Kapitol-Stürmer:Der Arzt, der Anwalt, der Buchhalter

Trump Supporters Hold 'Stop The Steal' Rally In DC Amid Ratification Of Presidential Election

Trump-Anhänger hatten am 6. Januar dieses Jahres das US-Kapitol gestürmt, wo an jenem Tag der Wahlsieg Joe Bidens anerkannt werden sollte.

(Foto: Samuel Corum/AFP)

Nach dem Sturm aufs US-Kapitol machte sich in der Öffentlichkeit der Eindruck breit, dies sei vor allem das Werk der üblichen Rechtsextremisten gewesen. Doch das ist falsch.

Von Alan Cassidy, Washington

Beim Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump wird es um die Rolle des abgewählten Präsidenten beim Angriff auf das Kapitol gehen. Für Trump ist eine Verurteilung der unwahrscheinlichste Fall - für die Teilnehmer des Mobs hingegen sieht es ganz anders aus. Sie finden sich im Fokus einer beispiellosen strafrechtlichen Untersuchung wieder - und blicken teils jahrelangen Gefängnisstrafen entgegen. Etwa 800 Personen haben sich nach Schätzungen der Sicherheitsbehörden am Sturm auf das Kapitol beteiligt. Die allermeisten zogen, als die Belagerung nach einigen Stunden beendet war, unbehelligt von dannen, was zu großer Kritik an der Polizei führte. Gleich danach begann aber, was der zuständige Staatsanwalt Michael Sherwin als eine der größten Ermittlungen in der Geschichte der Bundespolizei FBI bezeichnet hat.

Die Behörden erhielten mehr als 200 000 Hinweise aus der Bevölkerung. Viele bestanden aus Fotos und Videos, welche die Beteiligten während der Revolte zeigen. In kürzester Zeit wurden so viele von ihnen identifiziert. Gegen mindestens 235 Personen ist bisher ein Strafverfahren eröffnet worden. Diese Personen stammen aus 40 Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington, aus dem ganzen Land also. Vielen wurde zunächst bloß harmlose Straftaten zur Last gelegt, meist Hausfriedensbruch oder Ruhestörung. Doch mit den fortschreitenden Ermittlungen haben sich auch die Anklagen wegen schwerer Verbrechen gehäuft. 40 Personen wird laut dem TV-Sender CBS News mittlerweile Gewalt gegen Beamte vorgeworfen. Darauf stehen bis zu 20 Jahre Gefängnis. Bei der Erstürmung des Kongressgebäudes wurden 140 Polizisten verletzt, ein Beamter starb.

Drei Gruppen von Teilnehmern

Nach allem, was aus den Gerichtsdokumenten bekannt ist, lassen sich die Teilnehmer des Mobs in drei Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe umfasst die Anhänger von rechtsextremen Organisationen und Milizen. Bei mindestens 20 Personen besteht eine Verbindung zu gewaltbereiten Gruppen wie den "Proud Boys", den "Oath Keepers" oder den "Three Percenters". Diese Leute gehörten zu den sichtbarsten Elementen des Aufstands, manche trugen Tarnanzüge, Helme und Schutzbrillen. Mindestens sechs Mitgliedern der "Proud Boys" werfen die Ermittlern eine kriminelle Verschwörung vor. Sie hätten sich vor dem Sturm auf das Kapitol abgesprochen und sich auch während des Angriffs koordiniert, heißt es in der Anklage gegen einen "Proud-Boys"-Anführer aus Seattle. Die "Proud Boys" sind eine der Organisationen, denen das FBI in seiner Untersuchung besondere Beachtung schenkt. In Kanada wurde der rechtsextreme Schlägertrupp vergangene Woche zur Terrorgruppe erklärt.

Zur zweiten Gruppe gehören Leute, die Verbindungen zu den US-Streitkräften haben. Mindestens 18 Personen, gegen die ein Strafverfahren läuft, sind laut CBS News Veteranen, acht dienten in der Marine-Infanterie. Zwei Männer sind aktive Reservisten bei der Armee. Dazu kommen nach einer Auswertung des Webmagazins "The Appeal" etwa drei Dutzend Personen, die als Polizisten arbeiten und nach Washington reisten, um an Trumps Kundgebung teilzunehmen, die der Gewalt vorausging. Mindestens vier Polizisten beteiligten sich auch an der Erstürmung des Kapitols und wurden dafür gefeuert. Der Umstand, dass sich aktive und frühere Soldaten dem Mob angeschlossen haben, hat in den USA Ängste vor einer rechtsextremen Unterwanderung der Streitkräfte geweckt. Der neue Verteidigungsminister Lloyd Austin hat vergangene Woche alle Teilstreitkräfte angeordnet, verstärkt nach Extremisten in den eigenen Reihen zu suchen.

Was man den Anklageschriften gegen 193 Aufrührer entnehmen kann

Die dritte und größte Gruppe machen aber Leute aus, die nicht dem üblichen Profil von Beteiligten an rechtsextremen Ausschreitungen entsprechen - auch, weil sie mitten aus der Gesellschaft kommen. Zu diesem Schluss kommen zwei Politologen der University of Chicago, welche die Anklageschriften gegen 193 Aufrührer durchforstet haben. Auffallend sei, dass 90 Prozent keine bekannten Verbindungen zu militanten Gruppen aufwiesen, schreiben Robert Pape und Keven Ruby in der Zeitschrift Atlantic. Danach sind 40 Prozent Geschäftsinhaber oder höhere Angestellte, darunter "Ärzte, Anwälte, IT-Spezialisten und Buchhalter".

Im Durchschnitt sind die Angeklagten 40 Jahre alt. Viele Mitglieder des Mobs stammten dabei aus Wahlkreisen, in denen nicht Trump, sondern Joe Biden eine Mehrheit der Stimmen gewann. Der Aufstand beim Kapitol habe eine neue Kraft in der US-Politik enthüllt, schreiben die Wissenschaftler. Es handle sich dabei um "eine Massenbewegung, die Gewalt zum Kern hat und ihre Kraft auch aus Gegenden bezieht, in denen Anhänger Trumps in der Minderheit sind". Der Fokus auf rechtsextreme Organisationen, der die mediale Berichterstattung dominiere, reiche deshalb nicht, um die Ereignisse des 6. Januar zu begreifen.

Die wichtigste Erkenntnis ist für die Politologen diese: "Beim Angriff auf das Kapitol handelt es sich unverkennbar um einen Akt der politischen Gewalt, nicht bloß um Fälle von Vandalismus, die inmitten eines unübersichtlichen Protests außer Kontrolle gerieten." In den Gerichtsdokumenten komme immer wieder die Überzeugung der Angeklagten zum Vorschein, dass sie Trumps Aufruf folgten, indem sie den Kongress stürmten - und dort versuchten, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg noch zu stoppen.

Zur SZ-Startseite
FILE PHOTO: President Trump holds campaign rally in Dalton, Georgia

SZ PlusUSA
:Kann Trump sich noch reinwaschen?

Das Impeachmentverfahren gegen Donald Trump soll klären, ob er verantwortlich für den Sturm auf das Kapitol war. Für die Demokraten ist die Beweislage eindeutig. Die Sache ist nur die: Darauf kommt es nicht unbedingt an.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: