Wie viele andere Reporter vor ihnen fragen Diekmann und Gove, ob Trump auch im Weißen Haus weiter twittern werde. "Ich dachte, ich würde es zurückschrauben, aber die Presse berichtet so unehrlich über mich - so unehrlich -, dass ich mich über Twitter äußere. Und es sind nicht 140 Zeichen, es sind jetzt 140, 280 - ich kann bing, bing, bing machen und mache einfach weiter, und sie veröffentlichen es, sobald ich es twittere." Dies ist ein Pluspunkt des Gesprächs: Der Leser kann - in umfangreicher Länge und in deutscher Sprache - mitverfolgen, wie Trump frei assoziierend von Thema zu Thema springt und vor allem sich selbst und seine Leistung anpreist.
Die aufschlussreichste Passage ist jene, die sich mit dem Brexit beschäftigt. Trump erklärt den Austritt aus der Europäischen Union mit jenem Gefühl der Menschen, das auch ihn ins Weiße Haus getragen habe: "Großbritannien wollte seine eigene Identität. Aber, das glaube ich wirklich, wenn sie nicht gezwungen worden wären, all diese Flüchtlinge aufzunehmen - so viele, mit all den Problemen, die das mit sich bringt -, dann wäre es nicht zum Brexit gekommen." Es gehe um Sicherheit und um eine Furcht vor Flüchtlingen.
Und hier offenbart sich die Kehrseite des Exklusiv-Interviews der Bild-Zeitung: Es findet ein Abfragen statt, ohne dass kritisch nachgehakt wird. Trump darf seine Sicht auf die Welt herunterbeten (auch zum brisanten Geheimdossier, das Russland angeblich besitzt). Man mag darüber streiten, ob ein deutscher Journalist Trump mit Merkels Begründung für ihre Flüchtlingspolitik konfrontieren muss - aber der Aussage "die EU ist ein Vehikel für deutsche Interessen" sollte man widersprechen. Und falsche Behauptungen wie "Großbritannien wurde gezwungen, all diese Flüchtlinge aufzunehmen" sollten korrigiert werden (bis September 2016 nahm das Land laut aktueller Studie knapp 7000 Syrer auf).
Die britische Version des Gesprächs liefert mehr Kontext
Wenn Interviewer Diekmann sich mehr aufs journalistische Handwerk konzentriert hätte, dann hätten auch die Bild-Leser mehr profitiert. Dass der Brexit-Fan Michael Gove, der nun für die Sunday Times tätig ist, den neuen US-Präsidenten nicht auf die geringe Solidarität der Briten in der Bewältigung der Flüchtlingskrise hinweist, verwundert nicht. Aber in seinem Artikel über das Treffen im Trump Tower, das zeitgleich online gestellt wurde, nimmt Gove seine Leser ernster.
Er schreibt klar, dass das Trump-Team wusste, dass er "Brexit-Wahlkämpfer" gewesen sei und Diekmann wegen dessen Nähe zu diversen Bundeskanzlern ("von Kohl bis Merkel") eingeladen worden sei. Vor allem aber drucken die Briten keine Frage-Antwort-Version ab, sondern liefern im Fließtext deutlich mehr Kontext.
Viel wurde seit Monaten darüber geschrieben, dass die US-Medien in irgendeiner Form versagt hätten in ihrer Trump-Berichterstattung. Was lernt man also aus diesem ersten Exklusiv-Interview von Bild und Sunday Times? Natürlich haben die europäischen Journalisten Trump nicht entzaubern können. Allerdings haben sie es nicht mal versucht.
Linktipps:
- Wer die vielen Bilder von Kai Diekmanns Besuch im Trump Tower sehen will, findet diese bei Bild.de.
- Um das vollständige Interview aus der Montagsausgabe der Boulevardzeitung online zu lesen, muss man sich anmelden.
- Den Artikel von Michael Gove gibt es kostenlos für registrierte Nutzer bei der Sunday Times.
- Und wie sich die Washington Post und andere US-Medien darauf vorbereiten, Präsident Trump auf genau die Finger zu schauen, beschreibt dieser SZ-Artikel.