Donald Trump hat schon mehrere verblüffende Ideen vorgetragen, seit er im Januar wieder ins Weiße Haus eingezogen ist. Wobei verblüffend noch eine Untertreibung sein dürfte. Er will Kanada zum 51. US-Bundesstaat machen, Grönland kaufen, den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umbenennen und die USA sollen – wie früher einmal – den Panamakanal kontrollieren. Nun hat er einen neuen Vorschlag gemacht: „Die USA werden den Gazastreifen übernehmen“, verkündete der US-Präsident am Dienstagabend in Washington, neben sich Israels Premier Benjamin Netanjahu, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als mutmaßlicher Kriegsverbrecher per Haftbefehl gesucht wird und nun erster Staatsgast dieser zweiten Ära Trump war.
Zehntausende Palästinenser kehren nach dem Waffenstillstand derzeit zu Fuß in den Norden von Gaza zurück, trotz der kaputten Häuser und Infrastruktur. Doch Trump will, dass die Menschen verschwinden und das vom Krieg schwer gezeichnete Autonomiegebiet zwischen Israel, Ägypten und dem Mittelmeer von den Vereinigten Staaten neu aufgebaut wird. „Ich denke nicht, dass die Menschen zurück nach Gaza gehen sollten“, sagte er im East Room des Weißen Hauses. „Sie leben wie in der Hölle.“ Der einzige Grund für ihre Rückkehr sei, „dass sie keine Alternative haben“, meinte Trump. Offenbar will der Präsident das auf seine Weise ändern.
Die Menschen in Gaza sollen ein „gutes, frisches, schönes Stück Land“ bekommen
Danach sollen die gut zwei Millionen Bewohner ein „gutes, frisches, schönes Stück Land“ bekommen. Wo, das ist wie nahezu alles an diesem Konzept unklar, offenbar in arabischen Staaten wie Ägypten und Jordanien. Gaza dagegen will Trump „in die Riviera des Nahen Ostens“ verwandeln. „Das Potenzial des Gazastreifens“ sei „unglaublich“. Vertreter aus der ganzen Welt würden dort sein und leben wollen. „Auch Palästinenser werden dort leben.“ Er denke an „eine langfristige Eigentümerposition“ durch die USA. „Ich glaube, dass sie diesem Teil des Nahen Ostens und vielleicht dem gesamten Nahen Osten große Stabilität bringt.“
Trump bewirbt seinen Vorschlag als eine Art humanitärer Aktion und als umwerfende Strategie, man dürfe alte Fehler nicht ständig wiederholen. Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Israel hatte die israelische Armee weite Teile des Gazastreifens dem Erdboden gleichgemacht, es gab Zehntausende Tote. Derzeit schweigen die Waffen, und die letzten überlebenden Geiseln der Hamas sollen freikommen. Jetzt möchte Trump also Gaza unter US-Kontrolle stellen und dabei außer der Terrororganisation Hamas auch sämtliche Zivilisten vertreiben. „Make Gaza Beautiful Again“, schreibt der US-Außenminister Marco Rubio auf X in Abwandlung des Wahlkampfmottos seines Präsidenten.
Israels Premier Netanjahu lobt die Initiative. Sie zeige „die Bereitschaft, über den Tellerrand hinauszuschauen“. Dies sei etwas, „das die Geschichte verändern könnte“, sagte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Überrascht von dem Vorstoß seines Gastgebers aber war offenbar auch er. So wie auch die Hamas. Die Terrororganisation spricht von einem „Rezept für die Schaffung von Chaos und Spannungen in der Region“. Und reklamiert in einer Erklärung gleich die Solidarität der geschundenen Menschen in dem zerstörten Gebiet für sich: „Unser Volk im Gazastreifen wird nicht zulassen, dass diese Pläne umgesetzt werden.“
Dies sei „buchstäblich der unverständlichste politische Vorschlag, den ich je von einem amerikanischen Präsidenten gehört habe“, sagt in der New York Times Aaron Miller, früher Nahost-Berater der Präsidenten Barack Obama und Joe Biden. Völkerrechtlich haben die USA auf den Gazastreifen nicht das geringste Zugriffsrecht. Dies sei „ethnische Säuberung unter einem anderen Namen“, zitiert die Zeitung den demokratischen Senator Chris Van Hollen aus Maryland. Sogar ein israelfreundlicher Spendensammler von Trump nennt den Vorschlag des Präsidenten im Wall Street Journal „verrückt“.
