Es ist alles noch unklar, noch undeutlich, was der Brand eines Wohnwagens und eines Hauses im sächsischen Zwickau da zu Tage gefördert hat. Doch es zeichnet sich ein Bild einheimischer Terroristen mit einem neonazistischen Weltbild ab. Nach der Wehrsportgruppe Hoffmann in den 80er Jahren dürfte (nach 1945) ein weiteres Mal eine Gruppe von Rechtsextremen ihr Unwesen in Deutschland getrieben haben. Doch war es nur ein Trio?
So haben die toten Neonazis Uwe M. und Uwe B. laut einem Bericht des Spiegel ein Geständnis hinterlassen. Auf vier DVDs, die die Ermittler in den Trümmern des Wohnhauses der Gruppe in Zwickau fanden, erklären die Terroristen, ihre Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" sei ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte".
Zugleich kündigen sie in dem 15-minütigen Film, der dem Nachrichtenmagazin vorliegt, weitere Anschläge an. Solange sich "keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit" vollzögen, würden "die Aktivitäten weitergeführt".
Nach Erkenntnissen der Ermittler waren die DVDs bereits in Umschläge verpackt und sollten an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden. In dem Film bekennt sich die Terrorgruppe auch zu dem Bombenanschlag in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße in Köln 2004, bei dem 22 Menschen durch Nägel verletzt wurden. Zu sehen ist unter anderem ein Foto der mutmaßlichen Bombe, bevor sie scharf gemacht wurde.
NRW rollt Anschläge wieder auf
Nordrhein-Westfalens Polizei rollt die Anschläge wieder auf. Es müssten jetzt alle "Straftaten, die über ähnliche Muster verfügen", noch einmal untersucht werden, sagte Landesinnenminister Ralf Jäger der Nachrichtenagentur dpa. Neben dem Nagelbombenanschlag geht es auch um einen Anschlag auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000.
Zum Kölner Anschlag gebe es Hinweise von den Ermittlungsbehörden in Thüringen, sagte der SPD-Mann. Bei dem blutigen Anschlag in der Keupstraße am 9. Juni 2004 waren 22 Menschen verletzt worden. Die Täter hatten eine selbst gebaute Nagelbombe auf einem Fahrrad deponiert und per Fernsteuerung gezündet. Die Polizei suchte vergeblich nach zwei Männern, die kurz vor der Explosion von einer Videokamera aufgenommen worden waren.
Den Ermittlern waren Ähnlichkeiten zwischen den damals auf dem Video festgehalten Personen und den nun tot in einem Wohnmobil bei Eisenach entdeckten Männern aufgefallen. Die beiden Männer und ihre mutmaßliche Komplizin seien 1998 als Bombenbauer aufgefallen, sagte Jäger. "Da ist es natürlich zwangsläufig, dass die beiden Anschläge in Köln und Düsseldorf im Lichte der Erkenntnisse neu bewertet werden müssen."
Bei dem Anschlag in Düsseldorf waren am 27. Juli 2000 zehn Menschen, überwiegend jüdische Einwanderer aus Osteuropa, durch eine Splitterbombe verletzt worden, zwei von ihnen lebensgefährlich. Eine Frau hatte ihr ungeborenes Baby verloren. Die Opfer waren Sprachschüler auf dem Weg vom Unterricht zur S-Bahn.
Zur Serie der "Döner-Morde" gehört auch ein Fall aus Nordrhein-Westfalen. In Dortmund war im April 2006 ein türkischer Kioskbesitzer erschossen worden. Jäger sieht in der Mordserie Taten einer terroristischen Gruppierung. Die Täter hätten mindestens 13 Jahre lang "geplant, nicht spontan" im ganzen Bundesgebiet schwere Straftaten begangen. "Da ist die Grenze zum Terrorismus sicherlich erreicht, wenn nicht sogar überschritten."
Es sei allerdings untypisch, dass die Gruppe sich nicht zu ihren Taten bekannt habe. Üblicherweise prahlten Terroristen mit solchen Anschlägen. Das sei "auch einer der wesentlichen Gründe, warum die Zusammenhänge zwischen diesen Taten den Ermittlungsbehörden erst so spät klar geworden sind", sagte Jäger.
Fotos von den Opfern
Die Neonazis rühmen sich in dem Film auch, mindestens neun Morde an türkischen und einem griechischen Einwanderer begangen zu haben. Offenbar fotografierten die Mörder ihre Opfer teilweise nach den Attentaten. Die Ermittler halten die Aufnahmen für authentisch.
Nach Erkenntnissen der Fahnder hatten die drei Neonazis nach ihrem Abtauchen 1998 noch mindestens ein halbes Jahr Kontakt in die Szene. Mehrere Aktivisten der "Kameradschaft Jena" sollen dem Trio geholfen haben, unter anderem mit einem Auto und Pässen.
Das Bundeskriminalamt geht derzeit dem Verdacht nach, dass Rechtsextremisten aus dem Umfeld des "Thüringer Heimatschutzes" bis in die jüngste Vergangenheit Kontakt zu den Untergetauchten gehalten hätten. In der Thüringer Landesregierung wird mittlerweile von einem größeren "rechtsextremen Netzwerk" gesprochen, das die drei "bis zur letzten Minute unterstützt" habe.
Gleichzeitig wird über Pannen beim Verfassungsschutz spekuliert. Die drei mutmaßlichen Drahtzieher der insgesamt zehn Morde waren den Behörden bereits in den 90er Jahren bekannt, verschwanden dann aber aus dem Blick der Verfassungsschützer. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus all dem noch ein Verfassungsschutzproblem ergibt", sagte der Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl der Mitteldeutschen Zeitung. Möglicherweise habe der Geheimdienst mehr über die Hintergründe der Taten gewusst, als bisher bekannt sei.
