Süddeutsche Zeitung

US-Politik:Trumps Waffe, die Religionsfreiheit

  • In dieser Woche konferierten mehr als 1000 Staatenvertreter im Washingtoner State Department zum Thema Religionsfreiheit.
  • Es war die weltweit größte Konferenz dieser Art.
  • Trumps Regierung hat das Thema schon seit Längerem für sich entdeckt und nutzt es in der Außen- wie Innenpolitik.

Von Thorsten Denkler, New York

Die Bibel liegt im Büro von US-Außenminister Mike Pompeo offen und griffbereit. Mit deutlichen Gebrauchspuren, wie ein Reporter der New York Times bemerkt, der Gelegenheit hatte, Pompeo dort zu treffen. Diverse Textstellen seien markiert gewesen. Pompeo ist ein zutiefst religiöser Mensch. Einer der sagt, dass er es "als Christ durchaus für möglich hält", dass Gott es war, der seinen Chef Donald Trump zur Erde gesandt hat, um Israel vor Iran zu schützen.

Als Christ hat es sich Pompeo und mit ihm die gesamte Trump-Regierung zudem zur Aufgabe gemacht, die Religionsfreiheit weltweit zu schützen. In dieser Woche konferierten deshalb mehr als 1000 Staatenvertreter im State Department zu diesem Thema. Es war die weltweit größte Konferenz dieser Art.

Aber war es nicht Donald Trump, der versucht hat, Muslime generell von der Einreise in die USA abzuhalten? Ist es nicht Trump, der gerade erst der Muslima und demokratischen Kongressabgeordneten Ilhan Omar empfohlen hat, sie möge doch bitte rasch in ihr Geburtsland Somalia zurückkehren? Und sprechen nicht er und sein Vizepräsident Mike Pence, ein evangelikaler Christ, gerne vom "radikal-islamischen Terror", statt vom radikalen islamistischen Terror? Damit stellen sie den Islam unter Generalverdacht.

Im Weltbild von Trump und seinen Gefolgsleuten passt beides durchaus zusammen. Und führt dazu, dass nicht nur Muslime als nicht schützenswert angesehen werden. Sondern unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit die Rechte von Frauen und LGBTQ-Personen bedroht und beschnitten werden.

Zunächst zurück zu Konferenz, zu der auch Deutschland trotz aller Differenzen mit der Trump-Regierung einen Vertreter schickte: den CDU-Politiker Markus Grübel, Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Er durfte auf einem der vielen Podien ein paar unverfängliche Sätze sagen, wie wichtig es ist, dass Religionen mit- und nicht gegeneinander arbeiten. Eine Dolmetscherin übersetzte ins Englische. Das sei besser so, für das Publikum und für ihn, sagt Grübel.

Sam Brownback ist quasi der Markus Grübel der US-Regierung und formal Gastgeber der Konferenz. Er sagt, das Schöne an diesem Thema sei, dass niemand etwas gegen Religionsfreiheit habe. "Nun, die Chinesen vielleicht." Insofern ist das Konfliktpotenzial auf dieser Konferenz gering. Das passt der US-Regierung gut ins Konzept.

Brownbacks Büro gibt es seit den späten 1990er Jahren. Es hat seitdem alle US-Präsidenten überlebt und rangierte meist unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Unter Donald Trump aber erlebt es eine neue Blüte. Im Juni erst hat Pompeo angekündigt, das Büro mit mehr Mitteln und Personal ausstatten zu wollen.

Selbst hartgesottene Trump-Gegner räumen ein, dass die US-Regierung hier einiges richtig macht. Es ist etwa dem Einfluss der USA zu verdanken, dass Staaten wie Taiwan oder die Vereinigten Arabischen Emirate ähnliche Konferenzen zum Thema Religionsfreiheit abhalten wie die USA. Und unter anderem auf Bestreben Washingtons haben die Vereinten Nationen den 22. August zum weltweiten Tag der Opfer religiöser Verfolgung gemacht.

Der Begriff Religionsfreiheit ist, wie The Atlantic schreibt, ähnlich wie Menschenrechte und wirtschaftliche Entwicklung unter Trump zu einer Art Schweizer Messer der US-Diplomatie geworden. Einerseits ein Werkzeug, andererseits eine Waffe.

Und die wird von der US-Regierung punktgenau eingesetzt. China etwa gehört, wie von Brownback bereits angesprochen, zu den Staaten, die sich von den USA regelmäßig vorhalten lassen müssen, religiöse Minderheiten zu drangsalieren. Saudi-Arabien steht dem zwar in nichts nach. Aber das Königshaus ist ein wichtiger Käufer von Waffen "Made in USA". Und gegen Saudi-Arabien führen die USA derzeit auch keinen Handelskrieg.

