Süddeutsche Zeitung

Mittelstreckenraketen:Es droht abermals ein atomares Wettrüsten

Lesezeit: 3 min

US-Präsident Trump will wegen mutmaßlicher russischer Verstöße den INF-Vertrag kündigen. Deutschland darf auf keinen Fall der Stationierung neuer Atomwaffen zustimmen.

Kommentar von Georg Mascolo

Zu den Glückstagen der Deutschen gehört der 8. Dezember 1987. Im Weißen Haus unterzeichneten ein US-Präsident namens Ronald Reagan und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow eines der bedeutendsten Abkommen des Nuklearzeitalters. Der INF-Vertrag führte dazu, dass insgesamt 2692 Kurz- und Mittelstreckenraketen verschrottet wurden. Es waren Waffen einer Reichweite, die im Kalten Krieg besonders jene Nation bedrohte, die damals noch geteilt war. "Je kürzer die Raketen, desto toter die Deutschen", skandierte im Westen eine machtvolle Friedensbewegung, die damals in Bonn so viele Menschen auf die Straßen brachte, wie heute in Berlin gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit demonstrieren.

Damals waren es Visionäre, die mit diesem Abkommen das Ende des Kalten Krieges einläuteten. Nun muss man befürchten, dass die Kälte zurückkehrt. In dieser Woche, so legen es Meldungen aus den USA nahe, steht nach fast 31 Jahren das Ende des INF-Vertrages an. Präsident Donald Trump sagt, der russische Präsident Wladimir Putin habe das Abkommen "leider nicht eingehalten. Also werden wir die Vereinbarung beenden und dann werden wir die Waffen entwickeln".

Ebendiese Botschaft soll in dieser Woche Trumps inzwischen dritter Sicherheitsberater, der Scharfmacher John Bolton, bei einem Besuch in Moskau überbringen. Bolton ist seit jeher ein Gegner dieses und eigentlich aller Abrüstungsabkommen. Er scheint sich gegen jene in Washington durchgesetzt zu haben, die für Zurückhaltung plädieren. Bolton will neue Atomwaffen nicht nur, um Russland abzuschrecken, sondern auch den neuen strategischen Rivalen, China. Das Land ist kein Partner des INF-Vertrages, und seine Aufrüstung - auch mit Raketen solcher Reichweite - versetzt die USA und Russland gleichermaßen in Sorge.

Es ist eine schlechte Nachricht aus Washington, die sich einreiht in Meldungen über den Ausbau und die Modernisierung der nuklearen Arsenale an vielen Orten der Welt. Großes gerät ins Rutschen. Eine neue Spirale der Aufrüstung mit den verheerendsten jemals entwickelten Waffen droht.

Russland ist an dieser Eskalation alles andere als unschuldig. Die Vorwürfe, dass das Land den INF-Vertrag durch Bau und mutmaßliche Stationierung eines neuen Marschflugkörpers des Typs SSC-8 bricht, gab es bereits unter Trumps Vorgänger Barack Obama. Auch die Verbündeten in der Nato sehen das so. Russland wiederum wirft den Amerikanern vor, mit einem in Rumänien installierten (und in Polen im Bau befindlichen) System zur Abwehr von Raketen ihrerseits den INF-Vertrag zu verletzen und elementare russische Sicherheitsinteressen "direkt zu bedrohen". Ernsthafte Versuche, den schon lange schwelenden Konflikt zu lösen, waren bisher kaum zu erkennen.

Trump scheint sich ohnehin entschieden zu haben - gegen den Widerstand, ja gegen die Sorgen und Ängste vieler seiner europäischen Verbündeten. Allen voran sind dies die Deutschen. Schon im Februar drängte Berlin die USA und Russland, sich "auf höchster politischer Ebene" für die "Bewahrung" des Vertrages einzusetzen, eines "Kernelements europäischer Sicherheit". Kommt es zum Ende des Vertrages, wäre es nach der Aufkündigung der Iran-Vereinbarung das zweite Mal, dass Präsident Trump gegen grundlegende Sicherheitsinteressen Europas handelt.

Das Gefühl der Ohnmacht, ja der Angst vor diesem Präsidenten wird noch größer werden, als es ohnehin schon ist. Trump scheint all dies nicht zu interessieren. So bleibt nur die Hoffnung, dass der für sein erratisches Handeln bekannte Präsident noch eine Kehrtwende macht. Vielleicht dienen die jüngsten Drohungen ja nur dazu, Druck aufzubauen, um eine Lösung mit Putin zu finden. Auch Trump steht in Sachen INF unter Druck: Der US-Kongress verlangt immer lauter, das Abkommen aufzukündigen, wenn Russland nicht einlenkt. Zudem steht die Verlängerung des in den USA umstrittenen "New START"-Abkommens an, mit dem sich die nuklearen Supermächte auf die weitere Reduzierung ihrer strategischen Arsenale verpflichten. Kippt beides, droht ein neues atomares Wettrüsten.

Und was dann? Ohne den INF-Vertrag würden bald schon alte Raketen modernisiert, neue entwickelt und gebaut. Die amerikanischen müssten auch irgendwo stationiert werden. Im Kalten Krieg hießen die Mittelstreckenraketen Pershing II, Stationierungsland war die Bundesrepublik. Ein Riss ging damals durch das Land: Hunderttausende Menschen demonstrierten gegen diese sogenannte Nato-Nachrüstung, ein Kanzler namens Helmut Schmidt hatte sein Amt riskiert (und letztlich verloren), um sie durchzusetzen. Schmidt wollte die Sowjetunion zum Verhandeln und Einlenken zwingen. Damals mag das die richtige Strategie gewesen sein. Heute sollten Politik und Bürger einig sein: Neue US-Atomwaffen kommen nicht nach Deutschland.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4179060
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.