Süddeutsche Zeitung

Amokfahrt in Trier:Tag des Horrors, Tag der Menschlichkeit

Lesezeit: 3 Min.

Nach der Amokfahrt mit fünf Toten herrscht Fassungslosigkeit in Trier. Warum fährt ein Mensch einfach andere Menschen um? Über die Trauer nach der Tat und eine bemerkenswerte Hilfsbereitschaft.

Von Matthias Drobinski, Trier

Der Nebel wattiert die gelbleuchtenden Adventssterne über der Trierer Fußgängerzone und auch die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge. Eine unwirkliche Stille und Leere liegt über dem Zentrum der ältesten Stadt Deutschlands, die römische Porta Nigra glänzt schwarz, als trüge sie Trauer. Ohne die Corona-Pandemie wäre an diesem Mittag alles hier voll gewesen, übervoll, ein hektischer Dienstag im Advent halt. Dann hätte es hier aber auch massive Poller aus Beton gegeben, unüberwindbare Hindernisse für jeden, der unbefugt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt hätte fahren wollen.

Nur gibt es dieses Jahr keinen Weihnachtsmarkt in Trier. Und damit auch keine Poller aus Beton. Und damit ist der Weg frei für einen 51 Jahre alten Mann aus dem Kreis Trier-Saarburg. Um kurz nach halb zwei am Nachmittag lenkt er einen PS-starken Range-Rover-Geländewagen bei der Basilika in die Fußgängerzone und gibt Gas. Im Zickzack rast er Richtung Porta Nigra, er hat es offenbar auf die Menschen abgesehen, die hier bummeln. Augenzeugen berichten von Körpern und einem Kinderwagen, die durch die Luft fliegen.

Es sterben eine 25 Jahre junge und eine 73 Jahre alte Frau. Ein 45-jähriger Vater und seine neuneinhalb Wochen alte Tochter kommen ebenfalls ums Leben. Die Mutter und der zweieinhalbjährige Sohn der Familie gehören zu den 14 Verletzten und liegen im Krankenhaus. Am späten Abend meldet die Polizei eine fünfte Tote - eine 52 Jahre alte Frau. Die Ärzte kämpfen in dieser Nacht um das Leben dreier weiterer schwerst verletzter Menschen.

Achthundert Meter weit geht die Amokfahrt. Nach vier Minuten ist die Polizei da und überwältigt den Mann, der sich der Festnahme widersetzt. Ein Terrorist, das scheint bald sicher, hat diese Tat nicht verübt. Der Hubschrauber, der über der Stadt kreiste, kann wieder landen, der Großalarm wird aufgehoben.

Aber warum fährt ein Mensch einfach andere Menschen um? Am Abend sitzt, nach Antworten suchend, Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe vor den Journalisten, daneben der leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen und der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz. Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin, die privat in Trier wohnt, war schon am späten Nachmittag da gewesen und hatte gesagt, dass dies ein "ganz, ganz schlimmer Tag für meine Heimatstadt Trier" sei.

Es gibt viel Fassungslosigkeit an diesem Abend, und erste Informationen über den Amok-Fahrer, die auch keine wirklichen Erkenntnisse bringen. Der deutsche Staatsbürger habe in den vergangenen Tagen offenbar in dem Range Rover übernachtet, sagt Oberstaatsanwalt Fritzen, er sei seit einiger Zeit wohnsitzlos gewesen, den Wagen habe ihm ein Bekannter überlassen, der mit der Tat nichts zu tun habe. Bei der Festnahme habe er 1,4 Promille Alkohol im Blut gehabt. Eine erste Untersuchung im Gesundheitsamt nähre die Vermutung, dass der mutmaßliche Täter psychisch krank sei.

Er werde gerade vernommen, sagt Oberstaatsanwalt Fritzen. Und dann werde entschieden, ob der Mann in Untersuchungshaft komme oder vorläufig in die Psychiatrie. Der Vorwurf gegen ihn jedenfalls laute: Mord, eine mehrfache heimtückische Tötung, aus niederen Beweggründen, dazu Körperverletzung.

"Ich glaube, es ist der schwärzeste Tag der Stadt Trier nach dem Zweiten Weltkrieg," sagt Oberbürgermeister Leibe. Ein in Trier geborener Mann habe, so müsse man annehmen, Triererinnen und Trierer getötet. "Wir müssen das Trauma aufarbeiten", sagt er, und: "Ich will wissen, warum jemand das tut." Er macht eine Pause. Und sagt: "Ob ich darauf eine Antwort bekomme, weiß ich nicht."

"Das muss ich erst mal verkraften", sagt Innenminister Roger Lewentz und spricht von der "Schockstarre", die ihn befallen habe, als die Nachricht kam. Und dann redet er von der großen Hilfsbereitschaft der Trierer: "Als Polizei und Sanitäter kamen, war kein Verletzter ohne Hilfe." Der Tag der Trauer sei auch ein Tag der Mitmenschlichkeit.

Um 20 Uhr läuten die Glocken der Stadt zum ökumenischen Gebet. "Ein für Trier schrecklicher Tag geht zu Ende", sagt der katholische Bischof Stephan Ackermann im Dom. Vielleicht 150 Menschen sind gekommen. Eine Frau singt: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag" - das Zuversichts-Lied des zum Tode verurteilten evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Dann kommen die Menschen nach vorne und zünden Kerzen an und verwandeln die Altarstufen in ein Lichtermeer.

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