Es wäre die größte direkte Intervention der USA im Nahen und Mittleren Osten seit Jahrzehnten, seit dem Irak-Krieg. Dabei hat sich Trump bisher gemäß seinem Slogan „America first“ von großen Engagements in der Welt stets eher fernhalten. Seinem Vorgänger Biden unterstellte er, Milliarden Dollar in ferne Länder wie die Ukraine zu schicken, statt sich daheim um Inflation und Immigration zu kümmern.
Die „alte republikanische Partei der RINOs, Neocons und Globalisten ist verschwunden“, sagte Trump bei einem Dinner 2023 in Florida. „Und sie kommt nie wieder zurück.“ RINOs sind jene, die er für keine Parteifreunde hält und die oft anders als er für die internationalen Verpflichtungen der USA einstehen. 2016 hatte Trump den Rückzug aus der nahöstlichen Krisenregion versprochen, von Nation Building wollte er nichts wissen. Jetzt präsentiert er Pläne, deren Kosten andere amerikanische Engagements bei Weitem übertreffen würden. Und von einer politischen Lösung der Probleme wie etwa der Zwei-Staaten-Lösung für die Region ist keine Rede.
Es wäre eine brachiale Abkehr von der Biden-Diplomatie, die Trump für Schwäche hält. Mit ihm, sagt Trump ständig, hätte es die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine nie gegeben. Auch die aktuelle Waffenruhe und den Geiseldeal schreibt er sich auf seine Fahnen, trotz monatelanger Vermittlungen durch die Biden-Administration.
Für viele klingt der US-Präsident wie der Immobilienentwickler aus Manhattan, der Besitzer von Trump Tower und Golfplätzen. Schon im Januar hatte er dem Gazastreifen eine „phänomenale Lage“ attestiert, „am Meer, das beste Wetter, man könnte einige schöne Dinge damit machen. Man könnte fantastische Dinge mit Gaza machen“. Sein Schwiegersohn und früherer Berater Jared Kushner erläuterte im vergangenen Jahr: „Die Grundstücke am Ufer des Gazastreifens könnten sehr wertvoll sein“, wenn sich die Menschen darauf konzentrieren würden, eine Lebensgrundlage aufzubauen.
„Mar-a-Gaza“, fragt ein Ex-Botschafter, „oder Gaz-a-Lago?“
Es sei „eine etwas unglückliche Situation dort, aber aus Israels Sicht würde ich mein Bestes tun, um die Leute herauszubringen und dann aufzuräumen“, sagte Kushner damals. Nun sagte sein Schwiegervater, er wolle kein „Klugscheißer sein“, doch er habe die Bedingungen im Gazastreifen „über viele Monate hinweg genau studiert“. Trump hatte auch schon der Ukraine, vor allem in Odessa, oder Nordkorea Projekte an den Küsten vorgeschlagen. Über die Golanhöhen soll er bei einer Spendenveranstaltung mal gesagt haben, diese seien „in Immobilienwerten ausgedrückt“ zwei Billionen Dollar wert, wahrscheinlich mehr.
Netanjahu zeigte sich offen für Trumps Vorschläge und erinnerte daran, dass während Trumps erster Amtszeit die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt wurde und die sogenannten Abraham-Abkommen zur Verständigung mit mehreren arabischen Ländern geschlossen sowie das Atomabkommen mit Iran gekündigt wurden. In einem neuen Dekret hat Trump „maximalen Druck“ auf Teheran verfügt. Plant er nur Sanktionen oder auch Luftschläge auf das iranische Nuklearprogramm, fragten Journalisten. „Wir wollen nur nicht, dass sie eine Atomwaffe haben“, sagte Trump vage. „Wir werden sehen, was passiert.“
Auch genauere Fragen nach Gaza kann er nicht beantworten. Sein Nahost-Beauftragter Steve Witkoff schätzt, der Wiederaufbau dauere zehn bis 15 Jahre. Mindestens so lange oder länger oder für immer sollen Palästinenser umziehen? Wohin? Ägypten, Jordanien sowie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Katar erklärten, sie würden „Vertreibungen“ von Palästinensern „in jeglicher Form oder unter jeglichen Umständen oder Rechtfertigungen“ ablehnen. Noch im Februar will Trump den jordanischen König Abdullah und den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi empfangen.
Jeder sei begeistert, „dass die Vereinigten Staaten dieses Stück Land besitzen, entwickeln und Tausende Arbeitsplätze mit etwas Großartigem schaffen werden“, behauptet er. Aber selbst sein ehemaliger Israel-Botschafter David Friedman hält Trumps Idee zwar für „brillant“, aber auch er kann sich einen Scherz nicht verkneifen. „Mar-a-Gaza“, fragt er auf X, in Anspielung auf Trumps Palast Mar-a-Lago in Florida, „oder Gaz-a-Lago?“