In den USA ist Religionsfreiheit ein großes Konsensthema, hinter dem sich alle versammeln können. Weshalb sich selbst die Sprecherin des Repräsentantenhauses und von Amts wegen oberste Demokratin und Oppositionsführerin der USA, Nancy Pelosi, nicht zu schade war, die Konferenz im State Department zu besuchen.

Aber es ist auch ein Thema, mit dem sich wunderbar verdecken lässt, dass die wahre Agenda der Trump-Regierung eine andere ist.

Trump persönlich dürfte Religionsfreiheit kein besonderes Anliegen sein. Er gilt nicht als besonders religiös. Wichtig ist die Frage für ihn nur, weil er damit Wählerschichten erreicht. Er braucht die Zustimmung evangelikaler Christen, wenn er eine zweite Amtszeit im Weißen Haus verbringen will. Von allen Wählern im Jahr 2016 waren 26 Prozent der Gruppe der weißen evangelikalen Christen zuzurechnen. Und von denen haben zu mehr als 80 Prozent Trump gewählt. Sie bilden den treuen Kern seiner Wählerbasis. Nicht weil Trump ein frommes Leben führen würde. Sondern weil er liefert, was sie haben wollen.

Religionsfreiheit ist für diese Christen ein Kampfbegriff. Sie wollen, dass ihre religiöse Weltanschauung nicht einfach wohlwollend toleriert wird, wie in einer säkularen Gesellschaft üblich. Sie soll vielmehr wieder ein Grundpfeiler der US-amerikanischen Gesellschaft werden, an dem sich die tagtägliche Politik ausrichtet.

In der Trump-Regierung wird dieser Wunsch gehört. Im Mai 2017 etwa hat Trump ein Dekret unterschrieben, das die Religionsfreiheit im Inland unter besonderen Schutz stellt. Das klingt erst mal unverfänglich. Aber mit dem Dekret wird der Diskriminierung von LGBTQ-Menschen und Frauen aus religiösen Gründen die Tür sehr weit geöffnet.

So langsam zeichnen sie die Folgen dieses Dekretes ab. Eine ist diese: In den USA stellt in der Regel der Arbeitgeber die Krankenversicherung für die Angestellten. Lehnt ein Arbeitgeber Abtreibungen aus religiösen Gründen ab, kann er jetzt dank der Trump-Regierung dafür sorgen, dass die Kosten nicht von der Kasse übernommen werden. Dieser Logik entsprechend könnte ein Arbeitgeber auch die Übernahme der Kosten für eine HIV-Behandlung verweigern. Oder einer Kinderwunsch-Behandlung, wenn ein lesbisches Paar sich Nachwuchs wünscht.

Im Mai hat die Trump-Regierung folgerichtig das von Präsident Barack Obama eingeführte Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung im "Affordable Care Act" (Obamacare) zurückgenommen.

Abgesichert wird diese Strategie von den beiden konservativen Richtern, die Trump in seiner Amtszeit im Supreme Court, dem obersten Gericht der USA, installieren konnte. Diverse Entscheidungen der Trump-Regierung sind vor Gericht gelandet. Am Ende aber muss der Supreme Court entscheiden. Dort garantieren Trumps Richter Brett Kavanaugh und Neil Gorsuch, dass die konservative Seite der Richterbank über die kommenden Jahre eine Mehrheit hat.

Mitte Juni hat das Gericht mit seiner rechten Mehrheit einen Fall zur Neuverhandlung an die unteren Gerichte zurücküberwiesen, der international für Aufsehen gesorgt hat. Ein Konditor-Paar in Oregon hatte sich geweigert, einem lesbischen Paar eine Hochzeitstorte zu backen. Im Kundengespräch haben sie gar Bibelverse zitiert, die Homosexualität verdammen.

Die beiden Frauen haben die Konditoren wegen Diskriminierung verklagt und in allen Instanzen recht bekommen. Nur vor dem Supreme Court nicht. Das sei ein Sieg "der Religionsfreiheit für alle Amerikaner", freute sich Kelly Shackelford, Anwältin des Konditoren-Ehepaares Aaron und Melissa Klein und Chefin der evangelikalen Rechtshilfeorganisation "First Liberty Institute".

Möglich ist das alles, weil im US-Recht die sexuelle Orientierung nicht ausdrücklich per Gesetz vor Diskriminierung geschützt ist. Wo da die Grenzen sind, müssen immer wieder aufs neue die Gerichte ausloten.

