Giuliano Zugliani öffnet schwungvoll die Tür, die in einen gut belüfteten Lagerraum führt. Auf Regalen liegen akkurat aneinandergereiht Holzscheite, präsentiert wie Schmuckstücke. "Unser Holz kennt die ganze Welt, und wir haben Kunden aus der ganzen Welt", sagt er. Optisch unterscheiden sich die Scheite für den Laien nur durch die Farben der Reißzwecken, die in sie gedrückt wurden. Die Farben geben Auskunft über das Jahr, in dem der Baum gefällt wurde. Bei den rot gekennzeichneten Stücken war das zum Beispiel das Jahr 2003. Hier lagert und trocknet Holz. Jahre-, sogar jahrzehntelang. Es ist Holz aus dem "Violinenwald" genannten Forst von Paneveggio. Ist das hier also so etwas wie der Supermarkt der Instrumentenbauer? Von wegen Supermarkt: "Das ist die Luxusboutique!", korrigiert Zugliani ein wenig indigniert, Stolz blitzt auf in seinen Augen.
Giuliano Zugliani spielt kein Instrument, er höre lieber zu, sagt er. Aber das Holz und der gesamte Forst sind ihm ein Herzensanliegen, seit er im Jahr 1983 im Wald von Paneveggio als Förster zu arbeiten begann. Hierher kommen die angesehensten Geigen- und Klavierbauer - sogar Violinisten von Weltrang waren schon hier, etwa Gidon Kremer. Musiker der Mailänder Scala haben im Wald Konzerte veranstaltet. Und Antonio Stradivari, der hoch verehrte Übervater der Geigenbauer, reiste Anfang des 17. Jahrhunderts immer wieder von Cremona in den Wald von Paneveggio, auf der Suche nach dem besten Geigenholz. Deshalb ist für Zugliani klar: "Wer dieses Holz kaufen will, muss hierherkommen." Einmal wollte ein chinesischer Kunde eine sehr große Menge per Mail bestellen, aber auch der musste sich nach Italien bemühen, erzählt Zugliani sichtlich zufrieden.
Mit knapp 3000 Hektar ist dies der größte Fichtenwald der italienischen Alpen, der wiederum zum Naturpark Paneveggio - Pale di San Martino im Osten der Provinz Trento gehört. Trotz seiner langjährigen Erfahrung gibt Zugliani unumwunden zu: Wenn er durch den Wald geht, vermag er nicht zu sagen, ob er vor einer Resonanzfichte steht. Niemand kann das. Und es gehört auch ins Reich der gut erfundenen Geschichten, dass Experten mit einem Hämmerchen in den Wald gehen und am Klopfgeräusch erkennen, welcher Stamm denn nun ein Klangbaum ist.
Aber er weiß, welche Eigenschaften ein solcher Baum haben muss: Perfektes Holz ist astfrei, elastisch, hat sehr dünne gleichmäßige Wachstumsringe und gerade Fasern. Und er kennt die Voraussetzungen, die es braucht, damit ein solcher Baum überhaupt wachsen kann: Viel Zeit für ein langsames, gleichmäßiges Wachstum in einer Höhe zwischen 1500 und 2000 Metern, das Mikroklima, das hier im Wald von Paneveggio herrscht, sowie die Genetik der Bäume. Menschengemacht ist da wenig.
Eine Resonanzfichte zu finden, ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Von den 3500 Bäumen eignet sich nur jeder tausendste für den Violinenbau. "Wir wissen es erst, wenn wir die Stämme spalten", erklärt Zugliani. "Geschlägert", wie der Förster sagt, wird nur in der kalten Jahreszeit, wenn der Saftstrom ruht. 150 bis 250 Jahre alte Baumriesen werden dafür ausgewählt, deren Umfang an der Basis gut und gerne zweieinhalb Meter betragen kann. "Für das Mondholz warten wir auf einen ganz bestimmten Tag im Mondkalender, wenn die Erd-Mond-Gravitation am geringsten ist." Mondholz sei eine Rarität, noch rarer und wertvoller ist nur das Lavato-Holz: Es wird nach dem Fällen zusätzlich sechs Monate in eine Bachgumpe gelegt, "gewaschen", wie sie es nennen. Das Wasser reinige das Holz, putze die Saftgefäße, die Xyleme, dadurch entstünden kleine Hohlräume, die den Klang verbessern, sagt Zugliani. Und um den Klang, die beste Resonanz, dreht sich alles.
Eine kleine Schau im Forsthaus erklärt die Geschichte der Saiteninstrumente und wie sie gebaut werden. Der Besucher erfährt zum Beispiel, dass in Violinen drei Holzarten - Ahorn, Fichte und Ebenholz - verbaut sind. Das Klangholz hat dabei den geringsten Anteil, ist aber entscheidend für die Akustik. Der Wald, in dem dieser besondere Stoff wächst, ist ein komplexes Ökosystem. Die Aufgabe der Förster ist es, den Wald zu erhalten. "Unsere Philosophie ist der natürliche, sich selbst erneuernde Wald", erklärt Zugliani. Das heißt, es wird nach dem Abholzen nicht wieder aufgeforstet. Die alten Bäume sorgen mit ihrem Erbgut für die nächste Generation. Bleibt das Problem, wie die jungen Fichten ohne Verbiss kerzengerade hochwachsen sollen, bei all dem Wild im Forst. "Wir hoffen, dass die Winter lang, schneereich und kalt sind, damit nicht so viele Jungtiere überleben", sagt der Förster. Die Natur bestimmt die Regeln im sich selbst erneuernden Wald.
Über ihn lässt sich im Besucherzentrum "Terra Foresta" viel lernen: Er ist Lebensraum für 112 Vogelarten, unzählige Insekten, 41 Säugetier- und mehr als tausend Pflanzenarten, von denen 77 auf der Liste der bedrohten Arten stehen. Auf dem Naturlehrpfad, der gleich beim Besucherzentrum beginnt, können auch Familien und weniger Sportliche den Wald erleben und auf einer Hängebrücke in die wilde Travignolo-Klamm blicken.
Das Rauschen des Wildbachs, der Wind in den Bäumen, das Röhren der Hirsche ist der eigentliche Soundtrack des Violinenwaldes.