Süddeutsche Zeitung

Treuhand-Chef:Mord in Großbuchstaben

Vor 25 Jahren erschoss die RAF Detlev Karsten Rohweddder. Der Mord ist vielleicht noch immer das rätselhafteste aller Verbrechen der Terrorvereinigung.

Von Heribert Prantl

Es ist erstaunlich, wie wenig selbst bei den RAF-Verbrechen, die als aufgeklärt gelten, aufgeklärt ist. Noch viel erstaunlicher ist, wie viele RAF-Verbrechen bis heute komplett unaufgeklärt sind; alle sechs Morde seit 1985, alle Morde der sogenannten dritten Generation der RAF, harren der Aufklärung - bis hin zum letzten, dem Ostermontagsmord von 1991.

Dieser Mord ist vielleicht noch immer der rätselhafteste von allen. In der Nacht vom 1. auf den 2. April wartete der oder warteten die RAF-Mörder in einer Schrebergartenanlage im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel auf ihr Opfer. Eine halbe Stunde vor Mitternacht stand Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder im Nachtgewand an seinem Schreibtisch, von den Kleingärten aus gut zu sehen, im hell erleuchteten Arbeitszimmer. Drei Geschosse schlugen durch die Glasscheibe. Das erste traf Rohwedder in den Rücken, es verletzte ihn tödlich. Sofort nach dem Schuss stürzte seine Frau ins Zimmer; sie wurde von einer Kugel am Ellbogen verletzt.

Am Tatort fanden sich wenige Spuren, unter anderem ein Handtuch und, auf einem Gartenstuhl, ein Brief. Darin bekannte sich ein "Kommando Ulrich Wessel" (benannt nach einem RAF-Mitglied, das 1975 bei einem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm ums Leben kam) zu dem Attentat. Zu Rohwedder fand sich in diesem Pamphlet kein einziges Wort, stattdessen in Großbuchstaben aggressiver Kauderwelsch: "Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie - unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht!" Vom "Kampf gegen die reaktionären großdeutschen und westeuropäischen Pläne zur Unterwerfung und Ausbeutung der Menschen" war die Rede. Es gab deswegen Spekulationen, nicht die RAF, sondern alte SED-Kader könnten den Mord gegen den Chef der Treuhandanstalt inszeniert haben. Am 4. April verbreitete die RAF dann ein fünfseitiges Schreiben, das eine konfuse Anklage gegen den ermordeten Treuhand-Chef enthielt.

Rohwedder war Sohn eines Buchhändlers im thüringischen Gotha. Als er 1990 auf Vorschlag des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière Vorstandsvorsitzender der Treuhand wurde (Rohwedder sprach vom "sozialistischen Trümmerhaufen"), galt er als einer der wenigen Spitzenmanager, der sich in der Politik gut auskannte. Der Rechtsanwalt und Steuerberater war schon beamteter Staatssekretär bei Bundesfinanzminister Karl Schiller gewesen, er hatte später den Hoesch-Konzern saniert. Er hatte einen Ruf als flexibler, aber in der Sache harter Manager. Er galt seinen Mördern als Repräsentant "des Systems". Zu seinem zehnten Todestag schrieb der Sozialdemokrat Richard Schröder: "Rohwedder ist das einzige Todesopfer auf dem Weg der deutschen Vereinigung". Schröder, Theologe und Mitglied der letzten frei gewählten Volkskammer, würdigte Rohwedder als einen Manager, der die von ihm mit Nachdruck verfochtene Privatisierung der DDR-Wirtschaft "nicht zu einer kalten kapitalistischen Veranstaltung" werden lassen wollte.

Auf dem Handtuch, das am Tatort vorgefunden worden war, wurde ein Haar entdeckt, das 2001 dem RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte; das ist ein Indiz für Tatbeteiligung, aber kein Beweis. Grams war 1993 bei einem Verhaftungsversuch durch die Antiterroreinheit GSG 9 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen zu Tode gekommen. Birgit Hogefeld, Lebensgefährtin von Grams und eine der Leitfiguren der RAF, wurde dort gefasst und wegen mehrfachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, aus der sie 2011, als letztes inhaftiertes RAF-Mitglied, auf Bewährung, entlassen wurde. In einem Spiegel-Interview bezeichnete sie die Spekulationen über eine Stasi-Verbindung im Fall Rohwedder als Quatsch. Der Mord sei der Versuch der RAF gewesen, sich der "legalen Linken zu nähern, ohne auf Aktionen" zu verzichten.

Die RAF ist und bleibt ein dunkles Kapitel. Nur die Täter könnten es ausleuchten; aber die kennt keiner und es meldet sich keiner von ihnen. Sie leben noch irgendwo und nehmen womöglich ihr Wissen mit ins Grab. Wer heute an die RAF denkt, der denkt an das furchtbare Terror-Jahr 1977, an den sogenannten Deutschen Herbst. Aber auf dieses Terror-Jahr folgte noch ein langer Winter mit mörderischen Attentaten, die bis heute nicht geklärt sind. Der Winter dauert an.

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SZ vom 01.04.2016
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