Trends:Aufs Spiel gesetzt

Frohes Neujahr Klee Mensch ärgere dich nicht Spiel

"Es ist wieder schick, sich miteinander hinzusetzen und zu spielen": Brettspiele - wie dieser Evergreen - sind in diesem Jahr sehr gefragt.

(Foto: imago stock&people)

Lego sucht Ersatz fürs Plastik, Barbies gibt es jetzt fülliger. Hersteller reagieren sensibel auf gesellschaftliche Entwicklungen.

Von Uwe Ritzer

Cubby vielleicht? Der knuddelige Kuschelbär, der sein Gesicht so lustig verziehen und originelle Geräusche von sich geben kann. Oder ist es der Traktor, der von Smartphone und Tablet aus gesteuert durchs Kinderzimmer pflügt? Auch die beweglichen Pony-Figuren könnten es sein, vielleicht aber auch das Adventure-Game, bei dem die Spieler in einem Kerker erwachen und einen verschlungenen Weg nach draußen finden müssen. Was sich dann ähnlich kompliziert gestaltet wie die Suche nach dem ultimativen Spielzeug des Jahres.

Anfang Dezember präsentierte der Spielwaren-Einzelhandelsverband BVS seine diesjährigen Top-Ten, ausgesucht von Experten und zwar danach, was an Neuheiten und Innovationen in den einzelnen Produkten steckt. Cubby, der Traktor, die Ponys und das Kerker-Spiel finden sich auf dieser Hitliste, doch ob eines der Produkte wirklich zum Verkaufsschlager wird, ist noch lange nicht gesagt. Die Erfahrung lehrt, dass die meisten Spielwaren, die heute gehypt werden, morgen schon wieder vergessen sind.

Die Branche ist enorm schnelllebig. Experten schätzen, dass es drei Viertel jener etwa 120 000 Neuheiten, die jedes Jahr Ende Januar bei der größten Spielwarenmesse in Nürnberg präsentiert werden, ein paar Monate später schon nicht mehr gibt. Die angeblichen Trends, welche die Messemacher alljährlich ausrufen, wirken ohnehin bemüht, um nicht zu sagen: Sie sind meistens an den Haaren herbeigezogen.

Selbst neue Ware wird bald verramscht

Im diesjährigen Weihnachtsgeschäft verramschten manche Hersteller in ihren Online-Shops selbst neue Ware mit zum Teil sehr hohen Rabatten. Was aber keineswegs auf schwer verkäufliche Ladenhüter schließen lässt, denn Spielwaren werden hierzulande gekauft wie nie. Steigende Einkommen, höhere Geburtenzahlen und der altbekannte Umstand, dass am eigenen Kind oder Enkelkind zuletzt gespart wird, beflügeln die Geschäfte. Die etwa 220 deutschen Spielwarenproduzenten erwarten ein Plus von bis zu 5,6 Prozent, der Handel geht von mindestens drei Prozent mehr aus. Insgesamt etwa 3,4 Milliarden Euro geben die Deutschen im laufenden Jahr Experten zufolge für Spielzeug aus. Etwa 40 Prozent des Jahresumsatzes wird im Weihnachtsgeschäft erwirtschaftet.

Offenkundig ist also der wirtschaftliche Erfolg nicht an Produkttrends gekoppelt. Die Geschäfte laufen prima, obwohl es ziemlich lange her ist, dass ein Spielzeug wie das Rutschauto Bobbycar auf den Markt kam, diesen aufmischte und sich erfolgreich viele Jahre und Jahrzehnte hielt. Oder dass virtuelle Tamagotchis die Digitalisierung in den Kinderzimmern starteten. Selbst bei Spielekonsolen kommen zwar stets Weiterentwicklungen, schon länger aber keine revolutionären Neuheiten mehr auf den Markt.

