Süddeutsche Zeitung

Tricks in Untersuchungsausschüssen:Farce statt Aufklärung

Der Untersuchungsausschuss gilt als "schärfstes Schwert der Opposition", um die Regierung zu überprüfen. Doch in der Realität fällt es den Mehrheitsparteien leicht, die Aufklärung auszubremsen. Eine Sammlung der häufigsten Tricks.

P. Blechschmidt und M. Widmann

Angeblich ist er das "schärfste Schwert der Opposition". Kaum ein Skandal, bei dem er nicht mit großer Geste eingesetzt wird, um Licht in düstere Machenschaften zu bringen: der Untersuchungsausschuss. Meist reicht dafür ein Viertel oder ein Fünftel der Stimmen im Parlament. Doch das Schwert ist stumpf. Es ist für die Mehrheit erschreckend einfach, die Aufklärung auszubremsen. Das zeigt sich gerade wieder beim Untersuchungsausschuss zum geplanten Atommüll-Endlager Gorleben. Die Regierungsparteien würden den Ausschuss am liebsten beenden. Das Ergebnis der Nachforschungen sei doch schon nach den ersten Sitzungen des Gremiums eindeutig, behaupten Union und FDP, einen Skandal habe es nicht gegeben.

Die Süddeutsche Zeitung zeigt die häufigsten Tricks, mit denen die Opposition blockiert wird - aus aktuellem Anlass: Neben dem Bundesgerichtshof müssen sich derzeit auch die Verfassungsrichter in Hessen und Rheinland-Pfalz mit Klagen gegen die Tricks befassen. Ein Einblick in die Maschinerie der Macht, verpackt in Tipps an die Machthabenden: So machen Sie jeden U-Ausschuss zur Farce.

Blähen Sie die Veranstaltung auf, so gut es geht

Ein U-Ausschuss dient unangenehmerweise dazu, etwas an die Öffentlichkeit zu bringen, was Sie dort lieber nicht sehen wollen. Erreichen Sie, dass die Öffentlichkeit möglichst schnell das Interesse verliert! Machen Sie es wie die SPD in Rheinland-Pfalz in der Nürburgring-Affäre, erweitern Sie den Untersuchungsauftrag vom Zeitraum des eigentlichen Skandals auf die Vorgeschichte, gehen Sie weit, weit zurück. Spätestens nach der 20. Sitzung verlieren auch hartnäckige Reporter die Lust.

Oder haben Sie etwas mehr Mut und eifern Sie der CDU in Hessen nach: Lassen Sie nicht allein untersuchen, ob die Verwaltung vier unbequeme Steuerfahnder mit psychiatrischen Gefälligkeitsgutachten zwangspensioniert hat. Erweitern Sie vielmehr die Tagesordnung um die Frage, welche Kontakte die Ex-Steuerfahnder zu Abgeordneten hatten. Das tut zwar wenig zur Sache, aber es zieht alles in die Länge. Vor allem, weil die Opposition dagegen erst einmal vor das hessische Verfassungsgericht ziehen muss.

Besonders einfach ist das, wenn es um Vorgänge in Geheimdiensten oder beim Militär geht - wie beim BND-Ausschuss in der vergangenen Legislaturperiode und aktuell beim Kundus-Ausschuss. Hier entscheiden die Geheimnisträger praktischerweise selbst, was top secret zu bleiben hat. Das trifft dann sogar offizielle Pressemitteilungen von Ministerien oder Staatsanwaltschaften. Geheimpapiere sind ohnehin tabu, selbst wenn über sie schon ausführlich in der Presse berichtet wurde. Vergessen Sie nie: Klagen beim Bundesgerichtshof haben in der Regel erst Erfolg, wenn die Legislaturperiode und damit auch der Untersuchungsausschuss zu Ende sind.

Versuchen Sie, die Öffentlichkeit auszuschließen

Nehmen Sie sich ein Beispiel an Union und FDP im Bundestag. Die wollten den Luftschlag gegen die von Taliban entführten Tanklastzüge bei Kundus unbedingt im Verteidigungsausschuss untersuchen. Der kann sich als einziger Fachausschuss zum Untersuchungsgremium umwandeln, wenn es um militärische Fragen geht. Der Verteidigungsausschuss aber tagt nicht öffentlich. Deshalb wollte die Opposition lieber einen "normalen" Untersuchungsausschuss einsetzen. Sie gab erst unter der Bedingung nach, dass die maßgeblichen Zeugen öffentlich befragt würden. Die Koalition stimmte zu, fand aber nach sechs Monaten, dass dieser Beschluss rechtswidrig sei. Jetzt ist erst einmal Schluss mit der Öffentlichkeit.

