Sie habe, sagt Svenja Schulze, lange darüber nachgedacht, ob der Zeitpunkt gut sei für Nachrichten zu Treibhausgasen. Sprach vor einem Jahr noch alle Welt vom Klima, spricht nun alles von einem Virus. Aber der Krisenbekämpfung schade es nicht, aktuelle Zahlen zu den deutschen Emissionen vorzulegen, befand die Umweltministerin von der SPD. "Auch die Klimakrise bleibt bedrohlich. Sie geht nicht einfach weg." Und dann gibt es da ja auch noch diesen klitzekleinen Zusammenhang zwischen Corona und dem Klima.
Die aktuellen Zahlen sind gar nicht so schlecht. Denn nach vorläufigen Zahlen des Umweltbundesamtes fielen die deutschen Emissionen im vorigen Jahr auf 805 Millionen Tonnen Treibhausgase. Das sind 54 Millionen Tonnen weniger als ein Jahr zuvor - und ein noch etwas stärkerer Rückgang als zunächst erwartet. "Nie zuvor sind die Emissionen in 'normalen Zeiten' so stark gesunken", sagt Schulze. Schließlich wuchs die Wirtschaftsleistung im vorigen Jahr noch um 0,6 Prozent. Die klimaschädlichen Emissionen dagegen sanken um 6,3 Prozent.
Ein Erfolg deutscher Klimapolitik? Oder eher glückliche Fügung? Teile der Opposition sehen das so. "Die gesunkenen CO₂-Emissionen sind kein Verdienst der Bundesregierung, sondern zeigen eindrucksvoll die Wirksamkeit des EU-Emissionshandels", sagt etwa FDP-Klimapolitiker Lukas Köhler. Tatsächlich kommt der bei weitem größte Anteil aus Bereichen, die dem Emissionshandel der EU unterliegen: Kraftwerke und Industrie. Sie müssen Zertifikate kaufen, wenn sie Kohlendioxid ausstoßen. Der Preis dieser Zertifikate war in den letzten zwei Jahren massiv gestiegen - auch nach einer Verschärfung der Regeln. "Das ist nicht vom Himmel gefallen", sagt Schulze. Die Bundesregierung habe an den schärferen Regeln mitgearbeitet. Im Übrigen werde das Klimapaket der Bundesregierung, verabredet im Herbst, seine Wirkung erst in Zukunft richtig entfalten.
"Der Verkehr ist immer noch das Sorgenkind des Klimaschutzes"
Das allerdings ist auch bitter nötig. Denn im Verkehr und bei Gebäuden sind die Emissionen 2019 nicht gesunken, sondern gestiegen. Die Sanierungsrate sei nur halb so hoch wie nötig, beklagt das Umweltbundesamt (Uba). "Der Verkehr ist noch immer Sorgenkind des Klimaschutzes", sagt Uba-Präsident Dirk Messner. Die wachsende Effizienz der Motoren werde aufgezehrt von schweren Fahrzeugen, mehr Autos und höheren Fahrleistungen.
Nötig seien mehr Anreize, um auch bei Häusern und Verkehr voranzukommen. So müsse es sich vollständig von der Steuer absetzen lassen, wenn Häuser so saniert werden, dass sie weniger Emissionen verursachen. Im Verkehr brauche es eine Quote für neu zugelassene Elektroautos: 30 Prozent im Jahr 2025. Insgesamt müsse die Zahl der Autos sinken. Und schließlich verlangt die Dessauer Behörde ein Tempolimit auf Autobahnen.
Deutliche Fortschritte beim Klima dürfte es aber auch 2020 geben - schon durch den Corona-Effekt: ein Einbruch der Wirtschaft, ergänzt um den recht milden Winter. Im Vergleich zu 1990 lagen die Emissionen im vorigen Jahr um 35,7 Prozent niedriger. Doch nun rückt selbst das Ziel der Bundesregierung in Reichweite, ein Minus von 40 Prozent. "Wir kommen dieser Zahl deutlich näher, als wir das noch vor zwei Jahren prognostiziert haben", sagt Michael Strogies, Experte für Emissionsdaten am Uba. "Die 40 sind im Grunde erreichbar."