Echte Trendsetter, die das Spielen an sich verändern, ihm neue Impulse geben, für eine neue Kategorie stehen oder auch nur auf lange Sicht gefragt sind, sucht man vergebens. Alles war irgendwie schon einmal da: die aus erfolgreichen Kinofilmen oder TV-Serien wie der "Eiskönigin" abgeleiteten Püppchen oder Sammelkarten, die interaktiven Spielzeuge, die Experimentierkästen, die Plüschtiere, die sprechen können.

"Ich sehe auf Produktseite weit und breit nichts am Horizont, was einen echten Hype auslösen könnte", sagt Sibylle Dorndorf. Wohl aber glaubt die langjährige Chefredakteurin des Fachmagazins Toys, Trends zu erkennen, bei denen es allerdings nicht um einzelne Spielwaren geht, als vielmehr um die Art des Spielens an sich. "Brett- und Gesellschaftsspiele", nennt die Expertin als ein Beispiel. Seit einigen Jahren boomt diese Kategorie überdurchschnittlich; sogar im Ausland machen deutsche Hersteller damit gute Geschäfte. "Es ist wieder schick geworden, sich miteinander hinzusetzen und zu spielen", sagt Dorndorf. Und zwar quer über Alters- und Einkommensschichten hinweg. "Dabei spielen soziale und gemeinschaftliche Gesichtspunkte eine wichtige Rolle."

Schien es in den vergangenen Jahren bisweilen so, als überhole sich eine überdrehte Spielwarenbranche mit ihrer Schnelllebigkeit selbst, sieht Sibylle Dorndorf aktuell Anzeichen dafür, "einmal innezuhalten und sich selbst zu besinnen". Auf das Thema Nachhaltigkeit zum Beispiel. "Die Zahl der Verbraucher wächst, die nicht mehr nur Wegwerfprodukte haben wollen, sondern Spielzeug, das wertig ist und lange hält", sagt Dorndorf.

Es ist ein Verhalten ohne Zweck, aber nicht ohne Sinn, sagt der Entwicklungspsychologe

Für sie ist es daher auch kein Zufall, wenn in Zeiten von Plastikmüll in den Meeren und Klimawandel einer der größten Hersteller, der US-Konzern Hasbro, ankündigt, von 2020 an bei seinen Verpackungen auf Kunststoff zu verzichten. Oder wenn Lego ein Entwicklungslabor einrichtet, um Ersatz für das Hartplastik seiner Bauklötzchen zu finden. Oder wenn Branchenriese Mattel nach Jahrzehnten auf einmal Barbie-Puppen im Angebot hat, die nicht mehr dem überkommenen Extrem-Schlankheitsideal entsprechen. "Da bilden sich gesellschaftliche Entwicklungen und Debatten ab", sagt Dorndorf.

Der Zusammenhang zwischen dem Alltagsleben und dem Spielen an sich ist nicht neu, sondern so alt wie die Menschheit. Wer, ob als Kind oder Erwachsener, eine Modelleisenbahn steuert oder Rennautos auf einer Spurbahn, der macht die große Welt für sich im Kleinen beherrschbar. Babys erarbeiten und entdecken ihre Umwelt spielerisch, indem sie greifen, schmecken, schauen, fühlen und hören. Ältere Kinder ahmen das Verhalten der Erwachsenen nach. Sie schlüpfen in Rollen und lernen so auch ein Stück weit, mit Herausforderungen umzugehen.

Spielen hilft aber auch dabei, der Realität zu entfliehen, in Fantasiewelten einzutauchen und diese nach eigenem Gusto zu gestalten. Es bietet Erholung vor den alltäglichen Anstrengungen in einem überschaubaren, kleinen Umfeld. Und wer, ob groß oder klein, mit anderen spielt, trainiert auch soziale Kompetenzen. Gespielt, sagt der Entwicklungspsychologe Ralf Oerter, werde um des Spielens selbst. Ein Verhalten ohne Zweck, aber nicht ohne Sinn. Weswegen es in letzter Konsequenz gar nicht einmal darauf ankommt, wie neu ein Spielzeug ist. Hauptsache, es erfüllt seinen guten Zweck.

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