Wenn ein Minister etwas anderes aussagt als ein wichtiger Zeuge, kann die Opposition auf die störende Idee kommen, eine Gegenüberstellung zu beantragen. Hier müssen Sie hellwach sein! Lehnen Sie den Antrag mit Ihrer Mehrheit ab - wie jenen der Opposition im Bundestag: Diese will Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit Ex-Staatssekretär Peter Wichert und dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, konfrontieren. Guttenberg hatte beide Knall auf Fall entlassen. Um das zu erreichen, klagen SPD und Linkspartei jetzt vor dem Bundesgerichtshof. Die hessische Opposition muss ebenfalls vor den Staatsgerichtshof ziehen. Ihr wird die Gegenüberstellung von Innenminister Volker Bouffier mit einem hohen Polizeibeamten verweigert, der sich bei einer Beförderung um seine Rechte gebracht sieht.

Freuen Sie sich darüber, dass Zeitungsjournalisten mit ihren Artikeln so früh fertig sein müssen. Lassen Sie sich Zeit! Hören Sie spannende Zeugen grundsätzlich als letzte. Als Faustregel gilt: Je dunkler es draußen schon ist, desto sicherer. Folgen Sie der SPD in Rheinland-Pfalz, die mit ihrer Mehrheit durchsetzte, dass Kurt Beck sich erst als Letzter den unangenehmen Fragen stellen musste. Als es endlich spannend wurde, hatten viele Reporter schon den Saal verlassen, weil sie dringend ihre Texte fertigstellen mussten. Über Beck stand am nächsten Tag eher wenig in der Presse.

Laden Sie massenhaft unergiebige Zeugen

Auch dieser Trick fällt in die Rubrik: Hungern Sie die Journalisten aus! Keinesfalls dürfen wichtige Zeugen der Opposition alleine geladen werden. Betten Sie diese ein in Dutzende und Aberdutzende Zeugen, die den Skandal zwar allenfalls am Rande miterlebt haben, dafür aber engagiert schildern können, wie reibungslos die Regierungsarbeit im Allgemeinen läuft. Je langweiliger diese Zeugen erzählen, umso besser.

In diesem Punkt ist die hessische CDU ein nur schwer zu übertreffendes Vorbild. Ein Untersuchungsausschuss ist für sie grundsätzlich eine "Schmutzkampagne" oder wahlweise eine "üble Mobbingkampagne" der "skandalisierungswütigen Opposition". Und deren Hauptbelastungszeugen? Die sind die schlimmsten, da gilt es, keine Gnade zu zeigen. Etwa, indem man sie tituliert als "vier offenbar querulatorische, sich selbstüberschätzende ehemalige Steuerbeamte".

Erklären Sie den Ausschuss für tot, ehe er angefangen hat

Perfekt beherrscht auch diesen Trick die hessische CDU. Der U-Ausschuss zur Polizeichef-Affäre "ist ein totes Pferd". Das verkündet sie mit Verve, sogar schon vor Beginn der Zeugenvernehmungen. Die FDP, ebenfalls in der Regierung, bekundet ebenso gerne: "Die Luft ist einfach raus." Wiederholen Sie das routiniert, vielleicht glaubt es ja jemand.

Wenn nichts mehr geht: Setzen Sie einen Gegen-Ausschuss ein

Manchmal wird ein Untersuchungsausschuss trotz allem unangenehm. Dann hilft es, einfach einen zweiten einzusetzen, der sich gegen die Opposition richtet. Zu simpel? Nicht für die SPD in Rheinland-Pfalz. Sie ist in der Nürburgring-Affäre mächtig unter Druck gekommen. Nun hat sie im Alleingang einen U-Ausschuss zur Finanzaffäre der CDU-Fraktion aus den Jahren 2003 bis 2006 beschlossen. Doch ist ein Ausschuss gegen eine Oppositionsfraktion überhaupt legal? Schon wieder ein Fall fürs Verfassungsgericht. Die Aufklärung, sie ruht solange.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2010/ffu
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