Süddeutsche Zeitung

Pestizide im Trinkwasser:EU-Agrarbeschlüsse erzürnen Wasserversorger

Ohne Umstieg auf Öko-Landbau zumindest in Schutzgebieten seien Giftstoffe im Trinkwasser bald unausweichlich, klagen Wasserwerke am Rhein. Ministerin Klöckner sorgt sich indes um die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte.

Von Thomas Hummel

Am Tag der Einigung schrieb Wolfgang Deinlein E-Mails nach Brüssel und Berlin. Es gehe ihm schließlich um sauberes Trinkwasser als lebenswichtigsten Stoff für das Allgemeinwohl. Deinlein ist Geschäftsführer der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet IAWR und hat am Freitag die Beschlüsse zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union gelesen. Sein Eindruck: "Das ist eine Politik der Realitätsverweigerung, die sich den aktuellen Problemen nicht stellt."

Monatelang hatten Unterhändler aus den 27 EU-Staaten, des EU-Parlaments und der EU-Kommission im sogenannten Trilog darüber gestritten, wie die 387 Milliarden Euro Agrarsubventionen in den kommenden sechs Jahren verteilt werden sollen. Das ist ein Drittel des gesamten EU-Haushalts. Die Kernfrage lautete, wie viel Geld für ökologische Leistungen umgeleitet werden soll. Die Agrarwirtschaft ist für einen Teil der Treibhausgas-Emissionen sowie für den Verlust der Biodiversität durch das Ausbringen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verantwortlich. Als in Brüssel weißer Rauch aufstieg, konnte man in Europa ein Seufzen der Erleichterung vernehmen.

Am Montag stimmte der Rat der nationalen Agrarminister den Beschlüssen zu. 25 Prozent der Direktzahlungen sollen künftig für sogenannte Eco-Schemes verwendet werden, etwa für das Anlegen von Blühstreifen. Dazu müssen Landwirte vier Prozent ihrer Flächen brachlegen. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) erklärte: "Es ist gut und wichtig, dass sich die Partner auf einen Kompromiss verständigt haben." Dieser verbinde ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz mit wirtschaftlichen Perspektiven für die Landwirte und die ländlichen Räume. Sind nun alle glücklich? Mitnichten.

Wolfgang Deinlein schreibt in seiner E-Mail an Klöckner sowie an die EU-Kommissare Janusz Wojciechowski (Landwirtschaft) und Stella Kyriakides (Gesundheit) von einer "historischen Chance, die man nicht verpassen sollte". Er findet, künftige Agrarpolitik müsse so ausgelegt sein, dass zumindest in Wasserschutzgebieten nur Öko-Landbau betrieben werde. Denn für die Wasserversorger ist hauptsächlich die konventionelle Landwirtschaft daran schuld, dass sie immer mehr Aufwand betreiben müssen, um die Trinkwasserqualität zu halten. Der übermäßige Eintrag von Gülle vor allem aus der Massentierhaltung führt dazu, dass sich Nitrat im Wasser anreichert. Deutschland überschreitet seit Jahren in vielen Regionen den Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter Trinkwasser. Eine neue Düngeverordnung soll dem entgegenwirken.

27 000 Tonnen Pestizide im Jahr 2019 in Deutschland

Doch Nitrat lässt sich, wenngleich mit teuren Verfahren, aus dem Wasser filtern. Für Deinlein ist deshalb ein zweites Problem ebenso schwerwiegend: die Pestizide. Laut Umweltbundesamt ist der Einsatz in Deutschland leicht rückläufig und lag im Jahr 2019 bei etwa 27 000 Tonnen. "Zu glauben, dass davon auf Dauer nichts im Trinkwasser ankommt, ist realitätsfern", sagt der Geoökologe.

Derzeit seien in Deutschland 288 Wirkstoffe zugelassen, diese bauen sich meist nicht vollständig ab, was dazu führe, dass man neue, nicht identifizierbare Substanzen im Wasser entdecke. "Sind diese mobil, dann finden wir sie später im Bier, im Tee, im Mineralwasser oder in Softdrinks. Das ist unausweichlich", erklärt Deinlein. Er plädiert dafür, den Wasserkreislauf und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Ansonsten sei das "ein massiver Verlust unseres Wohlstands", der nicht akzeptabel sei. Das gehe aber nur über die EU-Agrarpolitik mit einer Abkehr vom konventionellen Anbau. Denn ein Verbot von Wirkstoffen bewirke nur, dass neue Wirkstoffe eingesetzt würden. "Wir laufen sonst immer hinterher", sagt Deinlein.

Die Landwirtschaft argumentiert, der Einsatz von Pestiziden sei notwendig, um die nötige Menge an Lebensmitteln herstellen zu können. Bei niedriger Ertragslage pro Fläche könnten die Betriebe zudem preislich nicht auf dem Weltmarkt mithalten. Ministerin Klöckner warnt davor, dass höhere Ansprüche an europäische Landwirte nicht zu "Produktionsverlagerungen in Drittländer" führen dürften.

Wasserversorger kaufen sogar schon selbst Flächen

Um zumindest ihre Schutzgebiete wirklich zu schützen, versuchen die Wasserversorger die örtlichen Landwirte zu einem Umstieg auf Öko-Anbau zu bewegen. Dafür bieten sie Entschädigungen an. Wenn möglich, kaufen Wasserversorger sogar selbst Flächen. "Weil wir diese dann unter Auflagen an Landwirte verpachten und sicherstellen können, dass nach unseren Regeln gewirtschaftet wird", sagt Karsten Specht, Geschäftsführer des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbands (OOWV). Also Landwirtschaft ohne Pestizide. Und nicht mit dem Ziel, den maximalen Ertrag zu erwirtschaften.

Das EU-Parlament stimmt im Herbst noch über den Entwurf zur künftigen EU-Agrarpolitik ab. Wolfgang Deinlein kündigt an, dass sein Verband die Abgeordneten dazu auffordern werde, mit Nein zu stimmen. Dazu wird er wohl noch einige E-Mails schreiben müssen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5336848
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/mcs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.