Süddeutsche Zeitung

USA und Großbritannien:Niemand darf sich an den Politikstil von Johnson und Trump gewöhnen

Die beiden Regierungschefs sind wie eine Massenkarambolage: Die Katastrophe entfaltet ihre hypnotische Kraft.

Kommentar von Stefan Kornelius

Boris Johnson ist nicht Donald Trump, und Großbritannien ist nicht die USA. Und dennoch kann aufgeklärte und weniger aufgeklärte Demokraten angesichts des angelsächsischen Vorbilds ein Gefühl der Verzweiflung, der Lähmung beschleichen. Wie kann es sein, dass diese Mutterländer der Demokratie, die Gralshüter der Meinungsfreiheit einen solchen Extremismus in ihrer Politik erleben? Wie kann es in liberalen, wohlhabenden Gesellschaften zu einem derartigen Exzess, zu so viel Hass, Spaltung, Niedertracht und Verrohung kommen?

Ob Johnson oder Trump - es wird gelogen, dass die Balken splittern, es wird verunglimpft, polarisiert, provoziert. Zwei Politiker entführen beachtliche Wählergruppen in eine Parallelwelt, sie lullen sie ein mit einem eigenwilligen Verständnis von Wahrheit, faszinieren sie mit ihrer Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit. Trump und Johnson sind wie eine Massenkarambolage auf der Straße - niemand kann die Augen davon wenden, die Katastrophe entfaltet ihre hypnotische Kraft.

Es ist womöglich kein Zufall, dass sowohl Trump wie auch Johnson ihre Dosis Unbezwingbarkeit nahezu gleichzeitig in sich aufgenommen haben - der eine löffelweise im Nominierungskampf um das Präsidentenamt, der andere als Vote-Leave-Frontmann im Frühsommer 2016. Kein Zufall deswegen, weil ihre Klientel aus dem gleichen Holz geschnitzt ist: all jene, die sich alleingelassen fühlten von "der Politik", überfordert vom Digitalen und der Beschleunigung ihres Lebens, sehnsüchtig nach alten Zeiten und ihrer ureigenen Identität. Kein Zufall auch deswegen, weil beider Kernthema die Migration als Ausdruck von Beschleunigung und Globalisierung war und ist.

All das ist nun drei Jahre her, eine Ewigkeit in dieser Hochgeschwindkeitsphase der Geschichte, in der das Gespür für tatsächliches Tempo und Veränderung abgelöst wird von Empörungswellen mit eingebauter Hilflosigkeit. Auch kein Zufall, dass beide Politikertypen dieses Gefühl nicht nur weidlich für sich ausnutzen, sondern auch tatkräftig weitertreiben.

Ihre narzisstischen und verführerischen Qualitäten helfen Johnson und Trump im direkten Spiel mit den Wählern. Selbstzweifel sind hinderlich auf dem Weg an die Macht. Nützlich war und ist das Bild einer simplen, aufgeräumten Welt. Das entspricht dem Zeitgeist heute noch. Johnson verspricht die ewige Sonne über Großbritannien, eine prosperierende, starke Nation wie eine Insel im tosenden Meer. Und Trump teilt seine Welt mit noch schärferer Klinge: Weiße und Schwarze, winner und loser, Saubere und Verseuchte. Pünktlich zum Wahlkampf entfesselt der Präsident einen Rassismus, der die niedrigsten Instinkte vieler Amerikaner berühren wird. Belege für sein rassistisches Denken hatte Trump schon vor seiner Präsidentschaft geliefert, jetzt aber bedient er sich schamlos - ohne dafür einen Preis zahlen zu müssen.

Denn dies ist die eigentliche Katastrophe der Zeit mit Trump und auch Johnson: Nichts mehr ist unsäglich, nichts mehr ist undenkbar, nichts ist unerträglich. Der Malstrom aus Bösartigkeiten und Irrwitz hat die Empörung klein gerieben, er hat Maßstäbe geknickt und Erwartungen platt gewalzt. Wenn alles geht, ist auch nichts mehr von Belang. Relevantes und Banalitäten lassen sich nicht mehr unterscheiden, die Hierarchie der Bedeutung ist zerstört.

Es ist die vielleicht vornehmste Aufgabe demokratischer Führungsfiguren, dass sie sich selbst Glaubwürdigkeit abverlangen. Wo genau die Glaubwürdigkeit endet, ist nicht bestimmt; politische Differenzen müssen ausgetragen werden können, ohne dass gleich die Keule saust und die Integrität abgesprochen wird. Bei Trump und Johnson ist aber die Grenze längst überschritten. Die plumpe Lüge, die Verdrehung der Fakten, die Umdeutung der Realität: Es ist die Verachtung der Wahrheit, die diesen Politikertypus kennzeichnet und zur Gefahr werden lässt.

Die Analyse allein wird den demokratischen Albtraum nicht stoppen. Demokraten müssen es tun. Durch die penetrante Wiederholung der Wahrheit, durch den nicht nachlassenden Widerspruch, durch die Verweigerung. Eine Gewöhnung an den Irrsinn darf es nicht geben, Erschöpfung ist nicht zugelassen. Nein, Boris Johnson darf keine Nachverhandlung für das Austrittsabkommen erwarten. Donald Trump darf man nicht in seiner Iran-Politik folgen. Wer die Bedürfnisse dieses Politikertypus stillt, wird nur noch mehr Appetit wecken. Mäßigung ist ihm ebenso wenig wert wie die Wahrheit.

Am wichtigsten aber ist es, endlich die Quelle für den angelsächsischen Irrsinn zu erkennen und den Strom umzuleiten. Erst wenn eine Mehrheit der Wähler die Verirrung erkennt und die Nachteile für das eigene Leben spürt, wird der Spuk enden. In Großbritannien könnte das noch in diesem Herbst passieren, wenn das Volk die Wahl bekommt. Einen zweiten Trump kann Europa nicht gebrauchen.

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SZ vom 30.07.2019/mkoh
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