Wenn es um Religionsfreiheit geht, dann sind religiöse Eiferer nicht weit. Der Prediger Tony Perkins zum Beispiel. Der ist seit Juni Leiter der "Überparteilichen Kommission für internationale Religionsfreiheit der Vereinigten Staaten". Das Nominierungsrecht für den Posten hatte der Mehrheitsführer im Senat, der Republikaner Mitch McConnell.

Perkins, eine Autorität unter den radikalen Christen in den USA, ist nebenbei Leiter des "Zentrums für Familienforschung" in Washington. Das Forschungszentrum ist nichts anderes als ein homophober und abtreibungskritischer Thinktank. Auf der Webseite findet sich das Stichwort "Homosexualität" unter "Ehe und Familie". Der erste Satz lautet: "Das Zentrum für Familienforschung glaubt, dass homosexuelles Verhalten denen schadet, die darin involviert sind und der Gesellschaft im Ganzen." In ähnlicher Weise lehnt das Zentrum Abtreibungen ab.

Dass Perkins jetzt Leiter einer staatlichen Behörde für die Religionsfreiheit ist, halten Kritiker nicht nur deshalb für einen schlechten Witz. In seiner Online-Radiosendung sagte der angebliche Verfechter von Religionsfreiheit noch 2016, dass der Islam wohl kaum den Schutz der US-Verfassung genießen könne. Weil der Islam nämlich nicht mit der Verfassung vereinbar sei. In Sinne von Trump sitzt da der richtige Mann am richtigen Platz.

Diese, nun ja, beschränkte Definition von Religionsfreiheit hat Folgen:

  • In Michigan haben christliche Eltern den Schulbezirk von Williamston verklagt. Dort ist es explizit verboten, LGBTQ-Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren und zu belästigen. Die Eltern fühlen sich in ihrer religiösen Freiheit beschnitten, weil ihren Kindern dadurch eine Erziehung verwehrt wird, die ihren christlichen Glauben nicht in Frage stellt. Und weil ihre Kinder dadurch wiederum nicht vor Diskriminierung und Belästigung geschützt sind.
  • In Texas wollen konservative christliche Gruppen vor Gericht jedem Arbeitgeber das Recht erstreiten, mit Verweis auf religiöse Befindlichkeiten homosexuelle Angestellte entlassen zu können und gar nicht erst einstellen zu müssen.
  • Im Bundesstaat Alabama ist gerade erst das schärfste Anti-Abtreibungs-Gesetz der USA verabschiedet worden. Ebenfalls unter Berufung auf die Religionsfreiheit.
  • In North Carolina ist es jetzt per Gesetz verboten, dass jeder auf die Toilette gehen darf, die seiner sexuellen Identität entspricht. Das biologische Geschlecht bestimmt jetzt, ob die Herren- oder die Damen-Toilette besucht werden muss.
  • Im Mai hat Trump neue Regeln in Kraft gesetzt, die es Ärzten, Krankenschwestern und Apothekern erlaubt, keine Hilfe anzubieten, wenn ihre religiösen Gefühle verletzt werden könnten. Sie müssen demnach keine Not-Abtreibungen vornehmen, dürfen Frauen den Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln verweigern oder die Behandlungen von Homosexuellen ablehnen.

Außenminister Pompeo scheint diese Sicht auf Religionsfreiheit auch auf der Weltbühne verankern zu wollen. Eine neue "Kommission für unveräußerliche Rechte" soll die Rolle der Menschenrechte in der US-Außenpolitik überprüfen und Empfehlungen abgeben. An die Spitze dieser Kommission hat Pompeo seine Mentorin, die konservative Harvard-Professorin und früherer US-Botschafterin im Vatikan, Mary Ann Glendon, berufen.

Die hatte sich zuletzt kritisch zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zu Fragen des Abtreibungsrechtes geäußert. 2009 nahm sie einen Preis der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana nicht an. Gleichzeitig sollte nämlich Barack Obama dort geehrt werden, der sich in Abtreibungsfragen für das Wahlrecht von Frauen starkgemacht hatte. Das konnte sie nicht gutheißen.

Jetzt soll Glendon "frische Gedanken" dort in die Debatte über Menschenrechte einbringen, wo sich diese von "unseren Gründungsprinzipien" entfernt habe, sagte Pompeo. Der rechte Prediger Tony Perkins jubelt: Die Kommission werde helfen, "die Religionsfreiheit zu schützen, die das Fundament aller Menschenrechte ist".

Joanne Lin von Amnesty International hat da eine etwas andere Sicht. Sie beschreibt im Wall Street Journal die Kommission als jüngsten Versuch der US-Regierung "ihre hasserfüllte Politik gegenüber Frauen und LGBTQ-Menschen voranzutreiben".

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