In Sicherheitskreisen wird spekuliert, die drei aus Thüringen stammenden mutmaßlichen Täter könnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dann als Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein. Der Thüringer Verfassungsschutz hat allerdings keine Hinweise darauf. Präsident Thomas Sippel räumte in einem Focus-Interview allerdings ein, dass bei einer Überprüfung im Jahr 2000 "letzte Zweifel nicht beseitigt" worden seien. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, das sein Amtsvorgänger Helmut Roewer Quellen auf eigene Rechnung geführt habe, antwortete Sippel laut Focus: "Das wäre sehr ungewöhnlich. Aber es wäre denkbar."
Grünen-Chef Cem Özdemir äußerte Unverständnis über das bisherige Agieren der Ermittlungsbehörden in dem Fall: "Die nun quasi zufällig gewonnenen Erkenntnisse der Behörden verschlagen einem fast die Sprache. Wie konnten die mutmaßlichen Täter jahrelang aus offenbar rechtsextremen Motiven morden, ohne dass Polizei und Verfassungsschutz auch nur die leiseste Ahnung hatten?", fragte er in der Welt am Sonntag.
Laut Spiegel mutmaßen die Ermittler in einem Vermerk des Landeskriminalamtes, die überlebende Verdächtige Beate Z. sei V-Frau des Geheimdienstes. Der Verdacht sei allerdings inzwischen ausgeräumt.
Doch auch der thüringische Innenminister Jörg Geibert (CDU) zweifelt am Verhalten der Landesbehörden bei der Verfolgung des Neonazi-Trios. Er habe eine "Reihe von Fragen" zur Verfolgung der früher als "Bombenbauer von Jena" bekannten drei Personen für die Zeit ab Januar 1998, sagte Geibert der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auf die Frage, ob die Behörden damals fehlerfrei gehandelt haben, antwortete Geibert: "Ich habe meine Zweifel." Darum werde er eine Kommission einsetzen, die die Vorgänge von damals untersuchen soll.
Justizministerin: Ermittlungsdetails beunruhigend
Die Mordserie hat auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger alarmiert: "Die ersten Details der Ermittlungen sind beunruhigend", sagte die Ministerin der Nachrichtenagentur Reuters in Frankfurt. Jetzt stehe die Aufklärung im Vordergrund. "Im Zentrum der Aufklärung wird die Frage stehen, ob die Verdächtigen in ein besonders bedrohliches rechtsextremes Netzwerk eingebunden waren", sagte die FDP-Politikerin.
Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich für eine intensive Diskussion über alle Facetten des Rechtsextremismus aus. Notwendig sei eine differenzierte Analyse. Letztlich gebe es "deutliche Anhaltspunkte, dass die nunmehr entlarvte Gruppierung seit mehr als zehn Jahren aus dem Untergrund heraus ihre schrecklichen Verbrechen geplant und begangen hat".
Die Ministerin mahnte, der politische Schlagabtausch eigne sich in Bezug auf eine möglicherweise rechtsextrem motivierte Mord- und Anschlagserie nicht. Über die Parteigrenzen hinweg hätten letztlich alle Parteien ein Interesse an der Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Auch der niedersächsische Verfassungsschutz warnte vor einer völlig neuen Qualität rechter Gewalt. "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun", sagte Präsident Hans-Werner Wargel der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Den Sicherheitsbehörden sei zwar bekannt gewesen, dass Rechtsextremisten gut mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstet seien. Konkrete Hinweise auf gezielte Morde habe es bislang aber nicht gegeben. "Angesichts dieser völlig neuen Qualität ist es durchaus gerechtfertigt, hier von rechtsterroristischen Taten zu sprechen", sagte Wargel.
Vergleiche mit dem Linksterrorismus der Roten Armee Fraktion RAF hält der Verfassungsschützer indes für verfehlt. "Wenn es Rechtsextremisten waren, haben sie ihre Motive bewusst verborgen. Ihnen ging es offenkundig nicht um eine Selbstbezichtigung, wie es für die RAF typisch war." Auch gebe es keine Hinweise auf einen ideologischen Überbau.
Auch hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe offiziell zurzeit keine Hinweise, dass außer dem Neonazi-Trio aus Jena noch andere Täter in die sogenannte Dönermord-Serie verstrickt waren. Zureichende Anhaltspunkte für weitere konkrete Tatverdächtige lägen derzeit nicht vor, sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde am Samstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa.
Focus hatte zuvor über einen Unterstützer des Trios berichtet. Demnach hatte ein 37-Jähriger aus Niedersachsen den Verdächtigen vor Jahren gegen Geld seinen Personalausweis überlassen. Damit soll das Wohnmobil gemietet worden sein, in dem sich zwei Männer am 4. November bei Eisenach laut Polizei erschossen, nachdem sie zuvor eine Bank ausgeraubt hatten. Die beiden Männer werden mit den Morden in Verbindung gebracht. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte dazu lediglich, die Ermittlungen erstreckten sich auch auf das Umfeld des Trios.
Zu dem Trio gehörte neben den beiden Männern aus dem Wohnmobil die 36 Jahre alte Beate Z., die das gemeinsam bewohnte Haus im sächsischen Zwickau in Brand gesteckt hatte. Sie saß zuletzt in Zwickau in Untersuchungshaft. Ob sie derzeit noch dort inhaftiert ist, wollte die Behörde am Samstag nicht sagen. Laut Bild am Sonntag will die 36-Jährige nur aussagen, wenn ihr als Kronzeugin Strafmilderung zugesichert wird.
Die Bundesanwaltschaft verwies darauf, dass der Haftbefehl in Sachsen wegen dringenden Tatverdachts auf Brandstiftung erging. Karlsruhe hingegen gehe dem Anfangsverdacht einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach.