Süddeutsche Zeitung

Trump, der Unberechenbare:Die Weltordnung von einst gilt nicht mehr

Der Nordkorea-Gipfel erst abgesagt und nun doch wieder möglich, dazu das aufgekündigte Iran-Abkommen und der Handelsstreit mit der EU: In rasendem Tempo erschüttert der Präsident jene Weltordnung, die von den USA geprägt wurde.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Vielleicht hatte sich Donald Trump in Gedanken wirklich schon in Oslo gewähnt, wo alljährlich im Dezember der Friedensnobelpreis verliehen wird. Eine Aussöhnung der beiden Koreas, die Rückkehr des Nordens in die Weltgemeinschaft, der Verzicht Pjöngjangs auf Atomwaffen - der Nobelpreis wäre für den Vermittler eines solchen Deals nicht zu hoch gegriffen. Doch ob es den Deal je geben wird, weiß niemand: Aus Angst zu scheitern, ließ der US-Präsident den Gipfel mit dem Diktator Kim Jong-un erst platzen, nur um tags darauf kundzutun, womöglich bleibe es doch beim Termin 12. Juni. Kim erklärte, er sei "jederzeit" zu einem Treffen bereit.

Es ist dieses Hin und Her, dieser dauernde Versuch Trumps, die mühselige politische Kleinarbeit durch kurzzeitige Spektakel zu ersetzen, die das Regieren für seine Amtskollegen in allen Erdteilen heute so schwierig macht und die Weltordnung zunehmend auf den Kopf stellt. Jahrzehntelang war jenes Konstrukt, das einmal "der Westen" genannt wurde, geprägt von Zusammenarbeit, Berechenbarkeit und Vertrauen. Ein gegebenes Wort galt, Verträge wurden eingehalten. Seit Trumps Wahlsieg jedoch zerbröselt diese Ordnung, an ihre Stelle tritt eine Ad-hoc-Politik, bei der die Launen eines Einzelnen die kollektive Vernunft ersetzen. Es herrschen das Recht des Stärkeren und der Primat des raschen "Siegs". Kompromisse zu schmieden, das Kerngeschäft der Demokratie, wird als Schwäche diskreditiert.

Dass Trump im Fall Nordkorea plötzlich und ohne viel Vorbereitung bereit ist, einen Mann zu treffen, den er jahrelang beschimpft und verspottet hatte, zeigt, dass es ihm wohl vor allem darum geht, weltweit Anerkennung einzuheimsen und Geschichte zu schreiben. Selbst als nordkoreanische Beamte ihre US-Kollegen schlicht versetzten, ignorierte er die Warnung von Experten noch, das Ganze könne nach hinten losgehen. Erst in letzter Minute zog er die Reißleine - und blieb in der Folge doch diffus: Zunächst kündigte er "maximalen Druck" auf Kim an, dann lobte er dessen "warme und produktive" Reaktion auf die Gipfelabsage, um schließlich zu erklären, er würde sehr gerne beim 12. Juni bleiben.

Dass Trump häufig intuitiv und ohne Gesamtkonzept handelt, hatte sich auch beim US-Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzvertrag, bei der Androhung hoher Zölle auf Auto- und Stahlimporte und der einseitigen Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran gezeigt. "Das Problem an der Strategie ist: Es gibt keine Strategie", erklärte Suzanne Maloney vom Politikinstitut Brookings mit Blick auf Iran.

Dass ausgerechnet Washington die alte Weltordnung aufkündigt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn es waren die Amerikaner, die diese Ordnung jahrzehntelang prägten. Das zeigt sich vor allem in der Wirtschaftspolitik, die alle US-Präsidenten nach dem Krieg dafür einsetzten, das freiheitlich-kapitalistische Gesellschaftsmodell zu exportieren, Verbündete ökonomisch zu stärken und Gegner zu destabilisieren. Um den heimischen Firmen weltweit Geschäfte zu ermöglichen, bedienten sie sich auch neuer Institutionen wie des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation. Gab es Kritik, dann von jenen, die den USA vorwarfen, das System auszubeuten. Auf den Gedanken, dass es die Amerikaner selbst sein könnten, die ausgenutzt werden, kam niemand - bis Donald Trump kam. Er sieht im wirtschaftlichen Aufstieg von Staaten wie Deutschland, Japan, Südkorea und zuletzt China nicht etwa den Beweis für den Erfolg jener amerikanisch dominierten Weltwirtschaftsordnung, sondern eine Bedrohung, der die USA mit Abschottung und Druck begegnen müssen.

Im Visier hat er dabei vor allem China, das den USA den Rang als politische und wirtschaftliche Weltmacht Nummer eins streitig macht. Zugleich schont er die Regierung in Peking jedoch immer auch wieder, weil er sie braucht, etwa im Nordkoreakonflikt, und weil beide Länder ökonomisch stark voneinander abhängig sind.

Europäische Drückeberger

Anders sieht das Verhältnis zu Europa aus: Trump hält viele europäische Nato-Partner für Drückeberger, die Euro-Zone für ein gesichtsloses Gebilde mit instabiler Währung und EU-Staaten wie Deutschland für Schnorrer, die sich auf Kosten der USA bereichern, zugleich aber weltwirtschaftlich gesehen an Bedeutung verlieren. "Die Europäische Union verhält sich gegenüber den Vereinigten Staaten sehr, sehr unfair. Das wird ihr noch zum Nachteil gereichen", so Trump vor Wochen.

Zu dieser Entwicklung haben die Europäer selbst beigetragen. Sie ließen die Euro-Krise schleifen, hielten Zusagen, ihre Wehretats zu erhöhen, nicht ein und ignorierten die jahrelange Kritik der Amerikaner an allzu exportlastigen Wirtschaftsmodellen. Und noch ein Versäumnis gab es: "Viele EU-Politiker hielten Trump lange für einen bloßen Schwätzer", sagte eine erfahrene europäische Diplomatin. "Deshalb fehlen uns heute die Konzepte, mit ihm umzugehen."

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SZ vom 26.05.2018/lalse/stein
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