Trump-Impeachment:Die Demokraten suchen Vergeltung

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Am Mittwoch entscheidet das Repräsentantenhaus über die Anklageschrift, die dem US-Präsidenten "Anstiftung zum Aufstand" vorwirft. Der republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell, ist darüber angeblich gar nicht traurig.

Von Hubert Wetzel, Washington

Wer ein bisschen Zerknirschung erwartet hatte, etwas Selbstkritik oder gar Reue, der wurde enttäuscht. Aber wer erwartet schon Zerknirschung, Selbstkritik oder Reue von Donald Trump? Der abgewählte US-Präsident hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er dazu weder fähig noch willens ist. Warum sollte sich das in seinen letzten Amtstagen noch ändern?

Und so stand Trump am Dienstagnachmittag vor der Air Force One und wies sehr erwartbar alle Schuld an dem Sturm auf das Kapitol weit von sich, der am vergangenen Mittwoch die USA in ihren Grundfesten erschüttert hatte. Ob er zu der Gewalt nicht beigetragen habe, indem er an jenem Tag in einer Rede seine Anhänger aufgefordert habe, zum Kongressgebäude zu marschieren und für ihn zu kämpfen, wurde Trump gefragt. Überhaupt nicht, antwortete der Präsident. Viele Leute hätten seine Rede gelesen, und alle seien der Ansicht gewesen, dass das, was er gesagt habe, "vollkommen angemessen" gewesen sei - "totally appropriate". Er benutzte diese Charakterisierung sogar zwei Mal. Jeder, absolut jeder, habe seine Rede für "vollkommen angemessen" gehalten, versicherte er.

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Das wiederum ist, wie so vieles, was Trump sagt, nicht wahr. Eher stimmt das Gegenteil: Sehr viele Abgeordnete und Senatoren, die am vergangenen Mittwoch im Kapitol waren und in Todesangst vor den randalierenden Trump-Fans geflohen sind, machen den Präsidenten durchaus persönlich für den Angriff verantwortlich. Die Demokraten hatten Vizepräsident Mike Pence deswegen aufgefordert, Trump gemäß des 25. Zusatzartikels zur Verfassung für amtsunfähig zu erklären und abzusetzen. Doch weil Pence sich geweigert hat, das zu tun, wird Trumps angeblich so angemessene Rede dazu führen, dass er an diesem Mittwoch der erste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten werden wird, gegen den nicht nur ein, sondern gleich zwei Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wurden.

Die Anklageschrift, die das Repräsentantenhaus vermutlich am Mittwochnachmittag Washingtoner Ortszeit verabschieden wird, wirft dem Präsidenten nur einen einzigen Verstoß vor: "Anstiftung zum Aufstand". Um zu verhindern, dass der Kongress am 6. Januar seiner gesetzlich festgelegten Aufgabe nachkommen konnte, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl und damit den Sieg des Demokraten Joe Biden zu bestätigen, habe Trump seine Anhänger aufgestachelt, "rechtswidrige Taten am Kapitol" zu begehen. Diese Anhänger hätten daraufhin das Parlament gestürmt. Trump habe dadurch die Sicherheit des Landes gefährdet, Amerikas Demokratie attackiert, einen friedlichen Regierungswechsel behindert und das Vertrauen gebrochen, das das Volk in seinen Präsidenten setze. Aus diesem Grund müsse er des Amtes enthoben und ihm jede weitere Kandidatur für ein öffentliches Amt - sprich: eine zweite Präsidentschaftsbewerbung - untersagt werden, fordert die Anklageschrift.

Im Repräsentantenhaus die notwendige einfache Mehrheit zu bekommen, um die Anklage zu billigen, dürfte kein Problem sein. Die Demokraten beherrschen die Parlamentskammer, und im Gegensatz zum ersten Impeachment vor einem Jahr werden sich jetzt beim zweiten wohl auch bis zu ein Dutzend Republikaner gegen Trump stellen. So hat zum Beispiel die Abgeordnete Liz Cheney, immerhin Nummer drei in der Führungsspitze der Fraktion und Tochter von George W. Bushs Vizepräsident Dick Cheney, angekündigt, für die Amtsenthebung zu votieren.

Ob Trump tatsächlich des Amtes enthoben wird oder nicht, liegt dann allerdings in den Händen des Senats. In dieser Kammer haben bis zum 20. Januar noch die Republikaner die Mehrheit. Und selbst danach, wenn die Demokraten die Macht übernommen haben, fehlt den Trump-Gegnern nach jetzigem Stand die notwendige Zweidrittelmehrheit, um den Präsidenten abzulösen. Dazu müssten 17 oder 18 Republikaner mit den Demokraten stimmen. Das ist im Moment nicht sehr wahrscheinlich. Diese Mehrheitsverhältnisse haben Trump schon vor einem Jahr beim ersten Impeachment vor einer Verurteilung bewahrt.

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Der US-Präsident will vor seinem Ausscheiden aus dem Amt Berichten zufolge noch Dutzende Amerikaner begnadigen - sich selbst und seine Familie aber wohl nicht. Sein Nachfolger Biden will am Tag seines Amtsantritts wichtige Vorhaben per Dekret umsetzen.

Hinzu kommt: Der Senat ist derzeit in der Sitzungspause, er wird voraussichtlich erst am 19. Januar wieder zusammentreten - einen Tag, bevor Trumps Amtszeit ohnehin endet und Biden als neuer Präsident vereidigt wird. Wenn es überhaupt zu einem Impeachment-Prozess im Senat kommt, dann wohl erst nach Trumps Abgang.

Warum dann also ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Präsidenten, der sein Amt ohnehin in einer Woche verliert? Im Fall der Demokraten kann man die Motivlage mit einem Wort beschreiben: Vergeltung. Sie haben nicht zu Unrecht den Eindruck, dass Trump in den vergangenen Monaten durch seine Lügen vom Wahlbetrug und durch seinen Druck auf republikanische Funktionäre in mehreren Bundesstaaten so etwas wie einen kalten Staatsstreich gegen den Wahlgewinner Biden zu inszenieren versucht hat - unter tätiger Mithilfe vieler seiner Parteifreunde in Washington. Aus diesem kalten Putsch, so sehen es die Demokraten, wurde am vergangenen Mittwoch durch den Sturm auf das Kapitol ein heißer, bei und nach dem mindestens fünf Menschen ums Leben kamen, zwei von ihnen durch Gewalt. Wenn das kein Verhalten sei, das ein Impeachment rechtfertige, was dann, fragen die Demokraten.

Anders als beim ersten Amtsenthebungsverfahren, das sich um Trumps Versuch drehte, die Ukraine zu Ermittlungen gegen Biden zu zwingen, hat die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, dieses Mal auch nicht lange gezögert. Sie war im Kapitol, als der Mob das Gebäude stürmte, einige der Eindringlinge wüteten in ihrem Büro. Für sie sei es daher ein sehr persönliches Anliegen, Trump für diesen Angriff zur Rechenschaft zu ziehen, heißt es in demokratischen Kreisen - egal, wie lange der noch regulär im Amt ist.

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Dass das Impeachment eher eine Art Standgericht als ein ordentliches Strafverfahren sein soll, zeigt sich auch am Ablauf. Die Demokraten verzichten auf eine Beweisaufnahme, sie fordern weder vom Weißen Haus Dokumente an, noch laden sie Zeugen vor den Justizausschuss, wie sie das vor einem Jahr gemacht haben, um Trumps Machenschaften mit der Ukraine aufzuklären. Stattdessen: ein Anklagepunkt, eine Abstimmung - fertig.

Der Chef der Republikaner im Senat ist wütend auf Trump

Im Senat ist die Lage etwas komplizierter. Dass die Kammer den Präsidenten nach Ablauf von dessen Amtszeit mit Zweidrittelmehrheit des Amtes enthebt, ist zwar unwahrscheinlich. Dazu fehlen derzeit die Stimmen. Doch es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich das noch ändert: Die New York Times berichtete am Dienstag jedenfalls sehr überraschend, der republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell, sei ganz und gar nicht traurig darüber, dass die Kollegen im Repräsentantenhaus das Impeachment anschieben. Er sei ebenfalls der Ansicht, dass Trumps Verhalten ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertige. Einem anderen Bericht zufolge ist die Chance, dass McConnell für eine Verurteilung Trumps stimmen würde, größer als 50 Prozent. So ein Votum wäre eine beispiellose Attacke des mächtigen Senators auf den Präsidenten.

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McConnell war allerdings bereits vor dem vergangenen Mittwoch wütend auf Trump: Er macht den Präsidenten direkt dafür verantwortlich, dass die Republikaner am 5. Januar die beiden Senatswahlen in Georgia verloren haben und er statt des Titels "Mehrheitsführer" künftig den Titel "Minderheitsführer" tragen wird, weil die Demokraten die Macht in der Kammer übernehmen. Aus McConnells Sicht, so berichtete die New York Times, sei das Amtsenthebungsverfahren daher eine Möglichkeit, Trump als Machtfaktor in der Partei auszuschalten und ihm den Weg zu einer weiteren Kandidatur zu versperren.

Der Senator aus Kentucky spielt dabei ein durchaus kalkuliertes Spiel. Man könnte es fast zynisch nennen: Als der Präsident noch der unangefochtene Anführer der Republikanischen Partei war, hat McConnell ihn benutzt, um Dutzende konservative Richter an den Bundesgerichten zu installieren. Jetzt, wo Trump politisch toxisch geworden ist, hat dieses Bündnis mit ihm für McConnell keinen Wert mehr.

Was Donald Trump von der zweifelhaften Ehre hält, der einzige US-Präsident zu sein, gegen den zwei Amtsenthebungsverfahren angestrengt wurden, ließ er am Dienstag ebenfalls wissen. "Das Impeachment ist lächerlich", schimpfte er, bevor er zu einem kurzen Besuch an seine Grenzmauer in Texas flog. Die Demokraten könnten einfach nicht aufhören mit ihrer "Hexenjagd" auf ihn.

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