Süddeutsche Zeitung

USA:Woodwards Trump-Buch ist für Biden ein Geschenk

Der US-Präsident wusste um die Seuchengefahr und spielte sie herunter. Den Demokraten kommt diese Enthüllung des Reporters entgegen. Doch die Republikaner wissen sich zu wehren.

Von Alan Cassidy, Washington

Und schon wieder die Frage, die sich alle stellen, nach jeder Enthüllung aufs Neue: Was heißt das jetzt? Für Donald Trump, für seine Wiederwahl? Allein in den vergangenen Wochen sind vier Bücher über den Präsidenten erschienen, geschrieben von seiner Nichte, seinem früheren Anwalt, einem Journalisten der New York Times - und nun von Bob Woodward, der Reporterlegende, der in diesen Tagen sein Buch mit dem Titel "Wut" herausbringt. Die Veröffentlichung dieser Bücher folgt stets dem gleichen Muster: Die Zeitungen berichten über erste Auszüge. Die Story beherrscht einen, vielleicht zwei Tage lang die Schlagzeilen. Der Autor gibt einige Fernsehinterviews. Danach wenden sich alle dem nächsten Aufreger zu.

Es ist ja auch verständlich. Vieles von dem, was in diesen Büchern steht, ist zwar durchaus schockierend, und nichts davon wirft ein gutes Licht auf den Präsidenten. Doch ein neues Bild zeichnen diese Werke von ihm eben auch nicht. Trump mag seine Steuerunterlagen weiterhin zurückhalten, aber in anderer Hinsicht ist er so transparent wie kein Amtsvorgänger vor ihm. Wer wirklich wissen will, dass im Weißen Haus ein Mann mit einem problematischen Charakter sitzt, wer wissen will, dass Chaos und Inkompetenz die Arbeit seiner Regierung prägen, der weiß es längst. Es ist ja alles öffentlich zu beobachten, jeden Tag.

Wahrscheinlich erklärt das am besten, warum die meisten Enthüllungsbücher eine Halbwertszeit von nur wenigen Tagen haben. Wird das jetzt, bei Bob Woodwards zweitem Buch über Trump, anders sein?

Einiges spricht dafür. Diesmal geht es nicht um irgendwelche Beleidigungen, die sich Trump für seine Gegner ausgedacht hat, es geht auch weniger darum, welchen Diktator Trump mit Lob überschüttet hat oder wer von Trumps Ministern im Geheimen entsetzt ist über das, was im Weißen Haus vor sich geht - obschon all dies auch bei Woodward vorkommt.

Diesmal geht es um das Thema, das in diesem Wahljahr alles andere überschattet: die Corona-Pandemie, an der in den USA bereits fast 200 000 Menschen gestorben sind, so viele wie in keinem anderen Land. Das Virus hat das Land noch immer im Griff, und auch wenn die Fallzahlen zuletzt gesunken sind, so stecken sich immer noch täglich etwa 37 000 Menschen an.

Kern von Woodwards Buch ist das Eingeständnis Trumps, dass er sich schon zu Beginn der Pandemie über die Gefahr durch das Virus im Klaren war, aber das Risiko lange Zeit herunterspielte. "Das ist tödliches Zeug", sagte Trump zu Woodward. "Sie atmen einfach die Luft ein und so überträgt sich das. Das ist raffiniert, das ist heikel. Es ist auch tödlicher als selbst unsere heftigen Grippen."

Das war am 7. Februar, bei einem der ersten von 18 Interviews, die Woodward für sein Buch mit dem Präsidenten geführt und auf Tonband aufgenommen hat. Öffentlich äußerte sich Trump dagegen ganz anders. Das Virus sei nicht schlimmer als eine normale Grippe, es werde bald wieder verschwinden. Er wiederholte diese Botschaft bei jeder Gelegenheit, bei den fünf Wahlkampfauftritten, die er im Frühjahr abhielt, in Fernsehinterviews und bei Anlässen im Weißen Haus. Gegenüber Woodward begründete Trump das so: "Ich wollte es immer herunterspielen. Ich spiele es immer noch gern herunter, weil ich keine Panik verursachen will."

Man könnte es auch anders sagen: Trump hat die Amerikaner belogen. So sieht das zumindest der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden. "Es war ein Verrat am amerikanischen Volk auf Leben und Tod", twitterte Biden. Er nannte Trumps Verhalten "fast schon kriminell", eine grobe Vernachlässigung seiner Amtspflicht, für die Zehntausende Amerikaner mit dem Leben bezahlt hätten. "Es ist eine Schande." Kein Zweifel: Für Biden und seine Demokraten ist Woodwards Buch ein Geschenk. Sie richten ihren Wahlkampf schon lange aus auf Trumps Versagen bei der Bewältigung der Pandemie - auf den Umstand, dass es so lange keine Tests gab und keine nationale Strategie. Nun hat Woodward ihnen Schützenhilfe geleistet.

Das hat auch mit den Tonbändern zu tun, von denen der Watergate-Enthüller bereits Ausschnitte an die Medien weitergegeben hat. Diesmal sind es keine anonymen Quellen, die Trump belasten, auch keine Aussagen aus zweiter oder dritter Hand - sondern Trump selbst. Wenige Stunden nach den ersten aufgeregten Push-Nachrichten waren die Zitate des Präsidenten bereits Teil von Wahlkampfspots des Lincoln Project, einer immer giftigeren Gruppe von republikanischen Trump-Gegnern. Es wird nicht bei ihren Videos bleiben.

Die Empörung wird sich also wohl nicht so schnell legen wie bei früheren Gelegenheiten. Aber wird sie auch etwas verändern? Wird sie Trump Stimmen kosten, jetzt, wo bereits in vielen Bundesstaaten die Wahlzettel verschickt werden? Das ist eine ganz andere Frage.

In den konservativen Medien, bei Fox News und auf den reichweitenstarken rechten Internetportalen, besteht die Berichterstattung über Woodwards Buch im Wesentlichen aus zwei Argumenten. Erstens habe es zwischen Trumps öffentlichen Aussagen und jenen der Gesundheitsexperten in seiner Regierung keinen Widerspruch gegeben. Auch die Experten hätten im frühen Stadium beschwichtigt und vom Tragen von Masken abgeraten.

Trumps Wahlkampfteam verbreitete am Mittwoch ein Interview, das Anthony Fauci einem Fernsehsender gegeben hatte. Darin wirkt der Immunologe etwas gequält, als er sagt: "Ich sehe keine Diskrepanzen zwischen dem, was wir dem Präsidenten sagten, und was er der Öffentlichkeit sagte." Zudem - das ist das zweite Argument - habe der Präsident völlig richtig gehandelt, als er versuchte, die Amerikaner vor Panik zu bewahren. So mache das jede Regierung, das sei nur vernünftig.

Dabei bleibt allerdings unerwähnt, dass Trumps Gesundheitsexperten nach einigen Wochen sehr wohl dazu übergingen, eindringlich zum Abstandhalten und zum Tragen von Masken aufzurufen. Trump schloss sich diesen Aufrufen aber kaum je an, er stellte sie vielmehr öffentlich infrage. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass es Trump in vielen anderen Fragen sehr wohl darauf anlegt, Panik zu schüren. Im Wahlkampf redet er von linksextremen Banden, die Amerikas Städte niederbrennen und bald auch die Vororte in Schutt und Asche legen würden. "Angst ist sein ganzer Antrieb", kommentierte die Washington Post. Was Woodwards Enthüllungen aber bedeuten für Trumps Wiederwahl, das wird man erst im November wissen.

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SZ vom 11.09.2020/fie
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