziel war die Schaffung eines palästinensischen Staates binnen fünf Jahren. Die Umsetzung scheiterte. Seither gab es eine Reihe von Bemühungen, den Konflikt zu lösen. Israels Ministerpräsident Ehud Barak bot in Camp David im Jahr 2000 Arafat zwischen 80 und 97 Prozent der Fläche des jetzigen Westjordanlandes an, die Verhandlungen wurden abgebrochen.

Unter Ministerpräsident Ehud Olmert gab es 2006 einen neuen Vorstoß. Das Nahost-Quartett, bestehend aus UN, EU, USA und Russland, unternahm 2002 einen Versuch, US-Präsident Barack Obama startete 2009 eine Initiative. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, für das Scheitern verantwortlich zu sein. Der seit zehn Jahren regierende Netanjahu bekannte sich nur zum Beginn seiner Amtszeit öffentlich zur Zwei-Staaten-Lösung.

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